Die verlangsamte Ausbreitung des Coronavirus verlange eine Art von „wohltemperierter Panik“, schreibt unser Autor Nils Markwardt. Besser kann man die aktuelle Lage wohl nicht auf den Begriff bringen. Aber bevor Sie gleich Markwardts Artikel lesen, hier ein paar Worte zur wohltemperierten Panik, die uns befiel, als wir am Dienstagnachmittag vom Aus der Leipziger Buchmesse erfuhren.
Für den Freitag ist die Leipziger Buchmesse die wichtigste Großveranstaltung im Jahr, und dieses Jahr wollten wir mal richtig Gas geben. Wir haben uns auf 16 Veranstaltungen am Stand gefreut, von Christian Baron über Katja Kipping bis Daniel Cohn-Bendit, wollten Themen diskutieren, die uns bewegen. Und wie jedes Jahr freuten wir uns auf die Begegnungen mit treuen Lesern, die uns am Stand besuchen und sagen, was ihnen an unserer Zeitung gefällt und was nicht; einer Zeitung, die wir in großer Zahl ans Publikum verteilen wollten, um für uns zu werben, um neue Leser und Abonnenten zu gewinnen. Der Ausfall der Messe ist für uns wie für viele andere auch wirtschaftlich ein Desaster.
Genug geklagt. Machen wir das Beste daraus. Das Beste heißt in diesem Fall: Tun wir das, was der Kern der Leipziger Buchmesse ist. Lesen wir. Lesen wir Bücher. Und wenn uns unsere Besorgnis schon zu Hamsterkäufen treibt, warum sorgen wir dann nicht gleich auch mal für leergefegte Regale in den Buchläden, am besten in dem Laden im Kiez? Das macht allemal eine bessere Figur als die leergefegten Nudelregale in den teureren Supermärkten der Republik.
Zeit zum Lesen werden wir ja nun haben, die Leipziger Buchmesse ist bei Weitem nicht die einzige Großveranstaltung, die in Deutschland abgesagt wurde, und es werden noch viele folgen, auch solche, bei denen es um Bücher geht. Zur Stunde trotzt die lit.Cologne in Köln, die vom 10. März an stattfinden soll, noch der Absage, aber vermutlich kann man hier den gleichen Text verfassen wie am Montag zur Leipziger Messe, als es auch da noch hieß, sie finde statt. Es wird auch nicht bei Großveranstaltungen bleiben. In einem Landkreis in Thüringen beträgt das Limit für die Absage einer Veranstaltung gerade mal 50 Personen. Zyniker könnten einwenden, dass viele Lesungen, zumal in übersättigten Großstädten, darunterbleiben.
Aber eben, fürs Lesen von Büchern braucht es gar keine öffentlichen Lesungen (eine kulturelle Praxis, die in vielen anderen Ländern sowieso fast unbekannt ist), man kann es in den eigenen vier Wänden tun. Es ist völlig unschädlich und ungefährlich. Der Tod eines 67-jährigen pensionierten Geschäftsführers, der nach einem Schwächeanfall in seiner Wohnung gegen einen Bücherstapel fiel und von diesem erschlagen wurde, darf als absolut singuläre Ausnahme gelten.
Umgekehrt liest man in der bettwarmen Sicherheit oft mit einer nicht ganz reinen Anteilnahme vom Unglück der anderen. Die Kriminalliteratur stellt hier eine breite Palette zur Auswahl. Keine Sorge, diese Art Vergnügung ist ein ethisch unbedenkliches Verhalten und nicht zu vergleichen mit dem, was ein Mailänder Lehrer in einem Brief an seine Schüler für die tatsächlich größte Gefahr der Corona-Epidemie bezeichnet hat: „Allgemein ist das größte Risiko in solchen Situationen (…) die Vergiftung des gesellschaftlichen Lebens, der menschlichen Beziehungen, die Barbarisierung des zivilen Umgangs.“ Und auch dieser Lehrer kommt zum Schluss: „Nutzt diese Tage für Spaziergänge, lest ein gutes Buch!“
Kommentare 13
- leere bücher-regale in buchläden um die ecke
senden falsche signale.
der abverkauf von irreführenden oder nichts-sagenden produkten
sollte nicht das ziel sein.
- vermehrter konsum von gebrauchs-wert-haltigen lektüren
führt paradoxerweise zu einer gesteigerten präsenz
dumm-tätowierter buch-seiten im verbleibenden angebot.
- mehrfach-/hamster-buchkäufe sind auch nicht so sinnvoll,
wie das private einlagern von hygiene-papier.
- und: kommt es auf die speicherung an? eher doch auf die aus-lese,
das aus-sondern von kurz-schlüssigen gewiss-heiten,
pseudo-idyllen, hoffnungs-fallen, zwangs-vorstellungen....
die gefahr, von büchern verschlungen zu werden,
ist auch nicht zu unterschätzen...
Wird gemacht. :-)
PS: Es ist jammerschade, ich freute mich schon auf ein paar der angekündigten Lesungen.
Galgenhumor-kein schlechtes Therapeutikun
Cool bleiben ist immer gut – obwohl die Leipziger Absage Verlage hart am empfindlichsten trifft; keine Frage. Da Sie die Freitag-Aktivitäten dort so anschaulich geschrieben haben: Auf der Frankfurter Messe mußte man auf das – auch von mir durchaus geschätzte – persönliche Kennenlernen bislang chronisch verzichten.
Pragmatische Frage so: Gedenkt der Freitag, Leipzig sozusagen in Frankfurt nachzuholen? Stadt = soweit recht cool, und in Sachen Abwechslung müssen Buchmesse-Leute nie darben ;-).
totlitär lächerlich diese Grippepanikmache auf politischer Ebene.
äh : totalitär ! :-))
Das mediale Dauerhammern aufs Publikum lässt sich relativ gut . Der Mensch ist viel gefährlicher, als dieser wohl eher harmlose als gefährliche Virus.
Pro MINUTE sterben weltweit 5 Menschen an den Folgen Ärztepfusch. In Zahlen: 43000 pro Monat.
Coronainfektionen in Deutschland bisher seit Beginn der medialen Dauerhammerei: aktuell 188. Pro Monat also ca. 60, wenn man den Beginn des Hämmerns auf den 1.1.2020 setzt.
60 Infektionen bei einer Sterberate von 1% bei bis zu 60jährigen nach den Statistiken aus China (Validität der Zahlen hoch). Von den 60 doitschen Infizierten sterben also statistisch 0.6
43000 vs. 0.6
Trotzdem gelingt es den Medien, der "gekreutzten bürgerlichen Dunstmasse" derart das Hirn zu trichtern, daß Regale mit Dosenfraß in einem Anfall von kriegspsychotischen Hamsterkäufen leergekauft werden und nur noch die mit der Aufschrift "Chinesische Nudelsuppe" (made in germany) stehenbleiben.
Unbedingt die Hände vors Gesicht halten! Die Worte "China" und "chinesisch" NICHT lesen! Aber Vorsicht, "nicht das Gesicht berühren!", sagt Herr Spahn.
Das hat schon was von DUCK&COVER.
In der jüngsten Titel Thesen Temperamente-Sendung (TTT) vom vergangenen Sonntag (8. März) hat sich Svenja Paßhöhler zum Ausfall der Leipziger Veranstaltung geäußert, und ihre Beschreibung passt sicher nicht nur zur Leipziger Buchmesse... Sie stellt auch die Leseempfehlung dem eigentlichen Messebesuch gegenüber:
"[...] Man spricht auch vom Karneval für Intellektuelle, ja, da kommen Autoren, Journalisten, es wird durchaus getanzt, es wird Party gefeiert, es geht auch in erotischer Hinsicht hoch her, ja, und jetzt kann man sagen, dass diese Art katholische Messe sich auflöst in protestantischer Einzellektüre..." ;-)
https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3R0dCAtIHRpdGVsIHRoZXNlbiB0ZW1wZXJhbWVudGUvYTNjYTVlMzktY2MwOC00NDQyLTlkZDgtZWMxYzg3YjRhM2I4/die-sendung-vom-8-maerz-2020
[ab ca 1:40]
die etwas dröge leser-schaft feiert meist sehr verhalten,
karnevals-prinzen und überschäumende vitalität
sind der eher neurotischen introver-tierten szene fremd.
wenn ein literat in die bütt steigt, ist das schon ein event.
oda?
Ja, der asketische Dichter in seiner Klause, allen Ablenkungsversuchen abhold, den gibt es sicher, und er kann für sich reklamieren: Wat mutt dat mutt - und er steigt nicht in die Bütt, sondern hält eine Dankesrede (wenn er Glück hat). Gilt alles natürlich auch für Dichterinnen.
Aber Buchmessen sind oder waren da schon was Anderes, ob Autoren oder nicht, da hat Svenja Paßhöhler recht; ich kenne insoweit aber nur die Frankfurter Buchmesse...
Svenja Flaßpöhler, oder?
"Der Tod eines 67-jährigen pensionierten Geschäftsführers, der nach einem Schwächeanfall in seiner Wohnung gegen einen Bücherstapel fiel und von diesem erschlagen wurde [...]"
Ein Bild, über dessen Ausdeutung man lange plaudern könnte ...
Und eine Art zu Tode zu kommen, die mittlerweile ähnlich anachronistisch sein dürfte, wie die des Duellierens.
Verflixt, ja, in gleich zwei Kommentaren den Namen zu verhauen ist schon krass... Danke für die Richtigstellung.