Jakob Augstein gab hier letzte Woche bekannt, als Reporter gelogen zu haben, es ging lediglich um ein atmosphärisches Detail. Noch zu dessen Lebzeiten hatte ich Frank Schirrmacher auch mal beim Schummeln erwischt. Schirrmacher hatte eine uralte Deutsche, die nach dem Weltkrieg im Riesengebirge geblieben war, zur „letzten Schlesierin“ hochgejazzt, die Deutschland nie wieder gesehen habe. Das war Quatsch, wie ich bei Recherchen herausfand, und es war etwas mehr als ein Detail. Hätte ich meine Entdeckung öffentlich gemacht, wäre das für Schirrmacher peinlich gewesen, für einen Skandal hätte es wohl nicht gereicht. Jetzt, „nach Relotius“, wäre vielleicht sogar ein Skandal daraus geworden. Aber wäre das okay gewesen?
Man sollte sich gut überlegen, wo das journalistische Ethos verteidigt werden muss und wo die Korinthenkackerei anfängt. Das gilt auch im Streit um die Zitate, die Robert Menasse dem EU-Politiker Walter Hallstein in den Mund legte. Bei Menasse waren wir im Freitag milde gestimmt, er ist Schriftsteller. Anders sieht es bei Wissenschaftlern aus. Hier kann es keine zwei Meinungen geben. Quellen müssen ausgewiesen und Zitate aus Sekundärquellen möglichst im Original geprüft werden. Das mag buchhalterisch klingen, aber es sind Regeln, sie betreffen das Wie, nicht das Was. Es dürfen ja die krassesten Dinge zitiert werden. „Gott ist tot“ (Nietzsche), „Nietzsche ist tot“ (Gott).1 Man stelle sich vor, der konservative Hallstein hätte wirklich gesagt: „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee“ – ein Hammer!
So denkt freilich nur, wer schriftgläubig ist. Ulrike Guérot ist es eher nicht. Die bekannte Politologin verwendete Hallstein-Zitate von Menasse, mit dem sie gemeinsam einen Text schrieb, ungeprüft auch in eigenen Beiträgen. Das räumte sie jetzt in einem Interview mit der taz ein. Nun hatte sich der Historiker Heinrich August Winkler schon 2017 im Spiegel über die Zitate gewundert, bei Hallstein könne er sie nicht finden. Im Freitag gab es damals eine Replik von Frau Guérot, die mir kein Ruhmesblatt mehr scheint, denn sie ging gar nicht auf Winklers Vorwurf ein. Auch in einem aktuellen Statement auf der Webseite der Uni Krems übergeht Professorin Guérot den Vorwurf einfach. Vielmehr insinuiert sie, dass dunkle Kräfte eine couragierte Streiterin für Europa kurz vor der Wahl mit alten Geschichten diskreditieren wollen. Das finde sie skandalös. Aber ist denn mein Urteil rein sachlich motiviert? Ich will gar nicht verhehlen, dass Ulrike Guérot in besagtem taz-Interview auch geringschätzig über den Freitag sprach. Merke: Reize nie den Buchhalter.
¹ Unbekannt, hier zitiert nach aphorismen.de, abgerufen am 21. 01. 2019
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