Ein Hakenkreuz und die Vergangenheit

Bayreuth Der russische Bassbariton Nikitin sagt seinen Auftritt in "Der fliegende Holländer" ab. Dabei wäre die Debatte um seine Tattoos mit NS-Symbolik Stoff für Dramen
Gebrandmarkt für immer? Der russische Sänger Jewgeni Igorewitsch Nikitin spricht bei seinen NS-Tattoos von Jugendsünden
Gebrandmarkt für immer? Der russische Sänger Jewgeni Igorewitsch Nikitin spricht bei seinen NS-Tattoos von Jugendsünden

Foto: Claudia Levetzow/dpa/lbn

Der 38-jährige russische Bassbariton Jewgeni Igorewitsch Nikitin kann als auf den Bühnen der Welt etablierter Opernsänger gelten. Nach seinem Debüt 2002 an der New York Metropolitan Opera trat er in Toronto, Paris, Berlin, Leipzig, München und anderswo auf. Dass man ihn überall in Unkenntnis seiner Tätowierungen engagiert hat, ist unwahrscheinlich, bedecken diese doch nicht nur seine Brust, sondern auch seine Handrücken, und nie hat er ein Geheimnis daraus gemacht – auch nicht daraus, dass zu den Tattoos ein inzwischen fast überdecktes Hakenkreuz gehört.

Am Mittwoch dieser Woche nun sollte er in Bayreuth den Titelhelden von Richard Wagners Fliegendem Holländer geben. Die Medien wurden aufmerksam, die Festspielleitung sah sich in Erklärungsnot; sie behauptete, vom Hakenkreuz nichts gewusst zu haben, und drängte Nikitin zur Demission. Der nahm die Schuld auf sich, indem er erklärte, er habe sich die Implikationen eines Auftritts „besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte“ nicht klargemacht.

Besonders in Bayreuth? Es ist tatsächlich weniger Nikitins als ein deutsches Problem. Der Sänger hatte in seiner Jugend einer „National Socialist Black Metal“-Band angehört. Er sagt, ihm sei es um Protest gegangen, und mit nichts habe man die Erwachsenen so aufbringen können wie mit Nazisymbolen. Zu glauben, er sei noch heute Neonazi, gibt es keinen Grund, und die Auffassung, wer einmal Neonazi war, dürfe nie mehr eine Opernbühne betreten, wird bestimmt kein Intendant in New York oder Paris vertreten.

Hakenkreuz "geht nie"

Aber wenn er in Bayreuth aufgetreten wäre, „wäre der Schaden immens gewesen“, wie auf tagesschau.de zu lesen, daher „war er nicht mehr tragbar“, so schreibt die Welt, und Christian Thielemann, der Dirigent der Aufführung am Mittwoch, meint sogar, ein Hakenkreuz „geht nie“, „auch in Australien nicht“. Thielemanns Äußerung ist besonders interessant – auch deshalb, weil er verallgemeinerte, er wolle überhaupt keine Inszenierung sehen, in denen irgendwelche Insignien des NS-Personals, von dem er „die Schnauze voll“ habe, Verwendung fänden. Dieselbe Haltung steht vermutlich hinter den an-deren Stellungnahmen, in denen Nikitin als schlechthin untragbar erscheint.

Er ist gebrandmarkt – kann das wahr sein in unserer modernen Welt? Man wird die Frage nicht verneinen, da Tattoos seit Jahren immer beliebter werden; den Charakter der Selbstbrandmarkung, des Anscheins einer lebenslang unveränderlichen Identität haben sie nun einmal. Umso erstaunlicher, dass sie ausgerechnet fürs Theater, und sei es das deutsche, zum unlösbar erscheinenden Problem werden.

Lebten Dramen nicht zumindest früher davon, dass sie eine Vergangenheit beschworen, deren Last in der Gegenwart der Bühnenhandlung gebrochen werden konnte? Seit der Orestie, seit Aischylos war das so. Ein Musikdrama von Wagner könnte zumindest so inszeniert werden. Es wäre leicht, zum Beispiel Lohengrins „Nie sollst du mich befragen“ gestisch in ein „Nie sollst du mein Hemd öffnen“ zu verändern. Durch Mittel des Brechtschen epischen Theaters könnte deutlich gemacht werden, dass Lohengrin, auch wenn Elsa ihn unvermeidlicherweise auszieht und so das Hakenkreuz sieht, dennoch nicht zwangsläufig zurückfahren musste, sondern auch die Wahl hatte, ein anderer Mensch zu werden. Will man freilich, wie Thielemann und andere, an die Vergangenheit gar nicht erinnert werden, ist dieser Weg versperrt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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