Beim Berliner Ultraschall-Festival für Neue Musik darf man keine Videoinstallation erwarten, auch keine Show exaltierter Sängerinnen. Ultraschall wird von zwei Kultursendern veranstaltet, denen von Deutschlandfunk und rbb, als solches generiert es Radiosendungen und beschränkt sich auf pure Konzertsaalmusik. Das ist aber kein Nachteil, eher wird die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche gelenkt. Denn warum besucht man so ein Festival, wenn nicht, um zu erfahren, ob die neueste Entwicklung der Musik etwas aussagt über die neueste Zeit schlechthin? Das gelingt am besten, wenn der Maßstab des Vergleichs, und das ist der Konzertsaal, nicht verschoben wird.
Zwei Kompositionen will ich hervorheben: Recherche sur le fond für Orchester (2010/11) von Charlotte Seither, aufgeführt vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, und die Uraufführung von Christian Masons Zwischen den Sternen für Ensemble (2018) durch das ensemble recherche. Beide stehen für eine Wende der kompositorischen Entwicklung. Wenn man das sagt, muss man sich zunächst an die große Wende der (neuzeitlichen) Musikentwicklung erinnern, dem Übergang von der „tonalen“ zur „atonalen“ Musik. Spätestens seit der Zuspitzung nach dem Zweiten Weltkrieg, als aus „atonaler“ Musik „serielle“ wurde, schienen nur noch Rückzüge möglich zu sein.
Herr Brahms lässt grüßen
So ist es aber nicht gekommen. Vielmehr komponieren heute die Jüngeren, zu denen der 34-jährige Mason zählt, mit Mikrotönen und eröffnen damit eine neue Hörwelt. An dem Abend, als Zwischen den Sternen erklang, wurde zum Vergleich auch Plektó (1993) von Iannis Xenakis gegeben, der ein typischer Nachkriegskomponist war: Obwohl es „atonaler“ nicht sein könnte, wirkt es im Vergleich mit Mason wie alter Duft aus Märchenzeit.
Man hätte auch Brahms spielen können. Denn Xenakis wie Brahms bedienen sich der „wohltemperierten“ Töne, von denen es zwölf gibt, die man in jedem noch so „dissonanten“ Kontext gut wiedererkennt, während aus Mikrotönen die unglaublichsten musikalischen Landschaften zusammengesetzt werden. Und wie verschieden sie untereinander sind! Mason wollte, wie er sagt, etwas wie eine Fata Morgana komponieren, „das klangliche Äquivalent von Hitzeflimmern“. Seine Landschaft klingt daher metallisch scharf. Das ist ihre sofort erkennbare Gestalt, doch um die feinen farblichen Differenzierungen auszuloten, bräuchte man viel Zeit. Solche Musik steht dem Alltag nahe und transzendiert ihn. Es ist trotz Masons Titel keine „Sphärenharmonie“.
Die Recherche von Charlotte Seither ist 2010/11 komponiert worden. Sie hat sich damals noch als Avantgardistin der neuen Kompositionsweise begriffen, ihr Stück trägt deshalb didaktische Züge. Es beginnt mit abwärtsfallenden Posaunenglissandi, die an Bekanntes erinnern, Sirenen, in denen aber alle denkbaren Mikrotöne enthalten sind. Ihre Suche sur le fond, also „auf dem Grund“, führt zu einem überraschenden Ergebnis: Der Grund ist gar nicht ganz unten, er ist vielmehr Hintergrund, der am Ende der Komposition durch helle Holzbläser enthüllt wird. Die Figur, die sie wiederholt spielen, ist eine „tonale“ Akkordzerlegung in drei Stufen, von denen sich jede ein mikrotonales Kleid umwirft.
Info
Ultraschall Berlin fand in diesem Jahr zum 20. Mal statt. Alle Konzerte können nachgehört werden auf Deutschlandfunk Kultur
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