Ohne Kommunismus kein Weltfrieden: Nachdenken über Geschichte (2/2)
Weltkriegsgefahr Heute streitet man, ob die Ukraine zur russischen Geschichte gehört oder nicht. Vor 1990 stritt man über die Perspektive der Menschheit – das war besser
Es ist festgestellt worden, dass die AfD sich einer „abgestiegenen Arbeiteraristokratie“ hat andienen können (Von der Angst zum Aufstand: Wird Ostdeutschland zur Keimzelle neuer Sozialproteste?), aber niemand kommt auf die Idee, diese Menschen, die in der DDR die „Aristokratie“ waren, anders anzusprechen, als es die AfD tut: nicht im kapitalistischen und fremdenfeindlichen Diskurs, sondern indem der Faden der DDR-Geschichte wiederaufgenommen wird. Denn die DDR war national, ohne nationalistisch zu sein, und daher nicht fremdenfeindlich. Sie hat nach der Geschichte des Menschen gefragt und nur in dieser Perspektive, ihr untergeordnet, auch nach der Nationalgeschichte.
Aber darf man sich in die Linie
mmen wird. Denn die DDR war national, ohne nationalistisch zu sein, und daher nicht fremdenfeindlich. Sie hat nach der Geschichte des Menschen gefragt und nur in dieser Perspektive, ihr untergeordnet, auch nach der Nationalgeschichte.Aber darf man sich in die Linie der DDR-Geschichte stellen? Das hat nicht einmal Hoyer gewagt, deren Buch zudem scharf kritisiert wurde, auch hier im Freitag von Ilko-Sascha Kowalczuk, einem Mitglied der Regierungskommission „30 Jahre Revolution und Deutsche Einheit“: Hoyer habe den Alltag in der DDR verklärt, ohne dessen Durchdringung von der Diktatur, die sie gewesen sei, zu benennen. Abgesehen davon, dass Hoyer es sehr wohl benannt hat, zeigt sich hier die Diskursverweigerung, denn offene Fragen, die auf der Hand liegen, werden ausgeblendet.Die DDR war eine Diktatur, ja! Aber sie hat beachtliche soziale Fortschritte erzielt, wie die rechtliche, ökonomische und soziale Gleichberechtigung der Frauen, die Abschaffung der Arbeitslosigkeit, die Sicherheit des Wohnens in Mietwohnungen und die Gewähr erschwinglicher Mieten. Ihr sind auch Schritte in Richtung klassenlose Gesellschaft gelungen: Die Kinder der Arbeiter und Arbeiterinnen stiegen in den Universitäten auf und umgekehrt wurde auf deren Rückkopplung mit der handwerklichen Bildung Wert gelegt. Rechtfertigt das die Diktatur? Nein! Aber man muss genauer sein: Wenn es einem sich demokratisch nennenden System nicht gelingt, dasselbe Ergebnis auch ohne Diktatur zu erzielen, ist es seinerseits nicht gerechtfertigt. Wie war das denn, wurden die genannten sozialen Fortschritte in Westdeutschland vielleicht nur zufällig nicht erzielt? Also bitte schön, dann möge man angeben, wie sie sich auf demokratischen Weg erzielen lassen. Ich glaube, dass das auch möglich wäre. Die Ökonomie müsste dann freilich aufhören, der Kapitallogik zu folgen.Hoyers Buch ist auch darin stark, dass es mit der Vorstellung aufräumt, die DDR-Diktatur habe ihre sozialen Fortschritte nur um den Preis der Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten erzielen können. Es wird suggeriert, dass in einer nachhaltigen Ökonomie kein Platz für solche Fortschritte wäre. Und der ökonomische Zusammenbruch der DDR am Ende der 1980er Jahre scheint den Beweis zu liefern. Das stimmt aber alles nicht. Dass die DDR seit dem Beginn jenes Jahrzehnts vor ökonomischen Problemen stand, hatte vielmehr den Grund, dass die Sowjetunion ihre vertraglichen ökonomischen Verpflichtungen nicht mehr einhalten konnte. Und auch in der Sowjetunion lag es nicht am „System“, sondern daran, dass sie sich weltpolitisch übernommen hatte, vielleicht gezwungen wurde – vor allem von den USA und der NATO, aber auch von China unter Mao Zedong -, sich zu übernehmen. Die DDR bekam nun weniger Öl aus der Sowjetunion, was durch Braunkohleabbau im eigenen Land nur teilweise kompensiert werden konnte. Dieser Abbau führte zu den bekannten ökologischen Verwerfungen, die 1990 so viel Beachtung fanden.Es soll nicht gesagt werden, die Ökonomie der DDR oder der Sowjetunion sei der westlichen überlegen gewesen. Das Gegenteil war der Fall, und das hat sicher etwas mit der Diktatur in diesen Ländern zu tun gehabt. Die Fortschritte in der Computer-Technik, die für die ökonomische Niederlage dieser Länder ausschlaggebend waren, gediehen nämlich besser in Gesellschaften, die der Individualisierung mehr Spielraum gaben. Aber da die neue Technik ja zu mehr Reichtum führte, sind wir nur wieder auf die obige Frage zurückgeworfen: Der gestiegene westliche Reichtum, warum wurde er denn nicht dafür eingesetzt, die sozialen Fortschritte der kommunistischen Länder zu übernehmen und womöglich zu übertreffen?Schlüsse für heuteUm Fragen der Geschichte des Menschen wurde damals gestritten, statt nur darum, wo das Bruttosozialprodukt am höchsten war, oder um den Expansionsanspruch nationalistischer Staaten, und der Streit führte nicht zum heißen Krieg, nicht einmal als die Sowjetunion sich geschlagen geben musste. Im innerdeutschen Verhältnis war es so, dass noch in der finalen Krise der 1980er Jahre, ausgelöst durch die sowjetischen SS-20-Raketen und den damit begründeten „Doppelbeschluss“ der NATO, sich gerade die beiden deutschen Staaten vermehrt um die Aufrechterhaltung des Friedens bemühten. Statt dass die Bundesrepublik sich von der DDR ökonomisch entkoppelt hätte, wie es heute von ihr im Verhältnis zu China verlangt wird, griff sie ihr mit mehreren Milliardenkrediten unter die Arme.Daraus lassen sich Schlüsse für heute ziehen. Das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland ist heute eher unfriedlich. Dabei spielt die AfD ihre Rolle. Aber wenn sie die dortige „abgestiegene Arbeiteraristokratie“ anspricht, dann natürlich nicht so, dass sie diese an die DDR erinnerte. Sie ist ja das Gegenteil einer kommunistischen Partei. Die frühere Arbeiteraristokratie, beziehungsweise die unter ihrem Einfluss aufgewachsenen Nachfahren, mit Erfolg anders anzusprechen, wäre dann möglich, wenn man die kapitalistisch-kommunistische Debatte wiederaufnähme. Statt also die Fremdenfeindlichkeit von Anhängern der AfD verständlich zu finden, indem man rassistische „Übergriffe“ in den Kontext stellt, dass eine Flüchtlingsbewegung, wenn der Sozialstaat eh schon wanke, „zu zusätzlicher Verunsicherung“ führe – so im Gründungsaufruf einer einstigen Bewegung, die sich #aufstehen nannte, zu lesen -, sollte man eher an die Solidarität im sozialistischen Lager erinnern, die sich darin ausdrückte, dass vietnamesische Arbeiter in der DDR ausgebildet wurden und dann zum Aufbau des Sozialismus in ihre Heimat zurückkehrten. Solche Solidarität ist nicht nur dann möglich, wenn es eine Diktatur, Stacheldrahtgrenze und Berliner Mauer gibt.Die Alternative, um die es hier geht, wird klarer, wenn man sie als Diskursalternative fasst: Man muss sich entscheiden, im Raum welcher Frage man streiten will. Denn wer seine Fragestellung durchsetzt, hat die Hegemonie, egal wie dann von denen geantwortet wird, die ihr, der Fragestellung, auf die eine oder andere Art folgen, statt ihr zu widersprechen. Die AfD fragt nationalistisch, wie das Fremde abgewehrt werden kann. Darauf bloß mit eigenen Grenzschließungsmodellen zu antworten, die sich von denen der AfD unterscheiden, und dann noch mit der Auskunft, eine Carola Rackete solle nicht den Europawahlkampf der Linken anführen, lässt der AfD die Hegemonie. Die bricht man nur, indem man eine andere Fragestellung durchsetzt, eben wie die soziale Sicherheit, die es in der DDR für Einheimische wie auch für gastierende Vietnamesen gab, zurückerkämpft werden kann, ohne dass auch die Diktatur wiederkehrt. Das ist im Übrigen kein Thema nur für den Osten Deutschlands, wie ich wohl nicht eigens hervorheben muss.Nationalismus als Abgrenzung vom WestenWas die Weltlage angeht, muss ich leider feststellen, dass aus meiner Analyse die Unmöglichkeit ernsthafter Verhandlungen zwischen den verfeindeten Blöcken folgt. Zwischen den Nationalismen untereinander sind sie unmöglich, so zwischen Russland und der Ukraine, und zwischen den Nationalismen und dem Westen sind sie auch unmöglich, außer er hetzt einen Nationalismus gegen den anderen auf. Denn der Westen ist nur bis dahin zur Verständigung bereit, wie es seiner ökonomischen Vorherrschaft nicht schadet, und die ist zurzeit durch China bedroht. Friedlich kann nur im Raum der Frage gestritten werden, die nach dem Menschen fragt – was er ist und sein soll -, da es aber den Kommunismus nicht mehr gibt, der alle dazu zwang, sie sich zu stellen, haben wir keine Perspektive des Weltfriedens. Der Kommunismus, den es gab, war unzulänglich, aber statt dass er verändert, demokratisiert worden wäre, wurde er insgesamt mit dem Bad ausgeschüttet.Länder, die sich heute durch ihre Antwort auf die nationale Frage definieren, haben sich davor durch ihren Ort in der Geschichte des Menschen definiert, oder mindestens auch definiert. So nicht nur Russland und China, sondern auch Indien und überhaupt viele Länder der damals sogenannten „Dritten Welt“: indem sie zwar im Konflikt zwischen der NATO und dem sowjetischen Lager nicht Partei ergriffen, aber es doch anziehend fanden, den Sozialismus in ihr Selbstverständnis zu integrieren. Das trifft gerade auch auf Indien zu, das damals sogar in der Sowjetunion einen besonderen Helfer sah; Indien war nicht immer nationalistisch, sondern dem ging eine Phase voraus, in der es sich ANDERS vom Westen abgrenzen konnte. Und das ist der springende Punkt: Nachdem es heute mit jener Art Abgrenzung welthistorisch vorbei zu sein scheint, scheint für ein Land wie Indien nur noch der Nationalismus geeignet, dem Westen etwas entgegensetzen zu können. Für Russland gilt das genauso, und in beiden Fällen beruft sich, wie gesehen, der neue Nationalismus auf die jeweilige Religionsgeschichte. Und da sehen wir nun auch, dass die Religionsgeschichte auch unabhängig von der nationalen Frage zur Abgrenzung vom Westen eingesetzt werden kann – siehe Al Qaida und Islamischer Staat.Das sind fatale Rückschritte. Auch die kommunistische Perspektive war zwar damals nicht zur Vermittlung zwischen den Nationen geeignet, man denke nur an die Feindschaft zwischen der Sowjetunion und dem maoistischen China. Aber damals konnte leicht überlegt werden, was ein Kommunismus versprach, der seinen Namen verdient hätte: Es war logisch einsehbar, dass Nationen, die sich durch ihren Ort in der Geschichte des Menschen definieren, oder die sich von solchen, die das tun, beraten lassen, eher bereit und fähig sein würden, auch im Konflikt miteinander die jeweils eigene Nationalgeschichte nicht einseitig auf den Konflikt hin zu bürsten. Denn dadurch erst wird sie instrumentalisiert. Die DDR, wie sie auf Luther und Preußen bezugnahm, hat uns das Beispiel gegeben: Eine Nation, die ihre Geschichte differenziert betrachtet, bleibt fähig, sich über sie mit der anderen Nation auszutauschen, die auch in ihr steht, sie aber anders deutet. Das heutige Indien ist ein Gegenbeispiel.Kein Ende der Geschichte des KommunismusMan kann verallgemeinern: Es ist nicht falsch, die nationale Frage zu stellen, sondern wie man sie stellt, kann verheerend sein. Es ist nicht die nationale Verschiedenheit als solche, die Verhandlungen zwischen Nationen unmöglich und sinnlos macht. Im Gegenteil, gerade nur solche Verhandlungen könnten den Weltfrieden herbeiführen, während sich die allein kapitalistisch-ökonomische Gemeinsamkeit als Vorstufe neuer Kriege erweist. In dieser Gemeinsamkeit tun die westlichen Nationen so, als träten sie gar nicht als Nationen auf, sondern stünden nur für das „Normale“ – führten nur ökonomische Sachzwänge aus. Aber das stimmt ja nicht. Die bösartigen Opiumkriege zum Beispiel, mit denen England China überfiel, waren zwar ökonomisch motiviert, aber bedeuten auch, dass England eine Nationalgeschichte hat, für die es sich heute vor China rechtfertigen müsste. Das hieße aber, der Kapitalismus käme in den Blick: der damalige Teekonsum in England, für den die Opiumkriege geführt wurden – eine sich dort bereits anbahnende Konsumenten-Demokratie -, und also auch der heutige Kapitalismus. Und mit ihm die kommunistische Perspektive. Dass diese Perspektive fehlt, ist das Problem.In Deutschland hätte 1990 verhandelt werden können. In einer solchen Verhandlung hätte die noch bestehende DDR auf ihren genannten sozialen Errungenschaften beharrt. Die Verhandlung wäre auch möglich gewesen, denn es gab den neuen „Verfassungsentwurf für die DDR“, den der dortige Runde Tisch im letzten DDR-Jahr vorlegte und der übrigens maßgeblich erarbeitet war von dem Theologen, Kirchen- und Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann, der danach zwischen 1992 und seinem Tod im Jahr 2004 zur ersten Herausgeber:innen-Gruppe des Freitag gehörte; „mit diesem Entwurf“, sagte damals Gerd Poppe, ein anderer beteiligter Bürgerrechtler, „tritt der Runde Tisch Bestrebungen entgegen, sich durch die Abgabe von Beitrittserklärungen einer anderen Verfassungsordnung, dem Grundgesetz der BRD, nach Artikel 23 zu unterwerfen." Ich weiß natürlich, dass es damals Verhandlungen über eine neue gesamtdeutsche Verfassung, wie sie auch im westdeutschen Grundgesetz vorgesehen waren (Artikel 146), statt des bloßen ostdeutschen „Anschlusses“ (Artikel 23), auch deshalb nicht geben konnte, weil sie zu lange gedauert hätten und dann vielleicht das „Zeitfenster“ zur deutschen Vereinigung nicht mehr offen gewesen wäre. Aber wenn das der Grund war, hätten die Verhandlungen später nachgeholt werden können, und das geschah nicht. Wenn es geschehen wäre, und wenn die Verhandlungen auch für die ostdeutsche Seite – die Bürgerrechtler*innen, von denen die „friedliche Revolution“ in der DDR ja ausgegangen war -, zum Erfolg geworden wären: Wäre dann heute die AfD in Ostdeutschland so stark?Wie auch immer, es gibt keine demokratisch erneuerte kommunistische Kraft, weder in Deutschland noch in der Welt. Deshalb scheint es auch keine Perspektive zu sein, mit dem Aufbau einer solchen Kraft wenigstens hierzulande zu beginnen. Ein isolierter Beginn, was soll es nützen? Aber da sollten wir uns an die Geschichte des Menschen erinnern: Auch 1917, als der Erste Weltkrieg ausbrach, und schon in seinem Vorfeld, gab es nur eine verschwindend kleine Kraft in der ganzen unfriedlichen Welt, die sich gegen ihn stemmte, das war die Gruppe um Lenin, in Deutschland um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Der Anfang, den sie machten, setzte trotz der Winzigkeit ihrer Gruppen eine gewaltige historische Epoche in Gang. Diese Epoche hörte zwar auf, ja sie war nur kurz, gut sieben Jahrzehnte währte sie nur, doch ihr Anspruch war berechtigt und ist unabgegolten. Und gerade dass sie so kurz war, könnte darauf deuten, dass sie zwar unterbrochen ist, aber noch nicht zu Ende.