Als Ost und West noch miteinander redeten: Nachdenken über Geschichte (1/2)

Weltkriegsgefahr Warum scheint es so aussichtslos, dem eskalierenden Unfrieden in der Welt etwas entgegenzusetzen? Könnten Verhandlungen die verfeindeten Blöcke einander näherbringen?
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Jugendliche mit DDR-Fahnen vor dem Reichstag am 1. Mai 1991
Jugendliche mit DDR-Fahnen vor dem Reichstag am 1. Mai 1991

Foto: Rolf Zöllner/Imago

Das viel diskutierte Buch von Katja Hoyer über die Geschichte der DDR hat mich dazu gebracht, den innerdeutschen Frieden und Unfrieden als exemplarisch anzusehen und mich zu dem Versuch inspiriert, daraus eine Perspektive zum besseren Verständnis der Weltlage zu gewinnen. Ich will die Weltlage zunächst resümieren.

Der Unfriede, wo er sich heute als pure Anwendung oder Androhung von Gewalt zeigt – dem russischen Überfall auf die Ukraine, der chinesischen Militärmanöver vor Taiwan oder in beanspruchten ozeanischen Gebieten -, ist stets nationalistisch unterfüttert. Nationalismus ist die Abwehr des „Fremden“, während Friede umgekehrt die Praxis wäre, sich mit dem Anderen „auseinanderzusetzen“: auf Stühlen, die verschieden sind und auch bleiben, doch im selben Zimmer, ja indem man einen Kreis zum Reden bildet, statt einander den Rücken zuzukehren. Sich auseinander- und sich zusammensetzen ist dasselbe. Nationalismen reden nicht miteinander, sondern wehren einander nur ab. Aber auch der Westen wehrt nur ab, und wo es schon brennt, gießt er noch Öl ins Feuer.

Nationalismen bieten ihre Geschichte auf, die sie in bestimmter Weise deuten, das heißt instrumentalisieren. So beruft sich die russische Führung auf die Geschichte der christlich-orthodoxen Religion seit Byzanz, in dessen Nachfolge zu stehen sie mehr oder weniger explizit beansprucht. Wenn das die russische Geschichte ist, ist die Ukraine ein Teil davon. Und so sieht die chinesische Führung Taiwan als Teil Chinas, weil es noch 1945 einer war. Dass sich Geschichte in radikalen Wenden ereignet, so also, dass unvorhersehbar Neues geschieht, Revolutionen etwa oder die Zerlegung einer Nation in zwei Nationen, oder beides in Einem – die USA sind so entstanden -, wird von Nationalisten nicht anerkannt.

Im Westen hat man nach 1990 geglaubt, solche Probleme gehörten nunmehr der Vergangenheit an. Ein „Ende der Geschichte“ sei erreicht, und das war so gemeint, dass es nun friedlich zugehen werde. Die Gewähr dafür sollte „die Globalisierung“ sein, eine homogene Wirtschaft der ganzen Welt, in der alle mit allen im friedlichen Handel vereint sein würden. So ist es aber nicht gekommen: Im Westen selber gibt es jetzt Kräfte, die zur „Deglobalisierung“ aufrufen, womit ausgerechnet eine Abkopplung von China gemeint ist, also eine Verschärfung der Spannungen zwischen China und den USA um die ökonomische, damit auch politische Vorherrschaft in der Welt. Der US-Präsident Joe Biden hat gerade erst wieder die Führer der chinesischen KP öffentlich als „üble Kerle“ beschimpft und Lügen über die chinesische Ökonomie verbreitet: „China habe die ‚höchste Arbeitslosenquote überhaupt‘ und mehr Rentner als Menschen im erwerbsfähigen Alter“ (FAZ von 12.8.).

Die Geschichte ist offenbar noch nicht zu Ende. Sie ist es so wenig, dass der Westen jetzt mit Indien gegen China zusammenarbeitet, obwohl auch dieses Land zurzeit krass nationalistisch geführt wird. Die Partei des indischen Premierministers Narendra Modi sieht die hinduistische Religion als Wesen der Landesgeschichte und macht deshalb indische Muslime zu Nichtbürgern, dabei hat der Islam gerade auch in Indien eine bedeutsame Rolle gespielt. Man fragt sich, ob eine Parallele zum russischen Überfall auf die Ukraine nicht darin bestehen könnte, dass indische Nationalisten bald einmal die Existenz des islamischen Pakistan nicht mehr anerkennen, weil es früher zu Indien gehörte.

Die DDR war national, nicht nationalistisch

Da sich nun alles, was angeführt wurde, im Fall der deutschen Nation wie in einem Brennglas spiegelt, führt es vielleicht weiter, ihn als pars pro toto zu analysieren. Dazu lädt Katja Hoyers Buch ein. Ein erster Hinweis darauf, dass es sinnvoll sein könnte, liegt darin, dass sie das Wort vom „Ende der Geschichte“ auf Deutschland anwendet: Mit dem, was 1990 die Wiedervereinigung genannt wurde, habe man das Ende der DEUTSCHEN Geschichte erreicht zu haben geglaubt, das sei aber ein Irrtum gewesen. Man solle dieses Ereignis eher als eine Wegmarke in einem weiterlaufenden dynamischen Prozess begreifen, wie schon die deutsche Vereinigung 1871 eine solche gewesen sei. Überhaupt unterstreicht Hoyer den bemerkenswerten Umstand, dass die deutsche Nationalgeschichte zwischen 1871 und 1990 nur erst 120 Jahre umfasst hat und die Geschichte der DDR davon ein ganzes Drittel einnimmt. Es wäre schon deshalb absurd, sie als Petitesse abzutun. Sie ist ebenso wenig, wenn auch aus ganz anderen Gründen, ein „Vogelschiss“ wie die NS-Zeit. So wurde sie aber nach 1990 behandelt.