Die nun schon so oft erhobene Forderung, den Ukraine-Krieg durch Friedensverhandlungen zu stoppen – allein seit dem Februar durch Jürgen Habermas, Sahra Wagenknecht / Alice Schwarzer, Peter Brandt und viele andere –, stößt dermaßen auf taube Ohren, dass man befürchten muss, sie werde bald gar nicht mehr laut. Was soll man denn überhaupt noch tun? Auch scheint die Forderung immer mehr an der Realität vorbeizugehen: Zuletzt hat der US-Außenminister Antony Blinken zu erkennen gegeben, dass sein Land die Absicht der ukrainischen Regierung, die Krim zurückzuerobern, militärisch unterstützt; dabei ist die Anerkennung des russischen Anspruchs auf die Krim, ob ausgesprochen oder nicht, ein Element praktisch aller Vorschläge ei
Russland, China und der Westen: Einen Weltkrieg verhindern
Zukunft Verhandlungen für den Frieden fordern viele. Doch mit Blick auf Taiwan reicht es längst nicht mehr, dies allein auf den Krieg in der Ukraine zu beziehen

Das Foto dieser Taube wurde übrigens in China aufgenommen
Foto:Vu/Laif
eines möglichen Friedens. Auf der anderen Seite hat der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärt, sein Land kämpfe gegen den Anspruch der USA, die Welt zu dominieren. Kann sich im Ernst jemand vorstellen, Russland werde sich, wenn das die russische Perspektive ist, jemals aus der Ostukraine zurückziehen oder herausschießen lassen? Zumal Lawrows Erklärung auch China einbegreift, das zwar versichert, Russland nicht mit Waffen zu unterstützen, den Dominanzanspruch der USA aber ebenfalls behauptet und ebenfalls zurückweist.In Wahrheit bedeutet das aber, dass die Friedensforderung, statt obsolet zu werden, ihre Beschränktheit auf den Ukrainekonflikt überwinden muss; anders führt sie nicht mehr weiter und anders würde sie auch – weiterhin – den Kern des Konflikts verfehlen. Dieser ist nicht in einem einzelnen Staat und auch nicht in ganz Osteuropa, sondern auf Weltebene zu verorten: Die Spannung zwischen den mächtigsten Militärmächten der Welt, den USA und der Nato einerseits, China und Russland andererseits, nimmt immer mehr zu und statt dass versucht wird, sie abzubauen, verlegen sich alle zunehmend nur noch aufs Drohen und Beschuldigen. Das ist eine unglaubliche, aber reale Perversion, zumal es nicht mehr bei Worten bleibt; vom Ukrainekrieg wird man vielleicht einmal sagen, mit ihm habe der dritte Weltkrieg begonnen, und auch die Manöver an Taiwans Grenzen erscheinen in diesem Licht, oder in dieser Dunkelheit. Die Umstände sind so, dass die Friedensforderung notwendiger ist als je, aber es ist höchste Zeit, sie weiterzuentwickeln: Es geht heute nicht nur darum, einen schon tobenden Krieg zu beenden, sondern auch darum, einen, der noch weit schlimmer wäre, im Keim zu ersticken. Was in der Ukraine und vor Taiwan geschieht, sind solche Keime.Nawalny und AssangeUnser Ansprechpartner ist die deutsche Regierung: Von ihr müssen wir fordern, dass sie sich für internationale Friedensverhandlungen einsetzt, statt sich, wie es der Fall ist, an der Aufheizung der Spannungen zu beteiligen. Wenn das unsere Forderung ist, kann niemand behaupten, sie ginge an der Realität vorbei, denn noch ist der Weltkrieg nicht ausgebrochen, und man könnte solche Verhandlungen so führen, dass der Ukrainekrieg erst einmal ausgeklammert wird. Ihr Gegenstand wäre die wechselseitige Wahrnehmung der Perspektive der jeweils anderen Seite, ihr Ziel der Ausgleich der Perspektiven, statt dass sie, wie es geschieht, mit immer größerer Wut gegeneinander ausgespielt werden. Wenn sie ausgeglichen wären, und wahrscheinlich nur noch dann, bestünde auch die Chance, den Ukrainekrieg durch einen Friedensvertrag zu beenden.Die chinesisch-russische Perspektive ist, wie gesagt, dass man sich gegen einen weltweiten Dominanzanspruch der USA zur Wehr setze; die Perspektive der USA, es finde weltweit ein Kampf zwischen Demokratie und Autoritarismus statt, einem Autoritarismus, der expansiver werde und die internationale Ordnung, die Souveränität der Staaten – der Ukraine oder Taiwans – nicht mehr akzeptiere. Zunächst muss unterstrichen werden, dass es wirklich um Perspektiven geht und nicht bloß um „Narrative“, von denen heute im Westen so gern gesprochen wird. Ja, es gibt Narrative, auf allen Seiten übrigens, nicht nur auf einer, und ja, sie können unwahr oder sogar absichtlich erlogen sein. Dass aber China und Russland wirklich annehmen, es gebe den Dominanzanspruch der USA, wird ja wohl niemand bestreiten wollen. Und wenn nun die USA sagen, sie erhöben gar keinen Dominanzanspruch für sich als Staat, sondern unterstützten nur überall auf der Welt die demokratische Entwicklung? Bon, das können sie sagen, aber sie sollten es in einer Verhandlung sagen müssen. Dafür, dass es zu ihr bislang nicht kommt, sorgen freilich beide Seiten: Der Westen, indem er China und Russland einseitig beschuldigt – „einseitig“ insofern, als er nie einbezieht, dass er in allen, wirklich allen von ihm monierten Missständen immer auch sich selbst beschuldigen müsste –, aber auch China und Russland, indem sie auf die erhobenen Vorwürfe immer nur antworten, sie verbäten sich die Einmischung in innere Angelegenheiten.Eine Verhandlung würde möglich, wenn sie stattdessen sagten, es gebe ein Grundgesetz, das man anzuerkennen habe: Man darf nicht von der anderen Seite etwas verlangen, das man nicht auch von sich selbst verlangt. Würden die USA sie nicht akzeptieren, wäre das der Beweis, dass sie tatsächlich die Dominanz in der Welt beanspruchen. Denn sie würden Regeln für alle setzen, sich selbst aber von ihrer Einhaltung ausnehmen. Wenn zum Beispiel kritisiert wird, dass China in seiner Provinz Xinjiang Menschenrechte verletze, ist es denn keine Menschenrechtsverletzung, wenn Afroamerikaner, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, von US-staatlichen Polizisten erschossen oder erschlagen werden? Ist es schlimmer, wie Alexei Nawalny als wie Julian Assange behandelt zu werden? Ja, durchaus, aber vergleichbar ist es schon. Solche Vergleiche sind kein „Whataboutism“, wenn sie in einer Friedensverhandlung zu dem Zweck, einen gemeinsamen Maßstab zu gewinnen, vorgebracht werden.Im Gegenzug dafür, dass die USA das Recht und die Notwendigkeit solcher Vergleiche anerkennen, müssten China und Russland aufhören, von „Einmischung“ zu reden, wenn nur Missstände kritisiert werden. Wenn solche, wie gesagt, von jeder Seite auf der anderen und auch eigenen Seite thematisiert werden. Der russische militärische Überfall auf die Ukraine, das ist Einmischung! Wie auch 2003 der US-amerikanische auf den Irak. Man kann aber heute nicht mehr so tun, als hätten nicht alle Menschen das Recht, daran Anteil zu nehmen, was mit einigen Menschen geschieht, egal ob im eigenen Staat oder einem anderen. Darüber muss immer verhandelt werden können, was ja auch gar keine Neuigkeit ist. Man denke nur an die Antifolter-Konvention, die bindendes Völkerrecht ist: Wenn die USA kritisieren, sie werde in Russland verletzt, und wenn Russland umgekehrt die USA kritisieren würde, ist das so wenig eine Einmischung, als wenn ich eine Rechtsverletzung im Inland beobachtet habe und anzeige.Wahrheit und PerspektiveNehmen wir an, es würde verhandelt: Dann stünde auch die Perspektive der USA auf dem Prüfstand. Zunächst einmal müssten sie einräumen, dass ihre Rede, es finde weltweit ein Kampf zwischen Demokratie und Autoritarismus statt, nicht einfach die Wahrheit ist. Sie ist nicht nur keine wahre Aussage, sondern überhaupt nicht nur eine Aussage, vielmehr eben eine Perspektive: So möchten die USA die Welt sehen – das heißt nicht schon, dass sie so ist! Haben sie nicht den Autoritarismus im eigenen Land, Stichwort Donald Trump? Gibt es ihn nicht im Westen, Stichwort Palästina? Gehört nicht die Türkei zur Nato? Ist es nicht autoritär, wenn die Nato sich das Recht zuschreibt, unabhängig von der Zustimmung der UNO Kriege zu führen, wo dann etwa von einem souveränen Staat (Serbien) eine Provinz abgetrennt wird? Sobald man aber einräumt, dass „Demokratie gegen Autoritarismus“ eher eine Perspektive als eine wahre Aussage ist, muss und kann man auch einräumen, dass auch die andere Seite nicht einfach nur lügt – sicher lügt sie (zum Beispiel Russland, wenn es behauptet, die ukrainische Führung bestehe aus Nazis), aber man selbst tut es ja auch (wie 2003, als dem Irak Massenvernichtungswaffen angedichtet wurden) –, sondern ebenfalls aus einer Perspektive heraus spricht und handelt. Und dann kann die Verhandlung beginnen, wie gesagt als Versuch, sich auf eine gemeinsame Perspektive zu einigen.In der Taiwan-Frage scheint es besonders aussichtslos, China davon zu überzeugen, dass es für alle Seiten gut wäre, über sie noch einmal zu verhandeln. Das ist deshalb so, weil die USA ja anerkannt haben, dass es nur ein China gibt und Taiwan zu ihm gehört. Der Wunsch Taiwans, von Festlands-China unabhängig zu werden, ist dennoch legitim, aber wenn der Westen in diesem Zusammenhang nicht einräumt, dass er selbst keinen Separatismus duldet, Stichwort Katalonien, kann keine friedliche Lösung gefunden werden. Er hat ja nicht einmal die Abtrennung der serbischen Provinz Kosovo offen befürwortet, sondern hat sie hinterrücks erzwungen durch die unannehmbare Forderung, die Nato müsse in Serbien einmarschieren dürfen und von Serbien dort auch noch bezahlt werden.Geht es nicht auch darum, dass die USA ihre weltweite ökonomische Dominanz nicht an China verlieren wollen? Wenn wirklich gar nichts dran ist an der chinesisch-russischen Perspektive, dass die USA um der ökonomischen Dominanz willen immer auch die politische und militärische beansprucht haben, müsste es dann nicht möglich sein, sich auf gemeinsame Regeln für den Handel zu einigen, untereinander wie in anderen Weltregionen, in Afrika etwa oder was die Neue Seidenstraße angeht? Friedliche Lösung! Die Beteiligten, auch unsere Regierung, haben immer noch Zeit, sie zu suchen. Es nicht zu tun, wäre verbrecherisch.