China Peking hat gezeigt, worin eine chinesische Antwort auf das amerikanische Pokern mit Taiwan bestehen kann: In einer Blockade der Insel. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat in Peking die große Chance einer Deeskalation verpasst
Ein Kampfjet-Pilot der chinesischen Volksbefreiungsarmee am 9. April nahe Taiwan
Foto: Mei Shaoquan/Xinhua/AP/dpa
Zu Recht meinte Annalena Baerbock während ihres Besuches in Peking, dass ein bewaffneter Konflikt zwischen Festlandchina und Taiwan ein „Horrorszenario“ sei. Was sie zu Unrecht verschwieg, dass man es in diesem Fall mit einem Zusammenstoß zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten zu tun bekäme. Auch wenn der vorläufig noch vermieden werden kann, lässt er sich doch längst nicht mehr ausschließen. Die Biden-Regierung hat den Gegner Nr. 1 zwar nicht ausdrücklich zum Feind erklärt, behandelt ihn aber kaum anders. Sie reiht eine Taiwan-Provokation an die andere, um China dort zu treffen, wo es besonders schmerzt – bei seinem Verständnis von Souveränität und territorialer Integrität.
Wenig ü
enig überraschend hat das jüngste Manöver der Volksbefreiungsarmee rings um Taiwan gezeigt, wie sich der Konflikt als Krieg entladen kann. Während bei der mittelschweren Taiwan-Krise 1995/96 die Operationen mehr im Westen der Insel stattfanden, gab es sie diesmal ringsherum. Simuliert wurde weniger die Einnahme als eine Blockade Taiwans. Es fehlte nicht viel, und die beteiligten Luft- und Seekräfte hätten den Ring schließen können. Mit der „Shandong“ war sogar ein Flugzeugträger beteiligt, dazu patrouillierten Unterseeboote, die mit Nuklearwaffen bestückt werden können. Die Bandbreite war die Botschaft des Manövers. Sie lautete, eine chinesische Antwort auf das amerikanische Pokern mit Taiwan kann gegeben werden. Sie reicht weit über das Südchinesische Meer hinaus. Mit einem Abriegeln Taiwans wäre die Weltwirtschaft getroffen, weil voerübergehend um ihren wichtigsten Chip-Lieferanten gebracht. Die USA müssten einiges riskieren, um das Blatt zu wenden.Gunst der StundeChina hat insofern mehr als nur angedeutet, dass es zu strategischer Gegenwehr bereit ist, um den Amerikanern Paroli zu bieten. Es bedarf keiner übermäßigen politischen Fantasie, dieses Statement zu entschlüsseln. Und es reicht der unvoreingenommene Blick, um zu begreifen, dass es weder deutschen noch europäischen Interessen zum Vorteil gereicht, im pazifischen Raum eine nach oben offene Eskalationsskala durch ergebene Gefolgschaft mitzutragen. Folglich greift es zu kurz, dass Ministerin Baerbock in Peking über Taiwan redet, ohne auf Ursachen für die Hochspannung zwischen China und den USA einzugehen. Sicher ist das ein Zeichen fehlender Souveränität, aber wohl auch des Unvermögens oder Unwillens, von der Gunst der Stunde zu zehren.Immerhin hatte Frankreichs Präsident kurz vor Baerbocks China-Besuch der EU in einem Interview nahegelegt, sie solle zu einer eigenständigen Taiwan-Position finden, statt Vasall der USA zu sein. Was nicht heiße, sich deshalb China anzunähern. Dass Emmanuel Macron derart ausschert, hat Gründe. Sie sind nicht zuletzt in den Erfahrungen zu suchen, die seinem Land in der Pazifikregion während der vergangenen Jahre zuteilwurden. Kollisionen mit der China-Politik der Brüsseler EU-Zentrale waren früher oder später zu erwarten – auch als Reaktion auf das zerrüttete Verhältnis zwischen Washington und Peking. Zur Erinnerung: Ende 2020 lag ein vollständig ausgehandeltes Investitionsabkommen zwischen der EU und China vor, das allenthalben als Durchbruch für die Rechts- und Investitionssicherheit europäischer Unternehmen in China galt. Ausgehandelt hatten das im direkten Kontakt mit Präsident Xi Jinping die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel für den scheidenden deutschen EU-Ratsvorsitz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. Es sollte Frankreich vorbehalten sein, im ersten Halbjahr 2022 als dann amtierender Ratspräsident den Vertrag zu besiegeln. Daraus wurde nichts, weil Teile des EU-Parlaments ein Veto einlegten, die EU-Kommission auf Abstand ging, die USA intervenierten. Seither liegt das ambitionierteste Abkommen, das China allein wegen der darin verankerten Sozialstandards – sie bezogen sich ausdrücklich auf die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – je mit einem Partner abschließen wollte, auf Eis.Noch einschneidender war für Paris im September 2021 der Verlust eines lukrativen Rüstungsgeschäfts mit Australien. Dessen damaliger Premier Scott Morrison kündigte die 2016 getroffene Übereinkunft zum Erwerb französischer U-Boote mit konventionellem, sprich: elektrischem Antrieb. Canberra zog das Angebot der USA und Großbritanniens vor, mit atomgetriebenen Unterwasserschiffen ausgestattet zu werden. Wofür als Gegenleistung nicht mehr anfiel, als dem Militärpakt AUKUS beizutreten. Der verhieß neben hochwertiger Aufrüstung eine stete Marine- und Luftwaffenpräsenz der beteiligten Staaten in der Indopazifik-Region. Wohlgemerkt, zusätzlich zum bestens ausgebauten Netz amerikanischer Basen – auf dem japanischen Archipel Okinawa, in Südkorea, auf den Philippinen, auf Guam, Diego Garcia im Indischen Ozean und in Singapur. Ein geostrategischer Fußabdruck sondergleichen, verstärkt durch Kampfgruppen rings um Flugzeugträger, von denen die USA notfalls elf in Marsch setzen können. China wäre im Kriegsfall schwer auf sich selbst zurückgeworfen. Allein die drei AUKUS-Staaten könnten im Verbund mit Japan und Südkorea eine weit gefächerte Seeblockade aufziehen, um den Zugang zu den angrenzenden Weltmeeren zu verhindern und chinesischer Handelsmacht einen Schlag zu versetzen, mit dem es an die ökonomische Existenz ginge. Frankreich wollte sich in seinen Überseegebieten Neukaledonien, Polynesien, Wallis und Futunau dieser Mobilmachung nicht anschließen, teils als Reaktion auf den AUKUS-Affront, teils aus dem Bestreben, die sich abzeichnende Konfrontation in der Pazifikregion aufzuhalten. Deutschland hat das gewiss zur Kenntnis genommen, aber keine vergleichbare Zurückhaltung zustande gebracht. Lieber wurde Ende 2021 die Fregatte „Bayern“ für die US-Großübung „Annual Exercise 21“ im Indopazifik in Marsch gesetzt (der Freitag 20/2021). Wenn Baerbock zum Auftakt ihrer China-Reise behauptet hat, dass „die französische China-Politik eins zu eins die europäische China-Politik widerspiegelt“, zeugt das von einem gestörten Verhältnis zur Wahrheit und verschenkt die Option, an der Seite Frankreichs antichinesischer Blockbildung in Maßen zu widerstehen. Abgesehen davon, dass wie selbstverständlich ignoriert wird, wie sehr China durch den Aufmarsch seiner Gegner unter Druck gesetzt ist. Weit aus der DeckungWomöglich hat sich die Volksbefreiungsarmee mit ihrem jüngsten Taiwan-Manöver auch deshalb weit aus der Deckung bewegt. Es waren Potenziale aufgeboten, die als see- und luftgestützte Trägersysteme für ballistische Raketen und Marschflugkörper infrage kommen, um US-Flugzeugträger wie Stützpunkte zu treffen. Es ging um Taiwan, gemeint waren die USA.Wenn die deutsche Außenministerin unter diesen Umständen vom „systemischen Rivalen China“ spricht, weiß sie hoffentlich, dass damit auch ein Schlagabtausch der Systeme in Reichweite ist. Für China stehen elementare Interessen auf dem Spiel, die derzeit nur gegen die USA, nicht im Ausgleich mit ihnen zu wahren sind. Der Unterschied zur Lage Russlands vor dem Ukraine-Krieg erscheint so gravierend nicht.
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