Rückzug von Dietmar Bartsch: Kein Grund zum Verzweifeln
Meinung Wenn die Linke übernächstes Jahr aus dem Bundestag fliegen sollte, wäre das schlimm, aber nicht der Weltuntergang: Wichtig ist das linke Projekt. Und dafür könnte ein Blick nach Osten helfen
Bald nicht mehr als Fraktionsvorsitzender der Linken: Dietmar Bartsch im Bundestag
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Das kann einen schon irritieren: Dietmar Bartschs Rückzugsankündigung nur wenige Tage nach dem entsprechenden Bescheid Amira Mohamed Alis, seiner Co-Vorsitzenden in der Fraktionsspitze der Linken. „Engste politische Freunde“, teilt Bartsch mit, hätten im Voraus gewusst, dass er im September nicht wieder kandidieren werde, und die Entscheidung sei „lange vor der vergangenen Bundestagswahl gefallen“. Viele dieser Freunde hätten ihn „in den vergangenen Tagen und Wochen“ gedrängt, sie doch noch mal zu überdenken. Dass Ali ebenfalls nicht mehr kandidieren will, hatte sie am 7. August mitgeteilt, vor gut einer Woche also.
Da Bartsch die Gespräche in seinem Freundeskreis auf „Wochen“ terminiert, sieht es nun so aus,
seinem Freundeskreis auf „Wochen“ terminiert, sieht es nun so aus, als habe der Tag der Bekanntgabe seines Rückzugs vor Alis Rückzug festgestanden, und man fragt sich, ob Ali von ihm wusste. Ali, eine Vertraute Sahra Wagenknechts, gehört zwar sicher nicht zu Bartschs „engsten politischen Freunden“, noch weniger aber kann das von Janine Wissler gesagt werden, die jetzt ebenfalls mitteilt, sie und ihr Co-Parteivorsitzender Martin Schirdewan seien „in den letzten Tagen in engem Austausch mit Dietmar Bartsch“ gewesen.Zwischen Wagenknecht und WisslerBartsch teilt weder Wagenknechts Positionen noch diejenigen Wisslers, der Westdeutschen, die er als Repräsentantin einer großstädtischen „Bewegungslinken“ ansieht, doch er hatte gewählt: sich erst mit Wagenknecht und dann mit Ali zum „Hufeisen“ zusammengetan, einem Bündnis zur gegenseitigen Machtsicherung. Für Ali setzte er sich ein, während er Caren Lay, auch eine Repräsentantin der „Bewegungslinken“, ablehnte. Dass er sich nun aber nicht bereden ließ, seinen vorgefassten Rückzugsplan, wenn nicht zu überdenken, dann doch wenigstens zu modifizieren, ist schon erstaunlich.Hätte er mit der Bekanntgabe nicht noch ein bisschen warten können? Und die Zeit dafür nutzen, an einer Nachfolge-Konstellation zu arbeiten, die der Fraktion ein Mindestmaß von Zusammenhalt verspricht? Man gewinnt den Eindruck, dass er einen Weg, solches zu erreichen, nicht mehr sieht. Das spricht auch aus seiner Rückzugserklärung: Wer jetzt über das Ende der Linken schwadroniere, heißt es da, werde ein weiteres Mal irren, „wenn“ die Werte der Linken „wieder“ deren Handeln bestimmen. Dass er diese Werte mit „Menschlichkeit, Solidarität, Herzlichkeit und viel Lächeln“ angibt, lässt an den Zustand der Fraktion denken, in der wahrscheinlich nicht mehr viel gelächelt wird. Die Fraktionsmitglieder kämpfen für gesellschaftliche Solidarität, sind aber nicht fähig, es in gemeinschaftliche Freundlichkeit, geschweige Herzlichkeit zu übersetzen.Alexander Ulrich, auch ein Wagenknecht-Vertrauter, hat also recht, wenn er Bartschs Rückzug mit den Worten kommentiert, die Partei befinde „sich ganz offensichtlich in Auflösungserscheinungen“. Es ist zwar ein etwas zynischer Kommentar, da diese Auflösung ja wohl hauptsächlich in dem Umstand „erscheint“, dass Wagenknecht laut über eine Parteineugründung nachdenkt.Krise linker PolitikAber man sollte hier einen Schritt zurücktreten und die Vorfälle als Anzeichen einer allgemeinen Krise linker Politik überhaupt sehen, die ja nicht nur in Deutschland zu Auflösungserscheinungen geführt hat. In Italien etwa konnten sich die verschiedenen linken Parteien auf keinen Minimalkonsens einigen, als sie sogar noch die Regierung stellten, so dass nun eine Nachfolgepartei der italienischen Faschisten regiert. Damit verglichen muss man es ja begrüßen, dass eine neue Wagenknecht-Partei den deutschen Rechtspopulisten, der AfD, viel eher Stimmen abjagen wird, als ihr die Macht zu überlassen.Aber die Krise linker Politik ist so nicht gelöst, sie kann nicht gelöst werden von einer Politikerin, von der ein Björn Höcke sagt, er könne sie sich als Mitglied der AfD vorstellen. Auch wenn man Höcke nicht folgt, und ich folge ihm überhaupt nicht, deuten seine Worte doch darauf hin, welche Art Menschen mutmaßlich in eine Wagenknecht-Partei strömen werden. Nein, so sehr zu hoffen ist, dass Wagenknecht solche Menschen läutert – die Krise der Linken muss anders gelöst werden.Wir sind jetzt an dem Punkt, wo begriffen werden könnte, dass der Ausdruck „links“ zu leer ist, eine hinreichend bestimmte Politik zu bezeichnen. Er umfasst deshalb jetzt so Verschiedenes, dass es immer weniger unter einen Hut passt. Nur dass man für eine gerechte Sozialpolitik eintritt, eint alle, aber das ist zu wenig. Es ist nicht deshalb zu wenig, weil Sozialpolitik nicht so wichtig wäre – im Gegenteil, nichts ist wichtiger -, sondern deshalb, weil Sozialleistungen, die man fordert, nie von dem Gesellschaftsentwurf zu trennen sind, den man als Ziel vertritt. Haben Linke noch, oder wieder, nach 1990, einen solchen Entwurf? Sie haben ihn nicht und das ist der Grund ihrer Krise. Kein Ziel zu haben definiert den Nihilismus.Ich habe gerade Michael Bries neuestes Buch gelesen, er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Das Buch lässt ein starkes Interesse an Teilen des chinesischen Gesellschaftsentwurfs erkennen. Auf dieser Ebene müsste diskutiert werden, und am Ende müsste ein Projekt stehen! Das ist es doch, wofür man eine sozialistische Partei braucht. Wenn die Linke im übernächsten Jahr aus dem Bundestag fliegen sollte, es wäre schlimm, aber nicht der Weltuntergang: Auch die Grünen sind schon mal rausgeflogen und kehrten gestärkt zurück. Wichtig ist das Projekt.