Virgin-Galactic-Flug mit Fossilien an Bord: Himmelfahrt der Menschenaffen

Weltraumtourismus Raumfahrer setzten schon immer Zeichen mit dem, was sie mit ins All nahmen. Der dritte Touristenflug von Virgin Galactic hatte gerade Fossilien menschlicher Vorfahren an Bord. Was verbirgt sich dahinter?
Ausgabe 38/2023
Weil die Menschenaffen vor Millionen Jahren schon den gleichen Traum hatten, wie Milliardäre heute
Weil die Menschenaffen vor Millionen Jahren schon den gleichen Traum hatten, wie Milliardäre heute

Foto: Virgin Galactic

Seit Beginn der bemannten Raumfahrt setzen Raumfahrer Zeichen mit dem, was sie ins All mitnehmen oder nicht mitnehmen. So lasen sich die ersten US-amerikanischen Mondbesucher aus einer mitgebrachten Bibel vor, während der erste Mensch im All überhaupt, der Sowjetrusse Juri Gagarin, gesagt haben soll, er habe im Himmel keinen Gott gefunden.

Danach ist die Symbolik sehr heruntergekommen, zum Beispiel wurden gern Stofftiere eingepackt. Aber heute, wo die Weltraumtouristik Fahrt aufnimmt, scheinen wieder große Gesten beliebt zu werden: Beim dritten Touristenflug des Unternehmens Virgin Galactic am 8. September nahm einer der drei Gäste an Bord, der britische und südafrikanische Bürger Timothy Nash, zwei Fossilien von Vorfahren des Menschen mit. Er ist Forscher auf diesem Gebiet. Das eine Fossil ist ein Australopithecus sediba, aus der Gattung Menschenaffen (Hominiden), zu denen auch der Orang-Utan gehört, zwei Millionen Jahre alt; das andere ein Homo naledi, 250.000 Jahre alt und damit Zeitgenosse der ersten Menschen, die es seit ca. 300.000 Jahren gibt und von denen er sich etwa durch sein sehr viel kleineres Schädelinnenvolumen unterscheidet. Der Erstgenannte fing schon an, auf zwei Beinen zu gehen, „wenn auch wohl sehr wackelig“, wie es heißt, war aber vor allem ein guter Kletterer. Auch der Zweite kletterte noch gern, konnte aber schon weite Strecken gehend bewältigen.

Die Erde verlassen – „ein uralter Menschheitstraum“?

Nash sagt, er sei „demütig und geehrt, Südafrika und die gesamte Menschheit zu vertreten, wenn ich diese kostbaren Repräsentationen unserer kollektiven Vorfahren auf diese erste Reise unserer alten Verwandten ins All mitnehme“. Und was ist der Sinn? Von Matthew Berger, der das erste Fossil entdeckt hatte, hören wir, es sei eins der frühen „Individuen“ gewesen, „die wahrscheinlich genauso verwundert zu den Sternen aufblickten wie wir“. Das begründet wohl die Mitnahme: Schon dieser Vorfahr hätte gern Raumfahrt betrieben, konnte es nur noch nicht! Von uns selber, dem Homo sapiens, hören wir ja längst, ins All zu fliegen sei ein „uralter Menschheitstraum“. Wenn wir daher jetzt miterleben, wie unsere Erde brennt, muss sie wohl nicht gerettet werden, jedenfalls geschieht das ja nicht, sondern stattdessen erfüllt sich die Menschheit jenen Traum, indem sie demnächst die Erde verlässt und anderswohin umzieht. Das wird uns zunehmend suggeriert, nicht nur in den Büchern Yuval Hariris. Wer Geld hat, wie jene Touristen, gönnt sich schon mal einen Vorgeschmack. Eine halbe Million Dollar soll so ein Flug, der ein paar Minuten dauert, jetzt kosten.

Es ist schön, sich dergleichen im Film anzusehen: wie Menschenaffen „verwundert zu den Sternen aufblicken“ und wohl gar auf einen Baum klettern, um den Mond mit der Hand zu erhaschen (2001 – Odyssee im Weltraum). Aber worüber sollten sie sich gewundert haben? Platon dürfte mehr Recht haben, wenn er sagt, das Staunen sei der Anfang der Philosophie – die gibt es noch nicht lange. Und setzt mehr Schädelinhalt voraus als den des Homo naledi. Noch in der Zeit der Mythenbildung war der Himmel zwar ein zentrales Thema, aber kein Rätsel, vielmehr eine Projektionsfläche: Himmel verhält sich zu Erde wie weiblich zu männlich oder umgekehrt, hat Claude Lévi-Strauss das Grundgesetz aller Mythen formuliert. Eichendorff hat’s nicht vergessen: „Es war, als hätt’ der Himmel / die Erde still geküsst.“

Man fühlt sich an Karl Marx erinnert

Im Christentum freilich ist es Erlösung, nach dem Tod in den Himmel zu kommen, falls die Sünden vergeben wurden. Die Säkularisierung dieser Idee hat offenbar Spuren noch im aktuellen Weltraumtourismus hinterlassen. Reiche Menschen glauben heute unbewusst, sie könnten ihre Erlösung qua Himmelfahrt selbst in die Hand nehmen. Und wie barmherzig, dass sie dann nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an die Menschheit, ja die Menschenaffen! Selbst der Australopithecus darf auferstehen, worauf er so lange hat warten müssen! Man fühlt sich an Karl Marx erinnert, der von der Religion sagte, sie sei das Opium des Volkes: Vom Himmel zu träumen verhindert die Inangriffnahme der irdischen Probleme. Ob das Volk den Reichen vergeben wird, wissen wir allerdings noch nicht.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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