Am Ende riss Richterin Linda Chan der Geduldsfaden, und sie folgte dem Antrag der Gläubiger, die Auflösung des hochverschuldeten Immobilienkonzerns Evergrande anzuordnen. Daraufhin stürzte dessen Aktie um bis zu 20 Prozent ab, der Handel wurde ausgesetzt. Der Konzern kann in Berufung gehen, aber die Abwicklung muss laut gerichtlicher Anordnung sofort beginnen – in Hongkong zumindest. Sollte das Urteil für ganz China gelten, ist Evergrande am Ende.
Das Verfahren zog sich mehr als anderthalb Jahre hin. Es ging um 23 Milliarden Dollar Auslandsschulden, bei Verbindlichkeiten des Unternehmens von insgesamt mehr als 300 Milliarden. Nur ausländische Gläubiger hatten in Hongkong geklagt, das zwar Teil des chinesischen Staates ist, aber als Sonderwirtschaftszone R
ist, aber als Sonderwirtschaftszone Rechtsnormen unterliegt, die sich an das britische „common law“ halten.Daher hofften die Gläubiger, bei den Richtern in Hongkong mehr Gehör zu finden. Unangenehm für die Regierung in Peking, die Evergrande zuletzt mehrfach mit erheblichen Summen gestützt hat, um zu verhindern, dass hochverschuldete Immobilien- und Baufirmen in China reihenweise umfallen. Nur genützt hat es nichts, im ganzen Land gibt es nach wie vor Millionen unvollendeter, unbewohnbarer Wohnungen. Durch den Bankrott von Baufirmen gehen zudem Zehntausende Jobs verloren. Der Regierung könnte erneut nichts anderes übrig bleiben, als zähneknirschend einzugreifen.Zunächst einmal muss sie entscheiden, was von dem Richterspruch in Hongkong übernommen wird und was nicht. Unstrittig ist, dass ohne ein Plazet aus Peking kein Insolvenzverwalter in der Evergrande-Zentrale Guangzhou tätig werden kann. Das müsste er aber, um Gläubigerinteressen zu bedienen. Die weitaus meisten Vermögenswerte des Konzerns befinden sich in China. Es kann lange dauern, bis Klarheit herrscht, da Politiker wie Geschäftsleute, Banken wie Bauträger als Betroffene werden mitreden wollen. Die Konzernspitze hat bereits erklärt, einfach weitermachen zu wollen, was den Staat in eine wenig komfortable Lage bringt.China braucht AuslandskapitalDa sind nicht nur externe Gläubiger, die ihr Geld zurückhaben wollen, sondern auch viele Investoren weltweit, die das Insolvenzverfahren scharf beobachten und daraus ihre Schlüsse ziehen. China braucht Auslandskapital. Es sollten Umstände vermieden werden, die China-Anlagen als Wagnis erscheinen lassen. Insofern kann es sich die Regierung kaum leisten, das Hongkong-Urteil zu ignorieren und Investoren zu verschrecken. Sie kann es aber ebenso wenig riskieren, das Urteil zu übernehmen und sämtliche Vermögenswerte des Konzerns zum Verkauf freizugeben.Dann wären dessen Bauprojekte ausnahmslos storniert, Millionen von Chinesen ihr Geld und ihre Immobilien los. Schließlich haben sie bei Evergrande eingekauft und im Voraus bezahlt. Im ganzen Land herrschen Wut und Frust über die Immobilienkrise, sodass ein Riesenskandal droht, den Präsident Xi Jinping natürlich vermeiden will. Fällt Evergrande, strauchelt eine gesamte Branche. Mehr als 4.000 Banken, vor allem aber eine stattliche Reihe von Lokalregierungen kämen in die Bredouille, weil in ihrem Verantwortungsbereich Immobilien drastisch an Wert verlieren und viele Unternehmen in akute Zahlungsschwierigkeiten geraten würden.Es bräuchte einen „Weißen Ritter“, der den Pleiteladen in letzter Minute aufkauft. Aber der ist gerade nicht in Sicht.