Gegen das laute Schweigen

Feminismus Mirna Funks Thesen in „Die Barbie-Feministinnen“ stehen auf wackeligen Beinen: Weder sind alle Ostfrauen emanzipiert, noch können sich alle Frauen einen Porsche leisten

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Was für eine Verwunderung! Der Freitag bringt eine Titelgeschichte zu Barbie-Feministinnen, die im ersten Moment herrlich spitz und gehässig klingt. Doch je weiter sich der Text entwickelt, desto erschreckender der Inhalt. Müssen wir uns als LeserInnen von Mirna Funk auf die Füße getreten fühlen? So kontrovers dieser Themenaufschlag ist, so vielfältig soll auch unsere Antwort darauf sein. Beginnen wir mit der Annahme, die auch die Autorin an den Anfang ihrer These stellt: ostdeutsche Frauen seien im Gegensatz zu westdeutschen schon per se emanzipiert.

Es ist schlichtweg falsch zu behaupten, in der DDR wären Frauen und Männer gleichberechtigt gewesen. Oder wie Mirna Funk schreibt: „Es gab ein Land, in dem die Gleichstellung von Mann und Frau ernsthaft gelebt wurde.“ So einfach war es nicht. Nur ist dieser Fakt nicht weit verbreitet, da sich die feministische Szene in Deutschland bisher kaum mit der Frauenbewegung in der DDR beschäftigt hat und die Ostfrauen wiederum nach der Wiedervereinigung vor allem damit beschäftigt waren, sich gegenüber den Westfrauen zu behaupten und sich gegen den Vorwurf der Rabenmutter zu verteidigen. Das war keine leichte Zeit – aber sie wird nicht verständlicher, indem die Lebensrealität der Ostfrauen zu DDR-Zeiten verkannt und glorifiziert wird.

In den 1980er Jahren entwickelte sich neben der bekannten Bürgerrechtsbewegung auch eine Frauenbewegung, bestehend aus Gruppen wie „Frauen für den Frieden“, „Lesben in der Kirche“, der „lila offensive“ oder schließlich dem „Unabhängigen Frauenverband“. Die Frauen dieser Gruppen hatten im Gegenteil überhaupt nicht das Gefühl, sie seien vollkommen gleichberechtigt. Während Frauen zwar in Vollzeit arbeiteten und Kinder hatten, haben sie auch den gesamten Haushalt übernommen und waren natürlich auch diejenigen, die zu Hause blieben, wenn das Kind krank war. Eine starke Belastung, die nicht alle dankend ertrugen. Das zeigen etwa die 1970er und 80er, in denen die Mutterschutzzeit sukzessive verlängert wurde und von den Frauen auch reichlich genutzt wurde. Nicht alle wollen sechs Wochen nach der Geburt wieder arbeiten.

Auch an anderen Stellen war von Gleichberechtigung nicht viel zu spüren: Auch in der DDR haben Frauen im Durchschnitt 30 Prozent weniger verdient, als Männer. Auch in der DDR war das oberste politische Gremium ausschließlich von Männern besetzt. Auch in der DDR waren Lesben unsichtbar oder wurden diskriminiert. Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen sollen, dass in der DDR nicht alles wunderbar war. So verständlich Mirna Funks Impuls ist, sich vor all die ostdeutschen Mütter zu stellen, die ihre feministischen Kämpfe schon gefochten hatten und von deren Früchten wir jungen Feministinnen uns nun ernähren können, so falsch ist dieser.

Die Wahrheit ist: die Ostfrauen konnten ihre Kämpfe nie zu Ende führen. Ihr Ziel, wie auch das der anderen BürgerrechtlerInnen in den 1980ern, war es, die DDR zu reformieren. Was dabei herauskam, hat Bärbel Bohley gut zusammen gefasst: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Und dieser war einer, den viele ostdeutsche Frauen nicht akzeptieren wollten. Am 8. März 1994 gingen west- und ostdeutsche Frauen gemeinsam zum FrauenStreikTag auf die Straßen, um etwa gegen §218, Lohnungleichheit und fehlende gesellschaftliche Teilhabe zu demonstrieren. Heute, 20 Jahre später, werden diese Frauen wieder versuchen, Straßen und Räume zu besetzen. Weil sich eben nicht alles erledigt hat. Weil es noch keine Gleichberechtigung der Geschlechter gibt.

Der rhetorischer Trick, den Funk als roten Faden in ihrem Text nutzt, funktioniert also nicht: das ostdeutsche feministische Erbe kann nicht als argumentativer Deckmantel dienen, um weitläufige Entsolidarisierung gegenüber jeder von uns zu betreiben, die kollektiv und politisch in diesem Land den Mund für den Feminismus aufmacht. Er dient vor allem dazu, ein neoliberales Projekt zu fördern, das Feminismus zu einem individualisierten Aufstiegsprojekt für ein paar gebildete weibliche Einzelexemplare erklärt.

So seien diejenigen unter uns, die Gleichberechtigung thematisieren, einfach nicht so weit emanzipiert, wie Mirna Funk und seien daran entsprechend selbst Schuld: „Sie stehen sich selbst im Weg“, wenn sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordern. Die Aufschrei-Bewegung ist „Geplänkel“ und ein Zeichen der Schwäche, denn das Problem seien nicht die sexistischen Chefs, sondern die Frauen, die sich nicht als Subjekte wahrnehmen. Funk nimmt sich als Subjekt wahr und für sie ist das gar nicht mehr Sexismus, also eine gesellschaftliche Struktur, sondern ein individuelles Wahrnehmungsproblem von westdeutschen Frauen.

Dabei, und das wurde schon vor einem Jahr diskutiert, ist Sexismus eben mehr als eine anzügliche Bemerkung zwischen einem männlichen Chef und einer weiblichen Angestellten. Sexismus betrifft potentiell nicht nur weiße, junge, heterosexuelle Frauen, sondern vermischt sich auch mit Transphobie, Homophobie, Klassismus und Rassismus. Indem Funk diesen Umstand ausblendet, verhandelt sie soziale Probleme wie Unterdrückungsmechanismen auf Küchenpsychologie-Niveau nach dem Motto „befreie dich selbst, dann ist auch die Unterdrückung kein gesellschaftliches Problem mehr“.

Mirna Funk hat, wie sie selbst schreibt, also mehr Angst vor Frauen wie uns, die wir aufschreien, als vor dem Chef, der ihr auf den Arsch schaut. Für sie vertiefen wir die Ungleichheit, weil wir sie überhaupt thematisieren, anstatt ihr lässig mit einem langen Schweigen zu begegnen – so die Wunderwaffe der Emanzipation von Funk. Dass Schweigen die erfolgreiche Strategie zur Erkämpfung von Menschenrechten und Gleichberechtigung ist, leuchtet uns angesichts der Geschichte feministischer Kämpfe nicht wirklich ein. Man stelle sich nur die Fußballwelt vor, hätte Thomas Hitzelsperger sich für Schweigen entschieden. Der Sport wäre um eine wichtige Diskussion ärmer.

Neben diesem ziemlich unpraktikablen Rat des Schweigens stellt Funk uns auch noch als rigide Sexfeindinnen hin und wiederholt damit genau die Argumentation der regressivsten Kräfte der Sexismus-Debatte, mit der gesellschaftliche Machtstrukturen auf individuelles Verhalten in einer Flirtsituation reduziert wurde. Vielleicht sollte Mirna Funk auch ein bisschen in der feministischen Geschichte forschen, um Traditionen des Pro-Sexfeminismus zu finden, die das Ausleben von weiblicher Sexualität feiern, um im gleichen Atemzug Sexismus anzuprangern.

Argumentativ schwach ist auch das Feindbild Barbie. Was meint sie damit eigentlich? Erst am Ende wird uns klar: Mirna Funk selbst ist die Barbie. Sie steht für eine Emanzipationsbewegung, die sich darin erschöpft, viel Geld zu verdienen, sich die gesellschaftlichen Probleme selbst von der Schulter zu fegen und erfolgreich zu sein. Dass ihre Waffe im Verkehrsstreit mit einem Mann ihre Überlegenheit aufgrund ihrer Automarke ist – ihr Porsche sticht den Fiat Punto des Malermeisters – zeugt von einem hässlichen Klassismus. Dass Menschen wie Mirna Funk vor uns Angst haben, ist uns somit wirklich sehr Recht. Wir sind gerne die Schreckensfrauen, die den Barbies Angst machen.

Katrin Gottschalk ist Mitglied der Chefredaktion des Missy Magazine, wurde in der DDR geboren und hat ihre Masterarbeit über die Frauenbewegung der DDR geschrieben. Margarita Tsomou ist Griechin, Mitherausgeberin des Missy Magazines und arbeitet außer zu Feminismus auch zu Fragen von Krise und Demokratie in Griechenland und Europa im Rahmen des Forschungskollegs „Versammlung und Teilhabe“ in Hamburg. Beide Autorinnen haben leider nicht genügend Geld, um sich einen Porsche leisten zu können.

Von Katrin Gottschalk und Margarita Tsomou
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