Diese Mütter arbeiten alle Vollzeit

Armut Neue Zahlen zur Lage Alleinerziehender alarmieren – und veranlassen Zeitungen zu wohlfeilen Ratschlägen
Ausgabe 32/2018
Die neuesten Zahlen über Alleinerziehende machen deutlich, dass Sorgearbeit endlich gesellschaftlich anders wertzuschätzen ist
Die neuesten Zahlen über Alleinerziehende machen deutlich, dass Sorgearbeit endlich gesellschaftlich anders wertzuschätzen ist

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Vergangene Woche veröffentlichte das Statistische Bundesamt Zahlen, die wenig überraschen und dennoch ein Skandal bleiben: Alleinerziehende sind in Deutschland doppelt so stark von Armut bedroht wie die übrige Bevölkerung, auch wenn das Armutsrisiko in den letzten Jahren leicht gesunken ist. 88 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. 58 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten in Teilzeit. Mehr als ein Viertel von ihnen hatte 2017 keine Arbeit. Die Hälfte dieser nicht Erwerbstätigen würde gern arbeiten.

Dabei erregte die Tatsache, dass noch immer nur zwölf Prozent der Männer nach einer Trennung die Kinder übernehmen, kaum die Gemüter. In den letzten 20 Jahren ist hier keinerlei Veränderung zu erkennen. Das Bundesamt weist darauf hin, dass alleinerziehende Väter statistisch für weniger und ältere Kinder allein Sorge tragen und einen besseren Bildungsstand haben. Ein hoher Bildungsstand wiederum lässt eine bessere finanzielle Situation vermuten, die professionelle Kinderbetreuung und Haushaltshilfe ermöglicht. Die Studie mutmaßt außerdem, dass Väter auf mehr Unterstützung von Freunden, Familie oder der Mutter (!) zurückgreifen können als Frauen.

Dass alleinerziehende Väter häufiger arbeiten – und das auch öfter in Vollzeit –, gab diversen Zeitungen Anlass zu gut gemeinten Tipps an Frauen: Der Tagesspiegel riet alleinerziehenden Müttern ganz allgemein, Vollzeit zu arbeiten, die Väter seien dadurch ja auch keine schlechten Väter. Die Süddeutsche empfahl ihnen: „Sich selbst an die Nase fassen und darüber nachdenken, wie Kinder und Arbeit zusammengehen.“ Dazu die implizite Empfehlung, von Anfang an Jobs zu wählen, mit denen sie Kinder allein durchbringen können. Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) las Frauen, die sich trennen und das finanzielle Risiko unterschätzen, ordentlich die Leviten. Auch sie weiß, dass Alleinerziehende Vollzeitjobs brauchen.

Finanziell trifft dies vermutlich sogar zu. Allerdings nur dann, wenn Frauen sich nicht etwa für Berufe wie den der Kita-Erzieherin entschieden haben. Denn in den vor allem weiblich besetzten Pflege- und Sorgeberufen kann eine Arbeiterin auch nach 40 Wochenstunden in einer deutschen Großstadt gerade mal die Miete bezahlen. In diesen Fällen empfiehlt die FAS Frauen im 21. Jahrhundert ernsthaft, dass man „besser hundertmal überlegen sollte, ob man sich wirklich trennen sollte“.

„Nicht Vollzeit arbeiten“ ist jedoch eine ziemlich dreiste Beschreibung der Wochenarbeitszeit einer Teilzeit arbeitenden alleinerziehenden Mutter. Wenn sie keinen Kita- oder Krippenplatz hat, betreut eine Alleinerziehende ihr kleines Kind schließlich nicht nur von neun bis 17 Uhr, sondern auch darüber hinaus. Wenn das Kind zur Schule geht und keinen Hortplatz hat, steht es von 13 Uhr an auf der Matte. Wenn eine alleinerziehende Mutter halbtags arbeitet, wird die Zeit nach der Arbeit entweder für die Betreuung der Kinder oder für Einkäufe und Erledigungen genutzt. Und wenn Kinder nach 20 Uhr im Bett liegen, macht sich für Alleinerziehende der Haushalt nicht von allein. Für Vollzeitbeschäftigte bedeutet das den berühmten „Double Day“: Sie arbeiten zwei Schichten, außer sie haben die Ressourcen, sich professionelle Unterstützung einzukaufen.

Auch alleinerziehende Frauen verdienen erst dann häufiger mehr in Vollzeit, wenn sie einen höheren Bildungsstand haben und die Kinder älter sind.

Die neuesten Zahlen über Alleinerziehende machen deshalb vor allem deutlich, dass es an der Zeit ist, Sorgearbeit gesellschaftlich anders wertzuschätzen. Dazu gehören neben dem flächendeckenden, kostenlosen und qualitativ hochwertigen Betreuungsangebot gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne für Erzieherinnen und Pflegearbeiterinnen. Dazu gehört aber auch eine finanzielle Absicherung für Alleinerziehende, die alle voll arbeiten, aber dafür nicht entlohnt werden.

Monika Remé ist freie Autorin und hat drei Jahre lang für die UN Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women gearbeitet

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