Energie In Deutschland wird aktuell heftig darüber gestritten, ob die Laufzeit für Atomkraftwerke verlängert werden muss. Unser Autor zählt zehn Gründe auf, warum das nicht funktionieren wird – selbst wenn man es wollte
Wie jeder Baukran, jeder Spielplatz, jedes Auto muss auch ein Atomkraftwerk mit einem technischen Leistungstest nachweisen, dass es einsatzbereit ist und die Allgemeinheit nicht gefährdet. Bei den Atomkraftwerken heißt dieser TÜV „periodische Sicherheitsüberprüfung“. Sie muss alle zehn Jahre erfolgen. Eigentlich war diese Sicherheitsüberprüfung bei allen drei verbliebenen AKWs schon im Jahr 2019 fällig. Damals einigten sich Betreiber und Staat aber darauf, keinen „großen TÜV“ mehr zu machen – wo doch die Anlagen sowieso kurz vor dem Abschalten standen. Laut Gesetz endet diese Ausnahmeregel am 31. Dezember 2022 – dem Tag, an dem die drei letzten AKWs abgeschaltet werden sollen. Anders als beim Auto
ls beim Auto ist der TÜV-Sicherheitscheck bei einem Atomkraftwerk aber nicht in kurzer Zeit zu schaffen. Er dauert bis zu zwei Jahre und kostet mehrere Millionen, selbst dann, wenn die Anlagenbetreiber keine korrodierten Maschinenteile oder verschlissenen Flansche austauschen müssen. Deshalb haben die AKW-Betreiber auch abgewinkt: Sie wollen keine periodische Sicherheitsüberprüfung mehr beantragen, sondern abschalten.EntschädigungDas 18. Änderungsgesetz zum AtG verpflichtet die Bundesregierung zu einem Vertrag mit den Konzernen. In ihm wurde festgelegt, dass Eon & Co. 4,2 Milliarden Euro als Entschädigung bekommen, wenn sie bis zum 31. Dezember 2022 alle Atomreaktoren stilllegen. Im Gegenzug lassen die Konzerne alle Klagen dagegen fallen. Für eine Laufzeitverlängerung ist deshalb nicht nur einer Gesetzesänderung notwendig, sondern auch eine Änderung dieses Vertrags. Allerdings gibt es dafür keinerlei Regelung – weil beide Seiten davon ausgegangen sind, dass das Thema „Laufzeitverlängerung“ vom Tisch ist. Das Verwaltungsrecht sieht immerhin „eine Kündigung in besonderen Fällen“ vor. Das aber haben die Konzerne bereits am 7. März gegenüber dem Bundesumweltministerium abgelehnt. Logisch! Warum sollten sie auf 4,2 Milliarden Euro vom Steuerzahler verzichten?AtomgesetzGrundlage für den Betrieb von Atomkraftwerken in Deutschland ist das Atomgesetz (AtG). Dort heißt es in Paragraf 7, Absatz 1a: „Die Berechtigung zum Leistungsbetrieb einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen (....) erlischt spätestens (....) mit Ablauf des 31. Dezember 2022 für die Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2“. Damit die Kraftwerke länger laufen können, muss das Gesetz geändert werden. Tatsächlich hat die AfD zur „Entfristung“ einen Antrag eingebracht. Union und FDP wollen dagegen einen Weiterbetrieb von „zwei bis vier Jahren“, die Grünen haben den „Streckbetrieb“ erfunden, einen Weiterbetrieb um einige Wochen oder Monate. Die Energiepolitiker der SPD lehnen jegliche Änderungen am AtG ab. Wo soll die Schnittmenge für eine Mehrheit liegen? Die Rechtsexpertin Daniela Winkler urteilt: „Das rechtliche Prozedere für eine Laufzeitverlängerung könnte sich zu einer langwierigen Geschichte entwickeln. Bis eine Lösung gefunden wird, könnte der kommende Winter schon vorbei sein.“SicherheitscheckDie Politik könnte die Ausnahmeregelung, mit der die eigentlich fälligen routinemäßigen Sicherheitschecks der verbliebenen drei Atomkraftwerke bereits um mehrere Jahre verschoben werden durften, noch einmal um einige Monate verlängern. Die Betreiber der Atomkraftwerke haben aber bereits klargemacht, dass sie in diesem Falle selbst beim kleinsten Vorkommnis, geschweige denn bei einem GAU, nicht mehr für die Schäden haften werden. Tatsächlich ist diese periodische Sicherheitsüberprüfung auch für die Konzerne ein Sicherheitsmechanismus: Er gibt ihnen die Gewissheit, dass die Anlagen technisch einwandfrei betrieben werden können. Wenn die Konzerne für einen Unfall nicht mehr haften, dann muss es der Staat tun. Also wir. Das Motto kennt man: Profite werden privatisiert, Risiken dagegen verstaatlicht.PersonalNach derzeitigem Stand gibt es ab 1. Januar 2023 gar kein Personal mehr, das die Atomkraftwerke „fahren“ kann: Den Experten wurde gekündigt, sie haben sich längst nach einem Alternativ-Job umgesehen und in den meisten Fällen auch unterschrieben. Natürlich könnte man die Menschen bitten, doch noch acht Wochen oder vielleicht sogar sechs Monate im alten Job weiterzumachen. Aber, Hand aufs Herz: Würden Sie ihrem neuen Arbeitgeber absagen – um eine kurze Zeit auszuhelfen und im Wissen, dass Sie danach wieder auf Jobsuche gehen müssen? Natürlich wird eine Restmannschaft sich weiter um die abgeschalteten AKWs kümmern (müssen). Sie ist in der Lage, den Reaktor zurückzubauen, nicht aber, ihn zu steuern.StaatshaftungWer ein wirtschaftliches Unternehmen betreibt, der haftet für die Risiken, die aus seinem Wirtschaftsbetrieb entstehen. Wer giftige Unkrautvernichter in Verkehr bringt, der haftet für eventuell entstehende Gesundheitsschäden. Wer einen Tagebau aufschließt, muss Geld zurückstellen, um ihn rekultivieren zu können; wer Atommüll produziert, muss Mittel ansparen, um ihn später entsorgen zu können. Es lässt sich im Einzelfall darüber streiten, ob die Summen jeweils angemessen sind. Im Falle einer GmbH ist die Haftung ohnehin beschränkt. Unstrittig ist aber, dass eine Staatshaftung für die Risiken der Atomkraft vor keinem deutschen Gericht standhält. Einige Akteure aus der Anti-Atom-Szene haben bereits angekündigt, im Fall des Falles Klage einzureichen.StromexportAuslöser der Debatte über die Laufzeitverlängerung sind die stark gedrosselten russischen Erdgaslieferungen nach Deutschland im Zusammenhang mit Waldimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Angst vor Energieknappheit im kommenden Winter. AKWs produzieren aber bekanntlich kein Gas, sondern Strom. Davon gibt es aber in Deutschland genug, im ersten Halbjahr produzierten die deutschen Stromfabriken 18 Milliarden Kilowattstunden mehr, als hierzulande verbraucht wurden. Der Strom wurde vor allem in die Schweiz, nach Österreich, Polen und Frankreich exportiert. Ein Argument ist: Es gibt ja Gaskraftwerke in Deutschland, die sollen zugunsten der AKWs aufhören, Gas zu verstromen. Aber solch ein Argument kann nur gebrauchen, wer vom deutschen Elektrizitätssystem keine Ahnung hat: Gaskraftwerke werden in Sekundenschnelle angefahren, was immer dann passiert, wenn es im Stromnetz Engpässe gibt. Atomkraftwerke sind viel träger, sie brauchen bis zu einem Tag, um hochgefahren zu werden. Wer Gaskraftwerke durch AKWs ersetzen will, der riskiert gefährliche Strom-Blackouts – bis hin zum Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, die ohne Strom nicht produzieren kann.EndlagerVehement gegen einen Weiterbetrieb spricht sich das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung aus. Mit gutem Grund: Seit 2017 läuft in Deutschland die Suche nach einem Atom-Endlager – und zwar für exakt jene Menge, die bis zum 31. Dezember 2022 anfällt: rund 1.900 Castorbehälter. Es ist ein aufwendiges und sehr komplexes Verfahren. Geplant ist, bis 2031 die Standorte für die Probebohrungen zu identifizieren, in denen der Atommüll „bestmöglich“ verwahrt werden kann – für eine Million Jahre. Das geht aber nur, wenn bekannt ist, wie groß die Restmenge des Mülls ist: Wird sie größer, fallen bestimmte Standorte aus dem Suchverfahren heraus, weil mehr Müll mehr Platz braucht und bestimmte unterirdische Gebirgsmassive dann nicht mehr groß genug sind. Wolfram König, Präsident des Bundesamtes: „Jetzt Laufzeitverlängerungen zu beschließen, wäre nicht nur eine zusätzliche Hypothek für die Entsorgung. Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden.“BrennelementeMit den Brennstäben könne man noch ein paar Wochen weitermachen, sagt Frank Mastiaux, „aber das ist es dann. Dann müsste man über neue Brennstäbe reden.“ Das Problem ist: Brennelemente gibt es nicht von der Stange, es handelt sich um aufwendige Spezialanfertigungen für jedes einzelne AKW. „Für die Beschaffung und Einsatzplanung neuer Brennelemente benötigt man unter normalen Umständen 18 bis 36 Monate“, urteilt Jochen Lambauer, Experte des VDI. Selbst wenn es ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung gäbe und auch die anderen Dinge irgendwie geregelt werden könnten – weiterlaufen könnten die Atomkraftwerke erst Ende 2023 oder Anfang 2025. Denn erst dann könnten neue Brennstäbe Strom produzieren – falls die Atomkonzerne bereit sind, solche überhaupt zu bestellen. Ökonomisch wäre das nämlich Unsinn: Die drei verbliebenen Atomkraftwerke müssten von den Mannschaften 18 bis 36 Monate weiterbetrieben werden, ohne dass wegen der fehlenden Brennelemente in der Zeit Strom produziert werden könnte.SpezialfirmenHoch spezialisierte Firmen sind dafür zuständig, die Reaktorblöcke endgültig stillzulegen, wenn sie erst mal heruntergefahren worden sind. Mit diesen Unternehmen müssten zehn Jahre im Voraus Verträge gemacht werden, „damit die dann auch verfügbar sind“, erklärt sagt EnBW-Vorsitzender Frank Mastiaux, dem Betreiber von Neckarwestheim 2. „Wir haben eine Gesetzeslage, wir haben einen ökonomischen Plan und eine Umsetzungsverpflichtung.“ Dahinter hänge ein Rattenschwanz an anderen Effekten. Das könnten beispielsweise Vertragsstrafen sein, die fällig werden, wenn die gebuchten Firmen doch nicht zum Zuge kommen. Mastiaux will jedenfalls das AKW Neckarwestheim 2 am 31. Dezember 2022 unbedingt abschalten.Placeholder authorbio-1
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