In Bangkok werden in wenigen Jahren ganze Viertel unter dem Meeresspiegel liegen
Thailand Seit 1978 hat sich in Thailands Hauptstadt Bangkok der Boden stellenweise um mehr als einhundert Zentimeter abgesenkt. Der Fluss Chao Phraya fließt bereits „über“ der Stadt
Der Fahrstuhl beschleunigt auf 480 Meter pro Minute, was ein Grummeln in der Magengegend erzeugt. Es dauert keine 60 Sekunden, dann ist man oben, auf dem „Maha Nakhon“, mit seinen 313 Metern eines der höchsten Gebäude in Bangkok. Im 75. Geschoss gibt es ein Restaurant, die Dachterrasse im 77. ist besonders am frühen Abend beliebt bei Touristen. Dann zaubert der Sonnenuntergang ein beeindruckendes Farbenspiel über die Skyline der Millionenmetropole, nur wie lange noch?
„Die Stadt wird untergehen“, sagt Tara Buakamsri, Direktor von Greenpeace Thailand. Bereits heute lägen weite Teile unter dem Meeresspiegel. „In den 2030er Jahren werden es 97 Prozent sein“, befürchtet Buakamsri. Das habe mit der besonderen Lage der Stadt zu tun
adt zu tun, die auf Thailändisch eigentlich „Krung Thep Maha Nakhon“ heißt. Was bedeutet – sie wurde auf Schwemmland errichtet, das jahrtausendelang vom Fluss Chao Phraya angespült wurde.14,5 Millionen Menschen in und um BangkokPortugiesische Seeleute verzeichneten 1511 in ihren Karten erstmals eine Siedlung namens „Bangkok“ im Delta des Chao Phraya. Das einstige Fischerdorf breitete sich in rasanter Geschwindigkeit aus, bereits 250 Jahre später verlegte der thailändische König seine Hauptstadt hierher. 1960 überstieg die Einwohnerzahl die Zwei-Millionen-Marke, heute leben 14,5 Millionen Menschen im Großraum Bangkok.„Anfangs hat der Fluss mit seinem Delta als Transportweg die Entwicklung enorm beflügelt“, sagt Greenpeace-Direktor Tara. Allerdings sorgte die alljährliche Regenzeit stets für gewaltige Überschwemmungen. Gebirge prägen die Grenzgebiete im Westen, Norden und Osten Siams, wie das Königreich bis 1939 hieß – der Chao Phraya entwässert sie und ist so Thailands größter Fluss. Um sich gegen die Fluten zu schützen, wurden die Delta-Arme mit der Zeit gebändigt und in ein befestigtes Flussbett gezwungen. An das einstige Delta erinnern heute lediglich noch die Khlongs – Kanäle, die Bangkok, so hat es den Anschein, wie lästige Krampfadern durchziehen, soweit sie noch vorhanden sind.Um Bauland zu gewinnen, wurden viele davon mittlerweile zugeschüttet und wurden teils zu unansehnlichen Mülldeponien. „Genau das ist das Problem“, sagt Tara Buakamsri. Dadurch habe man vergessen, dass Bangkok in einem Delta liege. In den vergangenen 30 Jahren wurde gebaut, was das Zeug hält. Achtspurige Highways verlaufen nicht auf der Erde, sondern werden von tonnenschweren Betonkonstruktionen in etlichen Metern Höhe getragen. Das BTS – Bangkoks wichtigstes öffentliches Verkehrsmittel – schwebt mit Zügen auf gigantischen Betonstelzen noch höher über der Stadt, jeder einzelne der 65 Bahnhöfe wiegt Hunderte Tonnen. Dazu kommt das Mantra – je höher, desto spektakulärer.Nur ist das Schwemmland des Deltas nicht sonderlich stabil. „Die Wolkenkratzer, die Infrastruktur, all dieser Beton belastet den Boden enorm“, so Tara Buakamsri. Seit 1978 habe sich der Boden stellenweise um mehr als hundert Zentimeter abgesenkt. Kaum eine andere Stadt Südostasiens erlebte eine derartige Verdichtung. An der Siam-Station, dem Sky-Train-Drehkreuz im Zentrum, lockt die Siam-Paragon-Mall, ein Einkaufszentrum mit 500.000 Quadratmetern Fläche, Wasserfällen an der Außenwand und einem Unterwasserriff im Untergeschoss. Daneben brettern Schwärme von Motorrädern durch die Gegend, brüllen Baumaschinen, und der Sky-Train rauscht vorbei. Mehr als zweitausend Hochhäuser gibt es derzeit in Bangkok – und absurd viele Baustellen, die deren Zahl noch ungestümer wachsen lassen.Der Fluss Chao Phraya fließt „über“ der StadtSchon heute fließt der Chao Phraya quasi „über“ der Stadt. Um dem nicht hilflos ausgeliefert zu sein, wurde an den Ufern eine Betonmauer errichtet, die bereits nicht mehr ausreicht. Auch die Gefahr von häufigem Starkregen sei gestiegen, sagt Tara Buakamsri. Es brauche mittlerweile gar keine Flut des Flusses oder keinen steigenden Meeresspiegel mehr, um Bangkok zu fluten. Bei der letzten großen Überschwemmung im März 2011 – also in der Trockenzeit – kamen mehr als 800 Menschen ums Leben. Das Wasser stand meterhoch und konnte nicht abfließen. 13 Millionen Einwohner waren betroffen, die Schäden beliefen sich auf gut 50 Milliarden Dollar.„Zum Absenken des Untergrunds trägt auch das Abpumpen des Grundwassers bei“, sagt Marc Goichot, Wasserexperte beim World Wide Fund For Nature (WWF) in Südostasien. 14,5 Millionen Einwohner wollen mit Trinkwasser versorgt sein, das man größtenteils aus den unterirdischen Wasseradern Bangkoks gewinnt. „Wird Grundwasser in großem Maßstab entnommen, führt das automatisch zu Hohlräumen im Untergrund“, so Goichot. Diese würden durch nachströmende Sedimente gefüllt, was das Bodensystem sehr viel mehr in Bewegung setze, als das gut sei. Dadurch sinke die Oberfläche unweigerlich immer weiter ab. Da jährlich 100.000 neue Bewohner in die Stadt strömen, wird weiter viel gebaut. Wissen die Investoren nichts von den Gefahren? „Es gibt keinen Plan B“, sagt Tara Buakamsri. Politiker, Investoren und die Bauwirtschaft würden zwar merken, dass da etwas passiert, dies aber ignorieren.Ein Deichsystem als Lösung, wie in Venedig? Der Greenpeace-Direktor hält das für eine „Schnapsidee der Politiker“Chadchart Sittipunt, Gouverneur von Bangkok, erklärte vor einem Jahr gegenüber der Zeitung Bangkok Post: „Ich gebe zu, dass unsere Stadt wegen der globalen Erwärmung mit größeren Überschwemmungsrisiken durch extreme Niederschläge und den steigenden Meeresspiegel konfrontiert ist.“ Deshalb solle ein 80 Kilometer langes Barrieresystem nach dem Vorbild des Themse-Sperrwerkes vor der Küste Bangkoks gebaut werden, was drei Milliarden Dollar koste. Experten bezweifeln diese Prognose: MOSE, das seit 2021 arbeitende Sperrsystem vor Venedig, kostete sechs Milliarden Euro und ist nur wenige Kilometer lang. Zudem glauben Fachleute, dass ein Deichsystem der falsche Ansatz sei, um Bangkoks Zukunft zu sichern.„Notwendig wäre es, die Kanäle der Stadt als kritische Struktur für die Entwässerung zu betrachten“, sagt Danai Thaitakoo, Landschaftsarchitekt an der Chulalongkorn-Universität. Er beklagt eine fehlende langfristige Planung der Stadtentwicklung, der viele Khlongs zum Opfer fielen. „Wir haben heute nicht mehr jene Infrastruktur, die früher in der Lage war, das Wasser aus einem Gebiet abzuleiten.“ Jarupongsakul Thanawat, Professor für Geologie, glaubt, dass ein Deichsystem mehr schaden als nutzen würde. „Wir können nicht einfach Küstenschutzprojekte wiederholen, die anderswo funktionieren, und in Bangkok das gleiche Ergebnis erwarten.“Auch Greenpeace-Direktor Tara Buakamsri hält das Deichprojekt für eine „Schnapsidee der Politiker“: Man würde Aktivismus vorgaukeln, ohne wirklich visionär zu denken. „Geboten wäre es, die Stadt resilienter gegen Überschwemmungen zu machen.“ Das bedeute, Flächen zu entsiegeln und die Khlongs wieder zu ertüchtigen. Das sei natürlich sehr viel kleinteiliger, unpopulärer und schwieriger umzusetzen, als über einen Damm vor der Küste zu schwadronieren.
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