Frag nicht, was du für den Fachkräftemangel tun kannst. Frag, was er für dich tun kann
Arbeit Deutschlands Unternehmer:innen ächzen unter dem Fachkräftemangel, doch für Jobsuchende gibt es neue Chancen. Wie nutzt man sie am besten? Die Arbeitsmarktexpertin Kerstin Fuhrmann gibt fünf praktische Tipps – nicht nur für Berufsanfänger
Keiner da: Unternehmen leiden unter Arbeitskräftemangel
Foto: Imago/Image Source
Es gab eine Zeit, da bestimmten Personalchefs, wie sich die Arbeitswelt zu drehen hatte. Das galt vor allem in Unternehmen ohne Tarifvertrag, in denen bis heute knapp die Hälfte der Deutschen arbeitet. Man schrieb eine Stelle (m/w/das war’s) aus, wühlte sich durch mehr oder weniger gut qualifizierte, aber zahlreiche Kandidaten, lud die Crème de la Crème zum Gespräch vor und diktierte dem glücklichen Erwählten seine Arbeitsbedingungen.
Und jetzt? Der Wettbewerb, zeigen Studien, hat sich verlagert. Heute konkurrieren Firmen um Personal, nicht Menschen um Jobs. Fachleute sprechen von einem Wandel vom Arbeitgeber- hin zum Arbeitnehmermarkt. Die Gesamtzahl der offenen Stellen hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt, in besonders dünn besetzten Berufen
rbeitnehmermarkt. Die Gesamtzahl der offenen Stellen hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt, in besonders dünn besetzten Berufen versiebenfacht. Das macht sich im Bewerbungsprozess bemerkbar. Die Personalsuche dauert deutlich länger, immer mehr Stellen bleiben unbesetzt, und Bewerber entscheiden sich nach erfolgreichen Vorstellungsgesprächen häufiger doch gegen eine Anstellung, als es Arbeitgeber tun. Und die schlagen Alarm.Placeholder image-1Wer in deutschen Zeitungen blättert oder Fernsehbeiträge schaut, könnte zu dem Schluss kommen, die Arbeitgeberschaft hätte es mit der größten Katastrophe seit Einführung des Wochenendes zu tun. Nicht nur, dass es an Kandidaten mangelt, die raren Talente wollen mit unzähligen Vorteilen umgarnt werden – sogenannten Benefits, ein Anglizismus, der als direkte Übersetzung ironischerweise überhaupt keinen Vorteil bietet. Und dann kommt auch noch die Generation Z und frisst ihnen mit Homeoffice und Viertagewoche das letzte Haar vom Kopf.Dabei haben wir vom größten Entrepreneur seiner Generation gelernt: Probleme sind nur dornige Chancen. Für manche jedenfalls. Aller Überbetonung der Chefperspektive zum Trotz sitzen drei von vier Deutschen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Grund genug, die Chancen für diese Seite auszuloten. Hier sind fünf Expertinnentipps für die Jobsuche in Zeiten des Personalmangels. Tipp 1: Dringlichkeit der Mitarbeitersuche erkennenUnterschiedlich stark leiden die Unternehmen unter dem Wandel. Auf Ausbildungsplätze in den Medien etwa bewerben sich nach wie vor weit mehr Menschen, als gesucht werden. Bevor man sich auf traumhafte Bedingungen freut, sollte man sich klarmachen, inwiefern die Wunschfirma überhaupt betroffen ist, rät Karriereberaterin Kerstin Fuhrmann im Gespräch mit dem Freitag. Wer bereits über zwei Ecken jemanden kennt, der in der Firma arbeitet, ist gut beraten, direkt nachzufragen. Ein weiterer Schlüssel sei das Antwortverhalten des Unternehmens. „Melden sie sich schnell zurück – wenn auch nur mit der Bitte um etwas Geduld – und geht der weitere Prozess zügig, wird die Personalsuche dringend sein.“ Und die Möglichkeit, bessere Bedingungen herauszuverhandeln, dementsprechend vorhanden.Tipp 2: Nach ungewöhnlichen Benefits fragenDass Jobrad und Deutschlandticket allmählich den Dienstwagen ablösen, ist bekannt. Doch die Liste der Arbeitnehmervorteile, die Kandidaten laut Kerstin Fuhrmann ins Gespräch bringen können, ist lang – so lang, dass es sich durchaus lohnen kann, vor dem Gespräch eine physische Liste zu schreiben. Außer dem Gehalt selbst, so die Expertin, kann man feste Erhöhungstermine anregen, etwa nach der Probezeit, in Jahresabständen oder wenn bestimmte Meilensteine erreicht sind. Einmalzahlungen sind ebenfalls denkbar. In großen Unternehmen sollte man außerdem erwägen, nach Aktienpaketen zu fragen. Für Ambitionierte bietet es sich an, Fort- und Weiterbildungen bezuschussen oder ganz übernehmen lassen. In diesem Zusammenhang sei auf den häufig übersehenen Bildungsurlaub hingewiesen, der keine Verhandlungsmasse, sondern gesetzlicher Anspruch ist, in den meisten Bundesländern fünf Tage pro Jahr.Wer gewohnte Pfade verlassen will, kann Hospitationen in anderen Abteilungen oder Standorten fordern, bei weltweit agierenden Konzernen durchaus auch im Ausland. Besonders im Trend liegen außerdem Gesundheitsbenefits, etwa vergünstigte Fitnessclubmitgliedschaften, Meditations- oder Coachingangebote. Die mit Abstand beliebtesten Vorteile, so Karriereberaterin Fuhrmann, seien für den Arbeitgeber allerdings völlig kostenlos. „Am häufigsten begegnen mir Wünsche nach flexibleren Arbeitszeiten und der Möglichkeit, mobil zu arbeiten.“Tipp 3: Karten auf den Tisch im BewerbungsgesprächTipps und Tricks für Vorstellungsgespräche gibt es zuhauf. Aber was hat sich verändert, seit den Firmen der Nachwuchs ausgeht? „Man muss Interviews nicht zu Ende führen“, erklärt Kerstin Fuhrmann. Wer merkt, dass der Arbeitgeber nicht passt, darf die Runde abbrechen – das spart allen Beteiligten Zeit. Läuft es dagegen gut und man kann sich die Zusammenarbeit vorstellen, heißt es: Karten auf den Tisch. „Bewerbende dürfen kommunizieren, bis wann sie eine verbindliche Rückmeldung brauchen. Auch da sind sie nicht mehr in der Bittstellerposition.“ Eine Frist von zwei Wochen wäre schon großzügig, findet Fuhrmann und rät zu einer Woche bis zehn Tagen. „Meistens ist beiden Seiten insgeheim schon im Laufe des Gesprächs klar, ob es passt.“Tipp 4: Gründe für Grenzen auslotenGrundsätzlich bestätigt Fuhrmanns Erfahrung: Unternehmen zeigen sich wegen des Personalmangels bereiter zu Kompromissen als früher, machen Ausnahmen von starren Regeln, gehen mit Angeboten über das übliche Maß hinaus. Das sei aber alles „kein Fass ohne Boden“, und es kann Gründe für harte Grenzen geben, die von außen nicht unbedingt einsehbar sind. Zum Beispiel: Dienstältere Mitarbeiter, die noch andere Konditionen vereinbart hatten, dürften nicht benachteiligt werden. „Ein zu starkes Gefälle, was Gehalt und Benefits angeht, wird das Teamgefüge schnell überstrapazieren.“ Gibt sich die Chefetage härter, als man gedacht hätte, kann das der Grund sein.Tipp 5: Vorbereiten für die Zeit danachBekanntermaßen bedeutet Unterbesetzung nicht weniger Arbeit, sondern mehr. Fachfremde Aufgaben, Überlastung und vor allem Überstunden sind die Folge. Während deren Zahl in den letzten Jahren leicht zurückgegangen ist, bleibt nach wie vor mehr als die Hälfte davon unbezahlt. „Um dem bösen Erwachen vorzubeugen“, rät Fuhrmann, „kann man schon im Bewerbungsprozess nach einem Probetag oder einer Probewoche fragen.“ Den potenziellen Kollegen lasse sich an der Kaffeemaschine oder beim Mittagessen leichter auf den Zahn fühlen als in der formellen Vorstellungsrunde. „Hier können Bewerbende offen nach Arbeitsbelastung, Krankheitsstand und ähnlichen Themen fragen.“ Wie immer gilt: Nur Mut, auf das Bauchgefühl zu hören. Die nächste Stellenausschreibung kommt bestimmt.
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