Auf nach "Sowjet-Zion"

Ausstellungsrezension Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Wien zeigt das Spannungsverhältnis österreichischer Juden zwischen Sozialismus und Zionismus seit der Russischen Oktoberrevolution

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„Viele bedeutende Vertreter der Arbeiterbewegung waren keine Juden. Ebenso waren die meisten Juden keine Revolutionäre, Sozialisten oder Kommunisten“, stellt die Kuratorin Gabriele Kohlbauer-Fritz gleich zu Beginn unseres Rundgangs fest. Dennoch prägten nicht wenige von ihnen den internationalen Sozialismus. Mit der Ausstellung „Genosse, Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ legt Kohlbauer-Fritz mit ihrer Kollegin Sabine Bergler die Spuren von Jüdinnen und Juden aus der Habsburger Doppelmonarchie frei, die den Fall des Zars in Russland mit voller Genugtuung quittierten. Ein Anbruch von Morgenröte, ein Ausbruch von Euphorie.

Ein politisches Minenfeld

„Judenfrage“, Zionismus und Sozialismus – ein politisches Minenfeld, denke ich. Der thematische Spannungsbogen eröffnet sich sofort am Eingang zur Ausstellung: Skulpturen von Karl Marx, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg, aber auch von Moses Hess, dem frühsozialistischen Vorläufer der zionistischen Idee, stehen da. Disparate Persönlichkeiten: Hess propagierte einen eigenen jüdischen Staat, Marx sah in der jüdisches Kultur vor allem ein reaktionäres Überbleibsel.

Kohlbauer-Fritz spricht von dem enormen Kraftakt, eine solche Ausstellung von der Ursprungsidee bis zum Eröffnungstag umzusetzen. Und auch von der anfänglichen Skepsis, ob nicht zu viel kommunistische AgitProp auf einer zu kleinen Ausstellungsfläche präsentiert würde. Sie sagt, Wien sei immer eine Drehscheibe für jüdische Exilanten gewesen. Einer der Prominentesten war Lew Dawidowitsch Bronstein, der unter seinem Kampfnamen Leo Trotzki geschichtsmächtig werden sollte. Der Begründer der deutsch-österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler, sponsorte das Wiener Exil des Polit-Flüchtlings Trotzki. In Wien gab Trotzki ab 1908 seine „zentristische“ „Prawda“ heraus. 1914, der Erste Weltkrieg brach aus, setzte er sich in die neutrale Schweiz ab.

Die Ausstellung hält viel Lernmaterial bereit. Ein Beispiel: Aktivisten der zionistischen Linken waren Wegbereiter der Kommunistischen Partei in Deutsch-Österreich. Etwa ein Drittel der Gründungsmitglieder kam aus der sozialistischen Fraktion der Poale Zion (Arbeiter Zions), erzählt Kohlbauer-Fritz als wir vor einem der vielen Glanzstücke der Ausstellung innehalten: der Fahne der linken Poale Zion mit dem Leitspruch „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ - in hebräischer Schrift und jiddischer Sprache.

Birobidschan als gelebte Utopie

Die Sehnsucht nach einem Leben ohne Ressentiment und Pogrom hatte für linke Juden einen Ort: Birobidschan. Ein Streifen Land an der chinesischen Grenze, fast unbewohnt, halb so groß wie Österreich. 1928 wurde es zum „jüdischen Autonomen Gebiet“ erklärt und sollte föderativer Teil der UdSSR sein. Hannes Meyer (1889 - 1964), der ehemalige Direktor des Dessauer Bauhaus, war zwischenzeitlich einer der Konstrukteure von „Sowjet-Zion“. Birobidschan gibt es auch heute noch – als Relikt eines großen Gesellschaftswurfs. Kaum mehr als zwei Prozent der Einwohner haben heute einen jüdischen Hintergrund.

Weiter geht’s - in einem Schaukasten liegt ein Banner in den Farben der Spanischen Republik Rot, Gelb und Violett mit dem gestickten Ausruf „Die Volksfront von Madrid an die Volksfront der Welt“. Von 1936 bis 1939 verteidigten etwa 1400 österreichische Freiwillige die Spanische Republik gegen die Franco-Putschisten. Sie organisierten sich in den Internationalen Brigaden – darunter 34 Frauen, überwiegend Jüdinnen. Für ihren Einsatz wurde dem Bataillon „12. Februar“ die Fahne der 11. Internationalen Brigade überreicht. Die Fahne konnte unter anderem von jüdischen Widerstandskämpferinnen - in andere Textilien eingenäht - gerettet werden. Sie gelangte über Frankreich und Jugoslawien nach Wien.

Und sparsam mittendrin, durch schwarze Balken von allen anderen Exponaten getrennt, antisemitische Blendwerke. Keine Originale, die Kuratorinnen zeigen bewusst nur Reproduktionen - wie das Mobilisierungsplakat „Bolschewismus ohne Maske“ der NS-Wanderausstellung „Der ewige Jude“, die Ende 1938 bis Anfang 1939 in Wien Station machte.

Während wir von Schautafel zu Schautafel wechseln, sprechen wir über das Handwerk von Kuratoren. Was nimmt man rein, was fällt raus. Ein Dilemma. Lässt man Aspekte weg, werden seitens derfeuilletonistischenKritik die „Leerstellen“ aufgezählt; versucht man ein Gesamtbild vorzustellen, gilt die Ausstellung als zu überladen. Ja, die Ausstellung ist dicht, erfordert alle Aufmerksamkeit und viel Ausdauer. Ein flüchtiges Durchschreiten reicht nicht, um die Finessen der Konzeption zu erfassen. Die kleinen zeitgenössischen Karikaturen von Boris Jefimow, dem stromlinienförmigen „Tinten-Kuli des Apparats“, zum Beispiel. Die Ausstellungsmacherinnen wollen dokumentieren, Jefimow übernimmt für sie die Rolle des Kommentators.

Aus Stalin wird Herzl

Aber ja, die Kuratorinnen machen zeitliche und thematische Sprünge, aber ohne sprunghaft zu sein. Sie fügen Entwicklungen zusammen und heben Biografien an die Oberfläche. Wer kennt Fannina Halle? Die Kunsthistorikerin Halle, in deren Wiener Kultursalon die Vertreter der russischen Avantgarde, der Illustrator El Lissitzky vorneweg, verkehrten. Die bürgerliche jüdische Intellektuelle Halle, die in den Bannkreis der sozialistischen Oktoberrevolution gerissen wurde und mit ihrem 1932 veröffentlichten Titel „Die Frau in Sowjetrussland“ Schlagzeilen machte.

Der „Untergang des Judentums“, wie ihn der kommunistische Wiener Schriftsteller Otto Heller 1931 in seinem gleichnamigen Buch mit dem missverständlichen Titel prophezeite, fand nicht statt. Alle Modelle der Klärung der „Judenfrage“ unter sozialistischen Vorzeichen scheiterten – vor allem aus der Sicht vieler Jüdinnen und Juden. Ein Sinnbild für die geplatzten Träume nach einem „Sowjet-Zion“ ist der ausgestellte „Herzl-Stalin-Teppich“. Ein Wandteppich aus den 1930er Jahren, der ursprünglich das Konterfei Stalins zeigt, später mit einem Herzl-Bart übertüncht wurde.

Wir stehen vor dem letzten Exponat der Ausstellung – nach gut zweieinhalb Stunden Rundgang. Vor uns ein überdimensionaler „Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang“ auf offenem Meer mit dem Staatswappen der UdSSR auf Leinwand in Öl von Eric Bulatov. Aufgang? Untergang? Viel Interpretationsspielraum, der ein bisschen Geschichtsoptimismus lässt.

In großen Lettern prangt der Spruch „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ über dem Ausgang – so heißen die Memoiren von Prive Friedjung (1902 – 2005), die zur Titelgeberin der Ausstellung avancierte. Friedjung, sagt Kohlbauer-Fritz, stieß von der sozialistisch-zionistischen Poale Zion zur österreichischen KP. Es war ein spannungsreiches Verhältnis zwischen Friedjung und der KPÖ: sie trat ein Jahr nach dem „Prager Frühling“ 1968 aus, 14 Jahre später kehrte sie zurück. Der Zirkel schließt sich, denke ich. Der Ausgang führt direkt zum Ausgangspunkt der Ausstellung zurück.

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Mai des Jahres im Jüdischen Museum Wien zu sehen, Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Oliver Rast

Freier Journalist & schreibender Aktivist

Oliver Rast

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