Die Warnungen vor einer Auslöschung der Menschheit durch Künstliche Intelligenz wirken als Nebelkerzen. Sie verdunkeln die Gefahren von KI unterhalb des Levels vollkommener Zerstörung. Zu den gefährdeten Praktiken gehört die Hochschullehre in den Geistes- und Sozialwissenschaften, um die es ohnehin nicht gut steht. Die Nutzung von Digitalformaten – wie Webkonferenzsystemen, Lernplattformen und KI-Sprachprogrammen – könnte die Lehre in diesen Fächern derart herunterwirtschaften, dass ein Problem für die Demokratie entsteht.
Ja: Die genannten Digitaltechnologien können der geistes- und sozialwissenschaftlichen Lehre auch zuträglich sein – wenn sie nach didaktischen Maßstäben in die Präsenzlehre an den Unis inte
zlehre an den Unis integriert werden. Digitale Lernplattformen lassen sich für die individuelle Begleitung der Studierenden jenseits der Lehrveranstaltungen nutzen. KI-Sprachprogramme wie ChatGPT können Lehrenden und Studierenden bei der Vorbereitung von Lehrveranstaltungen dienen. Mit der KI lässt sich etwa der Mainstream einer wissenschaftlichen Debatte ausrechnen. In der Seminardiskussion lernen die Studierenden dann den kritischen Umgang mit der maschinell erzeugten Standard-Position.Aktuell gibt es aber Tendenzen, den Rahmen der Präsenzlehre infrage zu stellen. In den Naturwissenschaften wird online-lastige Hybridlehre im „Flipped Classroom“-Modell bereits erprobt. Dabei rückt das individuelle Lernen an eigenen Lernorten und -zeiten ins Zentrum, angeleitet mittels digitaler Plattformen. Wenige ergänzende Präsenzveranstaltungen verfestigen das individuell erworbene Wissen nur noch.Echte Menschen? Bald zu teuerOb dies die vorlesungsorientierten Naturwissenschaften didaktisch weiterbringt, wäre gesondert zu diskutieren. Der Lehre in den Geistes- und Sozialwissenschaften jedenfalls ginge es an die Substanz, wenn dieses Modell in allen Fächern griffe. Verstärkt würden nicht nur bestehende Probleme: dass das Creditpoint-System der Bologna-Reformen ein Studieren nach Effizienzkriterien nahelegt, das sich intellektuelle Bildungserfahrungen verbaut. Vor allem würde das Format des Präsenzseminars mit seinen Möglichkeiten des Fragens, Widersprechens und der Bestätigung geopfert. Damit verfehlte die Lehre ihren eigentlichen Zweck: Studierende nicht nur in Theorien, sondern in reflektiertes Urteilen einzuführen. Denn Urteilskraft lässt sich nur in pluralen Debatten üben, in denen intellektuelle Tugenden gelten: Selbstdenken, Kritikfähigkeit, intellektuelle Redlichkeit, Ambivalenztoleranz. Im Zeichen von KI-Programmen liefe eine diskussionsbefreite Online-Lehre Gefahr, mehr in die technische Reproduktion des Mainstreams einzuführen als in eigenständiges Erkennen.Aktuell gibt es Interessen, die aufwendige und teure Präsenzlehre zurückzudrängen. Das hat mit der Marktorientierung neoliberaler Hochschulpolitik zu tun: Lehrpläne sollen sich der Berufsausbildung annähern, Unis um Studierende konkurrieren. Einen Großteil der Lehrenden will man nicht nur prekär anstellen, sondern leistungsmäßig primär am „Output“ messen, an publizierten Texten. In dieser Lage können Lehrende wie Studierende an einer starken Reduktion fester Präsenztermine interessiert sein, um die Vielfachbelastungen aus Lehre, Forschung, außerakademischer Tätigkeit sowie Familie zu bewältigen. Es mag auch attraktiv erscheinen, Personalkosten einzusparen, indem bei der Online-Lehre eLectures und Lehr-Podcasts wiederverwendet werden.Ein mündiger Umgang mit digitalen Formaten ist nicht nur Aufgabe der Nutzer:innen, sondern auch der Bildungspolitik. Diese muss Unis, Lehrende und Studierende befähigen, dem Sog einer umfassenden Digitalisierung der Lehre zu widerstehen. Ausreichende Mittel sind nötig – und kritische Revisionen der Curricula, der Anstellungsbedingungen und des Vergütungssystems. Auf dem Spiel steht nicht das Überleben der Menschheit, aber die demokratische Öffentlichkeit. Diese braucht eine gute Urteilskultur – formt die Urteilskraft doch den eigentlich politischen Vernunftgebrauch, wie Hannah Arendt sagte. Ihre Urteilskraft aber schulen künftige Akademiker:innen, Kultur- und Medienschaffende an den Unis in geistes- und sozialwissenschaftlichen Präsenzseminaren.