Die Schuld der politischen Mitte

Demokratie in Gefahr Die Zunahme demokratie- und menschenfeindlicher Einstellungen ist auch auf eine fahrlässige Politik der Parteien der Mitte zurückzuführen

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Besorgniserregend: Pegida am Montag in Dresden
Besorgniserregend: Pegida am Montag in Dresden

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Als der Reichskanzler Joseph Wirth anlässlich der Ermordung Walther Rathenaus, die sich bald zum 100. Male jährt, die Probleme und Widersacher der jungen Demokratie in der Weimarer Republik herausstellte, brachte er zum Schluss seiner Rede die Worte hervor: „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“.

Und tatsächlich erkannte er damit frühzeitig die Hauptverursacher für den späteren Fall der ersten deutschen Demokratie. Wirth war Kanzler der sogenannten Weimarer Koalition, also getragen von den Parteien der Mitte, nämlich SPD, Zentrum und DDP, denen es aus mehreren Gründen nicht gelang ihre demokratische Gesinnung in den Köpfen der Mehrheit zu verankern. In der Folge der Wirtschaftskrise entschieden sich dann immer mehr Deutsche mit bekannten Folgen für die Politik der NSDAP.

In der nachträglichen historischen Betrachtung ergibt sich, dass auch die politische Mitte – allen voran die SPD – mit Fehleinschätzungen, Versäumnissen und verfehlten Zugeständnissen an die alten Eliten in der Anfangsphase der Weimarer Republik, die Demokratie auf tönerne Füße stellte.

Auch heute fügen die Parteien der Mitte durch fahrlässige Politik und Aussagen der Demokratie gehörigen Schaden zu, auch wenn dies unbeabsichtigt oder in anderem Glauben geschehen mag. Auch heute marschieren wieder Bürger und Bürgerinnen mit fremden- und menschenfeindlichen Parolen durch die Straßen, auch wenn von massenhaft organisierten, faschistischen Gruppierungen in Deutschland keine Rede sein kann. Die Parteienlandschaft beeilt sich quer durch die Bank empört zu reagieren. Aber an der Popularität von Pegida, Hogesa, AfD und wie sie alle heißen, tragen auch die etablierten Parteien ihre Mitschuld.

Allen voran die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die die rot-grüne Regierung angestoßen hat, sorgte und sorgt für ein Klima sozialer und ökonomischer Unsicherheit, in der die Demokratie schlecht gedeiht. Der quer durch die Bank vertretene Wirtschaftsegoismus und -nationalismus der Bundesrepublik befördert Ressentiments und sorgt für Ausgrenzungbestrebungen sowohl nach außen, als auch im Inneren.

Rechtspopulistische Entgleisungen

Auch vereinzelte Entscheidungen und Aussagen aus der Politik der Mitte muten in der Summe bedenklich an. Wer Länder wie Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien trotz Verfolgung von Sinti und Roma, als „sichere Herkunftsstaaten“ einstuft, um deren "Aufenthalt in Deutschland schneller beenden zu können", muss sich nicht wundern, dass die Angst vor angeblicher "Überfremdung" irgendwie begründet und anerkannt erscheint.

Wer wie die CSU mit „Wer-betrügt-der-fliegt“-Parolen und absurden Forderungen am rechten Rand fischt, versucht damit an abwertende Meinungen über angebliche ausländische „Sozialschmarotzer“ anzuknüpfen und trägt dazu bei, dass diese in der Mitte salonfähig werden.

Wer ständig stolz auf die Wirtschaftsleistungen des Wirtschaftsstandorts Deutschland verweist und die prekäre Situation in anderen EU-Ländern, die zumindest teilweise aus dem niedriglohngestützen Exportüberschuss der BRD resultiert, nicht damit in Zusammenhang bringt und erklärt, schadet dem europäischen Gedanken – und kreiert ein Bild der „Umzingelung“ der angeblich so fleißigen, armen Deutschen.

Das Ende des Wohlstandsversprechens

Es gibt in Europa und speziell in Deutschland eine historische Verbindung zwischen dem Versprechen auf Wohlstand und der Zustimmung zur Demokratie. Die Erfahrungen des deutschen „Wirtschaftswunders“ und der 60er und 70er Jahre sorgten dafür, dass ein steigender materieller Versorgungsgrad mit Konsumgütern immer mehr mit Demokratie und Kapitalismus in Verbindung gebracht wurde. Die Ideen des Neoliberalismus, die in Deutschald seit den 90er Jahren, aber erst recht nach der Jahrtausendwende von der Mitte vertreten werden, brach mit dem Gedanken einer möglichst breit gefächerten Wohlstandsverteilung. Die Maxime, wenn es Wachstum gibt, ist das automatisch für alle gut, griff um sich.

Doch wirft man einen Blick auf die Entwicklung der privaten Vermögensverteilung in der Bundesrepublik, wird diese Politik Lügen gestraft. Daraus ergibt sich, dass 2007 die Hälfte der Bevölkerung so gut wie keinen Anteil am Privatvermögen besaß, während das oberste Zehntel 61,1 Prozent des gesamten Privatvermögen sein Eigen nennen konnte. Diese Entwicklung nahm seit 2002 dramatisch zu und ist auch heute nicht rückläufig.

Schmackhaft gemacht wurde dieser Wandel auch mit dem Beschwören eines Wir-Gefühls, das die Idee eines nationalen Wirtschaftskollektiv stärkte. Die Agenda 2010 ist auch damit begründet worden, dass es gemeinsam gilt den Gürtel enger zu schnallen, damit die sozialen Sicherungssysteme überhaupt noch aufrechterhalten werden können. Wie man heute weiß, hat eine ganz bestimmte Bevölkerungsgruppe den Gürtel fester und fester gezogen, während andere – um im Bild zu bleiben – sich weitere Hosen kaufen mussten. Die deutsche „Schicksalsgemeinschaft“ hat Einbußen hingenommen, da somit Titel wie „Exportweltmeister“ errungen werden und der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ gestärkt werden konnten.

Abstiegsängste und Menschenfeindlichkeit

Unsere real existierende Wirtschaftsordnung produziert permanent Gewinner und Verlierer, also soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, die immer weiter zunimmt. In Folge der Finanzkrise von 2008 wurde das wieder sichtbarer und auch vielen Menschen deutlich in Erinnerung gerufen. Dieser permanente Druck fördert die Angst, selbst zu verlieren, ökonomisch zu versagen und in der Konsequenz nicht dazu zu gehören.

Und es gibt einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der Zunahme von sozialen Abstiegsängsten und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie die Forscher- und Forscherinnengruppe um Wilhelm Heitmeyer in einer Langzeitstudie herausgefunden hat. Dass Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus, Homophobie und Islamophobie, etc. antidemokratische Tendenzen in sich bergen, liegt in ihrer Natur begründet. Es handelt sich dabei um Ideologien die einen unterschiedlichen Wert von Menschen postulieren – also um Ungleichwertigkeitsideologien, die mit den Grundgedanken der demokratischen Gleichheit schlecht zusammengehen.

Die Verwertungslogik des Kapitalismus – übertragen auf Menschen – kann auch eine solche Ungleichwertigkeitsidee befördern: wenn ich keinen Profit, keinen Gewinn, keinen Nutzen aus dem Humankapital ziehen kann, ist es volkswirtschaftlich gesehen wertlos. Und wenn „volkswirtschaftlich nützlich“ einen immer höheren Stellenwert im öffentlichen Diskurs einnimmt, wird es für bestimmte Menschen, die keine „Leistungsträger“ sind, eng. Und dieses Denken greift weiter um sich, weswegen sich viele Menschen dem wachsenden Druck ausgesetzt fühlen, ihre ökonomische Verwertbarkeit in Konkurrenz zu anderen Menschen unter Beweis zu stellen.

Und so verwundert das Ergebnis einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie auch nicht weiter, dass der Extremismus der Mitte zunimmt und sich in der zunehmenden Einforderung von Etabliertenvorrechten äußert. Die Verteidigung von Privilegien und die Besitzstandswahrung stehen hier auf der Agenda. Und darum geht es auch, wenn Menschen heute gegen andere Menschen, Bevölkerungsgruppen oder eine vermeintliche „Islamisierung“ auf die Straße gehen.

Demokratie in Gefahr

Wenn „Demokratientleerung“ (Heitmeyer) und Politikverdrossenheit weiter zunehmen, Bürger und Bürgerinnen in prekären Lebensverhältnissen sich nicht mehr ernst genommen fühlen und wir weiter ein absinkendes Wohlstandsniveau bei großen Teilen der Bevölkerung beobachten können, dann ergibt sich daraus eine gefährliche Mischung für die Demokratie. Andere Politik- und Identifikationsangebote undemokratischer Natur werden dann attraktiver, wie das in Frankreich, in Griechenland und bei den EU-Wahlen zu beobachten war und ist. Diese Gefahr muss erkannt werden und in Teilen müssen sich die etablierten Parteien den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik (von Hartz IV bis zur Sozialisierung milliardenschwerer Verluste der Finanzindustrie ) für diese Gefährdung der Demokratie mit verantwortlich sind.

Es ist eigentlich eine banale Feststellung, aber trotzdem muss sie festgehalten werden: Wer in einer Demokratie lebt, ist deswegen nicht automatisch Demokrat oder Demokratin. Die demokratischen Werte und Grundlagen der Freiheit und Gleichheit sind verletzlich und leider nicht unumstößlich. Und außerdem sind sie in fast allen Demokratien mit Gewalt erkämpft worden. Wir sollten uns in Zukunft darauf einrichten, die Demokratie wieder an mehreren Fronten – nicht nur an der extremen rechten – verteidigen zu müssen. Das hieße auch eine Sozial- und Wirtschaftspolitik der politischen Mitte, die immer mehr Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt und somit gefährlichen, nicht-demokratischen Ideologien preisgibt, im Namen der Demokratie zu bekämpfen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Ballmann

„The optimist proclaims that we live in the best of all possible worlds; and the pessimist fears this is true.“ - James Branch Cabel

Sebastian Ballmann

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