Leipzig, am 15. Januar 2024: Ein ganzer Platz – Tausende von Menschen – singt aus voller Kehle: „Hejo, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land!“ Es ist die schweigende Mehrheit, liest man später in der Zeitung, die sich hier Gehör verschafft. Gegen die AfD.
Es ist ein beeindruckendes Aufstehen der Zivilgesellschaft, die hier in Leipzig und in Dutzenden anderen Städten ein Zeichen setzt. Doch viele der Demonstrierenden fragen sich zu Recht: Und nun? Was würde außer demonstrieren wirklich helfen, den Vormarsch der Rechten zu stoppen? Und wie bekämpft man die AfD eigentlich am wirksamsten?
Darauf gibt es allerhand Antworten: Mithilfe staatsbürgerlichen Engagements etwa, in den Kommunen, oder indem man den Rechten eben kein
Rechten eben keine Räume, öffentliche wie diskursive, überlässt. Oder ganz klassisch: in der Antifa. Das stimmt alles, und es ist unverzichtbar im Kampf gegen den harten Kern der Unterstützer der AfD.Aber wenn es darum geht, all die Leute zu erreichen, deren Zulauf die AfD in den vergangenen zwei Jahren in den Umfragen groß gemacht hat, dann gilt es, woanders nach Antworten zu suchen. Ganz woanders. In Berlin, noch genauer: in der Wilhelmstraße 97 in Berlin-Mitte.Dort residiert der Bundesfinanzminister, Christian Lindner (FDP). Manche werden jetzt vielleicht einwenden: Aber was soll der denn mit dem Zuspruch für die AfD zu tun haben? Okay, er macht vielleicht Klientelpolitik für Gutverdiener, aber das reicht doch wohl nicht als Erklärung für das Erstarken der Rechten? Richtig, das reicht nicht. Aber der Sparkurs, den Lindner nun so unerbittlich verfolgt, spielt eine große, wenn auch unterschätzte Rolle. Weil es eben kein „normaler“ Sparkurs ist. Sondern der Versuch, mitten in gleich mehreren Großkrisen auf Gedeih und Verderb die Staatsausgaben zu senken. Damit die Steuern nicht erhöht werden müssen. Und damit die Schuldenbremse eingehalten werden kann: Nicht weil es sinnvoll ist, das zu tun, sondern allein weil es die Lindner’sche Mehr-Markt-weniger-Staat-Ideologie gebietet. Und weil der Finanzminister so seine Wahlversprechen einhalten kann, auch wenn die Republik dabei vor die Hunde geht.Es ist eben kein „normaler“ Sparkurs, sondern es ist so, dass der Staat mitansieht, wie der Krieg, der Energiepreisschock, die Inflation und die Klimakrise den Leuten zusetzen. Und dann sagt: Damit muss künftig jeder alleine fertig werden. Um das zu verdeutlichen, kann die Corona-Pandemie helfen. Damals sanken die Umfragewerte der AfD. Und auch wenn die Politik der Bundesregierung damals in manchen Aspekten kritikwürdig war: Sie gab sehr vielen Menschen das Gefühl, dass der Staat sich um sie kümmern werde.Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges und dem darauf folgenden Energiepreisschock gab es einen ähnlichen Moment. Olaf Scholz (SPD) versprach: „You’ll never walk alone.“ Aber das war leider nicht von Dauer. Denn Christian Lindner sagt jetzt: Doch, ihr lauft gefälligst alleine! Umso mehr, seit das Bundesverfassungsgericht die Buchhaltungstricks der Ampelkoalition abgestellt hat. Jetzt ist zur Bewältigung der Krisen noch weniger Geld da. Und was macht die Ampelregierung? Sie erhöht den CO₂-Preis und kürzt Subventionen.Ampel-Ungleichheits-TurboNun soll hier nicht Klimapolitik an sich an den Pranger gestellt werden: Würde die Erhöhung des CO₂-Preises mit der Auszahlung eines Klimageldes verknüpft, könnte das sogar als Umverteilung von oben nach unten wirken. Weil die Ärmeren viel weniger CO₂ ausstoßen als die Reichen. Aber die Ampel kriegt nur die Erhöhung des CO₂-Preises hin, nicht den sozialen Ausgleich.Es ist dieser Tage viel die Rede davon, welche historischen Vergleiche gerechtfertigt und welche übertrieben seien. Für manche fühlt sich 2024 an wie 1932, mit dem Gebot, eine Wiederholung von 1933 zu verhindern. Das kann man zu Recht als übertrieben und verfehlt kritisieren. Aber ein Vergleich drängt sich auf: der mit der Sparpolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning. Dessen Austeritätskurs schadete zwischen 1930 und 1932 nicht nur der deutschen Wirtschaft; der „Hungerkanzler“ trieb auch immer mehr Enttäuschte in die Hände der NSDAP. Nun ist die AfD davon noch weit entfernt. Aber sie nachhaltig zu schwächen, das ginge nur, wenn die Ampelregierung ihren Kurs änderte. Nicht in der Migrations-, sondern in der Haushaltspolitik. Um Solidarität nicht nur zu versprechen, sondern in die Tat umzusetzen.