Nach den Anti-AfD-Demos: Was kann Mobilisierung gegen Rechts bewirken?
Schweigende Mehrheit Nachdem hunderttausende Menschen gegen den Rechtsruck auf der Straße waren, fragen sich viele: Was kann eine derartige Mobilisierung erreichen? Einiges, zeigen internationale Studien
Die schweigende Mitte steht endlich auf, aber anders als es sich die Rechten ausmalten
Foto: Imago/Middle East Images
Manche Dinge lassen sich nicht vorhersagen, aber hinterher gut erklären. Doch letztendlich haben sie doch etwas Mirakulöses. Warum haben gerade die Enthüllungen über ein rechtsextremes Hinterzimmertreffen zu einem solchen Aufstand geführt? Dass sich AfD-Leute, Ultrakonservative und Ideologen der „Identitären Bewegung“ an ihren feuchten Träumen von massenhaften Deportationen und ethnischen Säuberungen aufgeilten, hat ganz offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht. Es ist so etwas wie der eine Tropfen, der noch gefehlt hat. Aber warum gerade dieser? Warum jetzt? Ganz einfach: Es hatten, wie man jetzt sieht, einfach schon Millionen Menschen das Empfinden, dass es längst reicht.
Sarkastisch kann man sagen: Die Identitären tr
jetzt sieht, einfach schon Millionen Menschen das Empfinden, dass es längst reicht.Sarkastisch kann man sagen: Die Identitären träumten ja immer, dass „das Volk“ aufstehen sollte und massenhaft die Straßen der Städte besetzt. Das haben sie ja gut hingekriegt. Aber eben ganz anders, als sie sich das ausgemalt haben.Es ist eine ganz einfache Emotion, die die Leute auf die Straße treibtLetztlich sind die konkreten Parolen der einzelnen Demonstrationen, ob in Berlin, Hamburg, München, Görlitz, Leipzig oder Nürnberg egal. Es ist auch egal, ob Fridays for Future (wie in München) aufruft, oder ob das Bündnisse unter Führung des DGB tun (wie in Hannover). Es ist ja leicht erkennbar eine ganz einfache Emotion, die die Leute auf die Straße treibt: Dass man jetzt etwas tun muss. Aufstehen gegen die extreme Rechte. „Arsch huh“, wie die Kölner sagen („Arsch hoch“). Aufstehen gegen die permanente Vergiftung des Klimas. Aufstehen auch gegen die Verdummung mit Fake-News, deren einziges Ziel ist, Gereiztheit zu schüren. Aufstehen gegen die Gefahr, dass unsere pluralistische Demokratie und der Geist der Liberalität vor die Hunde geht. Aufstehen gegen den völkischen Wahn und die atemberaubende Spirale der rechten Radikalisierung.Einfach gesagt: Trumpismus? Orbanismus? Bitte bei uns nicht.Erwartungsgemäß kommt jetzt die Frage auf: Was bringen solche Demonstrationen? Es ist gewiss richtig, dass ein Aufstieg des rechten Populismus und des Rechtsextremismus immer auch ein Symptom für ein Versagen der anderen Parteien ist, von Liberalen, demokratischen Linksparteien, demokratischen Rechtsparteien; ein Symptom für politische Frustrationen, dafür, dass sich viele Menschen nicht mehr vertreten fühlen, dass etablierte Politik um sich selbst kreist, dafür, dass die Fäden zwischen Vertretenen und Vertretern reißen. Dass es Milieus von Leuten gibt, die sich als die „politisch Verlassenen“ (so der Titel einer vielrezipierten Studie des Progressiven Zentrums) empfinden.Es steckt aber in dieser nicht unrichtigen Analyse auch immer eine fragwürdige Annahme: Dass die Wähler der extremistischen, autoritären Rechten arme Fehlgeleitete seien, gewissermaßen demokratisch nicht Geschäftsfähige. Die Herablassung und der vorschnelle Freispruch gehen hier auf unangenehme Weise Hand in Hand. Wer den Rechtsextremen nachläuft, ist leider auch selbst dafür verantwortlich – und nicht bloßes Opfer.Studien aus Italien, Griechenland, Frankreich belegen: Protest wirktVergessen wir nicht: Es gibt genügend Leute, die nicht auf die Glücksseite des Lebens gefallen sind – und die dennoch nicht „aus Frustration“ rechtsextrem werden. Die Mehrheit wird das nicht. Aber das Dilemma ist sicherlich: Mobilisierungen gegen die Politik der Aufhetzung und des Ressentiments schaffen noch keine politischen Alternativen, für die man sich begeistern kann.Wenngleich oft salopp gesagt wird, bei Demonstrationen dieser Art ginge es darum, „ein Zeichen zu setzen“, greift die Formulierung dennoch zu kurz. Denn wenn es manchmal einfach auch wichtig ist, Zeichen zu setzen, so wollen die Protestierenden ja auch eine Wirkung erzielen. Also: Die rechtsextreme Welle zurückdrängen.Wie wirkungsvoll solche Mobilisierungen sind, lässt sich empirisch meist schwer messen, aber ein paar Untersuchungen gibt es. Etwa aus Italien, wo Forscher und Forscherinnen anti-rechte Bewegungen in mehreren Regionen untersucht haben und anhand der Regionalwahlen 2020 die Effekte analysierten. Fazit: In Städten und Gemeinden, in denen es große Mobilisierungen gegeben hatte, gab es eine „Reduktion der Stimmen für die radikale Rechte“ von bis zu vier Prozent – verglichen mit Städten, in denen es solche Proteste nicht gab. Ähnliche Ergebnisse brachten Studien über die französische Präsidentschaftswahl 2002 und Forschungen aus Griechenland. Es sind eine Reihe von Faktoren, die dabei zusammenwirken, so die verschiedenen Untersuchungen.Einerseits gibt es eine „Signalwirkung“: Dass rechtsextreme Stimmabgabe sozial in der Gemeinde stigmatisiert wird (was schwankende Mitläufer der Rechten beeindruckt). Andererseits etablieren die Proteste „Informationsnetzwerke“, außerdem heben sie die Wahlbeteiligung bei den Gegnern der Rechtsradikalen. Und langfristig werden neue Generationen an Aktivisten „politisiert“, was später langjährige Effekte hat.Es geht auch darum, wer sich als „das Volk“ inszenieren kannMobilisierung wirkt also – wenngleich es sicherlich nicht mit ein, zwei Protestwochenenden getan ist.Demonstrationen sind Elemente der öffentlichen Meinungsbildung, gerade in den symbolischen Ordnungen der Mediendemokratie. Sie beeinflussen, worüber geredet wird. So wirken sie auf das System der Diskurse, die eine Gesellschaft dominieren. Rund 1,5 Millionen Menschen in einer Vielzahl von Städten, das ist eine vielfältige Menge, aus unterschiedlichen Milieus. Doch die meisten haben eines gemeinsam: Sie waren zuletzt lethargisch, frustriert, beinahe resigniert. Und die Minderheit der radikalen Rechten hat schon geglaubt, jetzt schlage ihre Stunde, sie habe „das Volk“ hinter sich. Großdemonstrationen sind auch emotionale Ereignisse, Gemeinschaftserlebnisse. Sie setzen nicht nur ein Zeichen, sie geben denen, die ein solches Gemeinschaftserlebnis haben, auch Energie. Der größte Feind ist bisweilen ja: Die Lethargie, Larmoyanz und Resignation. Das ist die eine Seite der Wirksamkeit: Dieser Aufstand gegen den Rechtsextremismus gibt den Demokraten Kraft.Es gibt aber, zweitens, auch noch eine andere Seite der Wirksamkeit: Natürlich beeindruckt es auch die Rechtsextremisten, und vor allem deren Sympathisanten und Mitläufer. Sie fühlten sich schon als die Mehrheit, glaubten, sie repräsentieren das Volk. Wenn sie sehen, dass sie die schweigende Mehrheit gegen sich haben, diese schweigende Mehrheit auch aufsteht, dann beeindruckt sie das. Es drängt sie in die Defensive. So wie das eine alte Frau sagte, die vergangenes Wochenende zur ersten Demonstration in ihrem Leben ging: Man könne zwar nicht alle Rechtsextremisten überzeugen, „aber wir können ihnen zeigen, wo sie stehen – nämlich am Rande der Gesellschaft“.Schließlich gibt es noch ein drittes Element der Wirksamkeit, das wir nicht übersehen sollten. Die rechtsextreme Hasspolitik, das Schüren von Hader und Gereiztheit, die Fake-News-Schleuderei verwandelt die demokratischen Diskurse in Grabenkriege und virtuelle Wirtshausschlägereien. Sie verleidet damit allen das Leben. Aber manchen verleidet sie das Leben mehr als anderen. Migranten – egal ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft, egal ob seit ein paar Monaten oder vielen Jahren hier – empfinden den zunehmenden Rassismus von Politik und Meinungsmache als Bedrohung. Ihnen wird täglich mitgeteilt: Du wirst hier nie dazu gehören, wie sehr du dich auch anstrengst. Sie werden an den Rand gedrängt durch das Gift, mit dem „Ausländer“ mit „kriminell“ gleichgesetzt wird. Kinder gehen täglich auf dem Weg zur Schule an Plakaten vorbei, die die völkische Reinheitsideologie der Rechtsradikalen verbreiten und sie noch mehr zu Fremden in ihrem eigenen Land macht. Jetzt schwadroniert man auch noch offen von Deportationen und Massenvertreibungen. Das macht Menschen Angst. Es traumatisiert sogar. Auch die Morde der NSU, das Massaker von Hanau und vieles mehr ist unvergessen.Es hat daher auch eine Wirkung, wenn die Mehrheit deutlich macht: Unsere Nachbarn, unsere Freunde, unsere Schulkameraden, unsere Arbeitskollegen werdet ihr nicht vertreiben!
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