Claudia Kemfert: „Der Strommarkt funktioniert, wie er soll“
Interview Deutschlands bekannteste Energieökonomin ärgert sich über Versäumnisse der Vergangenheit: Jetzt zahlen wir die Rechnung für die verschleppte Energiewende, sagt sie
Claudia Kemfert hätte allen Grund, genervt zu sein. Seit 20 Jahren wirbt die Ökonomin für die Energiewende, wiederholt Argumente, diskutiert mit Bremsern. Dann explodieren wegen des Kriegs die Preise für fossile Energie, die Erneuerbaren erweisen sich als bessere Wahl. Und worüber wird diskutiert? Atomkraft und Flüssiggas (LNG).
der Freitag: Frau Kemfert, wuppt Putin jetzt unsere Energiewende?
Claudia Kemfert: Ja und nein. Ja, weil der Angriffskrieg auf die Ukraine dazu führt, dass die Preise für fossile Energie massiv nach oben gehen. Alle, die Kohle, Öl oder Gas nutzen, sind davon betroffen und sehen jetzt, dass früheres Umstellen billiger gewesen wäre, da, wer Erneuerbare wie Photovoltaik nutzt, von den Preissteigerungen verschont ble
roffen und sehen jetzt, dass früheres Umstellen billiger gewesen wäre, da, wer Erneuerbare wie Photovoltaik nutzt, von den Preissteigerungen verschont bleibt. Und nein, weil wir wie schon früher eben nicht konsequent in Richtung Energiewende gehen, sondern die Vergangenheit möglichst lang konservieren wollen. Genau wie in den letzten 20 Jahren führen wir rückwärtsgewandte Debatten, da diejenigen, die an der Vergangenheit festhalten wollen, enorme Beharrungskräfte haben. Wir führen energieintensive Debatten über Atomkraft, Fracking oder über LNG-Terminals, anstatt dass wir besprechen, wie wir die Energiewende beschleunigen können. Die, wenn wir es gut machen, auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen wird.Placeholder infobox-1Wir durchleben einerseits eine brutale Sofort-Dekarbonisierung, weil viele Leute gezwungenermaßen beim Heizen sparen oder Industriebetriebe die Produktion einstellen. Und zugleich eine Re-Karbonisierung, wenn jetzt die Kohle zurückkommt oder wir LNG-Terminals bauen, die dann auf Jahrzehnte genutzt werden.Ja genau. Eine brutale Dekarbonierung, die wie jede Disruption enorme ökonomische und soziale Herausforderungen mit sich bringt. Ein sanfterer Verlauf wäre nicht nur effektiver, sondern gerechter. Wir zahlen nun buchstäblich die Rechnung für die verschleppten Energiewende. Nicht nur, weil die stark gestiegenen fossilen Energiepreise zu einer erheblichen volkswirtschaftlichen Belastung in allen Bereichen führen, sondern auch, weil wir eben viel besser da stehen könnten, wenn wir bei der Energiewende schneller gewesen wären. Aber wir stecken immer noch in den alten fossilen Verhaltensmustern: Wir haben weder ein Tempolimit, noch konkrete Pläne, wirklich von Öl und Gas wegzukommen und den Umstieg zur Vollversorgung aus erneuerbaren Energien anzugehen. Es gibt Ansätze und Versuche in diese Richtung, aber es fehlt ein Boosterprogramm für eine Beschleunigung der Energiewende, mit Fokus auf den Ausbau der Erneuerbaren, auf Fachkräfte, auf die Wärme- und Verkehrswende.Ist es eine Frage des Tempos? Zuerst waren wir zu langsam mit der Transformation, jetzt ist das Tempo zu schnell. Wir wollten ja den CO2-Preis langsam anheben, um damit eine Lenkungswirkung zu erzeugen, jetzt schnellen die Preise für fossile Energie in kürzester Zeit extrem nach oben.Nun, als jemand, der diese Diskussion seit über 20 Jahren verfolgt, weiß ich, dass das Argument des zu schnellen Tempos der Grund ist, warum wir in der jetzigen Situation sind. Wenn wir darauf nicht gehört hätten und die Energiewende nicht ausgebremst hätten, hätten wir heute einen Anteil von mindestens 80 Prozent erneuerbaren Energien im Stromsystem. Auch im Bereich Wärmewende und Verkehrswende hätten wir viel mehr erreichen können, wenn das nicht alles ausgebremst und torpediert worden wäre, immer mit dem Argument ‚Es geht zu schnell, wir brauchen mehr Zeit!’. Tatsächlich hätte es sehr viel schneller gehen müssen, wenn wir Versorgungssicherheit und Klimaziele ernst nehmen würden.Sie ärgern sich, dass jetzt ein Flüssiggasterminal in vier Monaten genehmigt und gebaut werden kann, aber bei Windrädern das Ganze mehrere Jahre dauert.Allerdings. Ich ärgere mich auch, dass wir jetzt so viel diskursive Energie und politische Energie in die Debatte um die Atomkraft, den Streckbetrieb oder die AKWs als Reserve investiert haben, anstatt die gleiche Energie und die gleichen Kosten in den Bau von Windrädern oder Fotovoltaik zu investieren. Wenn wir das Geld und den Aufwand, mit dem wir fossile Abhängigkeiten aufrechterhalten, für den Ausbau Erneuerbarer und Speicherinfrastruktur nutzen würden, dann würden wir viel mehr erreichen. Deswegen weise ich auf die Diskussion der letzten 20 Jahre hin, die uns in diese Situation gebracht hat: Wir wiederholen die Fehler der Vergangenheit.Wo könnte man jetzt auf dem Feld der Erneuerbaren, ganz konkret, Dinge beschleunigen, wenn man nur die nötige Energie dafür mobilisiert? Und wo gibt es objektive Hindernisse, wie etwa den Rotmilan, dessen Schutz auch viel Geld nicht überwinden kann?Das ginge an mehreren Stellen. Zum einen könnten bereits im Genehmigungsprozess weit fortgeschrittene Windanlagen sofort ans Netz gehen und dann, wenn sie stehen, die Genehmigungen nachträglich abgeschlossen werden. Ähnlich wie bei der Zertifizierung der Solaranlagen sind diese Verfahren einfach zu kompliziert, diese Zeit haben wir aktuell nicht. Dann müsste die Bundesregierung ein Fachkräfte-Programm auf den Weg bringen, das wirklich etwas bewegt. Drittens müsste die notwendigen Flächen, die für Windenergie ausgewiesen werden sollen, schnellstmöglich ausgewiesen und Genehmigungsverfahren erleichtert werden. Wenn wir in Deutschland in einem geschützten Bereich wie im norddeutschen Wattenmeer in vier Monaten Genehmigungsverfahren für LNG-Terminals erteilen können, dann können wir das ganz sicher auch im Bereich von Windenergieanlagen und bei der Zertifizierung von Solarenergieanlagen. Viertens könnte der Staat einfach selbst Solaranlagen kaufen, was sinnvoll wäre, weil wir hier auch Knappheiten haben und deshalb hohe Materialkosten. Fünftens sollte man die die nachhaltige Biomasse stärker nutzen. Wenn man das alles wirklich mit hohem Tempo anginge, würde das mehr bringen als die zwei Atomkraftwerke, über die wir die ganze Zeit debattieren.„Aus wissenschaftlicher Sicht spricht nichts dagegen, die letzten Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen.“Musste Wirtschaftsminister Robert Habeck dem öffentlichen Druck nachgeben, der einen Streckbetrieb für die drei letzten am Netz verbliebenen AKWs forderte, und hat sich deshalb den zweiten Stresstest und die Idee einfallen lassen, dass die Laufzeit der AKWs zwar nicht verlängert wird, sie aber in der Reserve bleiben sollen?Ich bin Wissenschaftlerin und komme deshalb an dieser Stelle mal mit wissenschaftlichen Fakten. Der Stresstest basierte auf einem extremen Szenario, das davon ausgeht, dass im Winter immer noch ein Großteil der französischen Atomkraftwerke nicht am Netz sind, dass es bis zum Winter wenig regnet und deshalb die Knappheiten im Kohletransport größtenteils weiter bestehen, dass es dann obendrein eine erhebliche Nachfragesteigerung beim Strom geben wird – was bei den derzeitigen Preisen in meinen Augen völlig utopisch ist. Wenn das aber alles einträte, dann könnte eventuell für wenige Stunden im Jahr eine Unterdeckung des Strombedarfs auftreten. Man könnte das problemlos auch anders lösen: Durch Lastabwurf oder indem man Kapazitäten kurzfristig im Ausland bucht, wie man das halt sonst auch macht. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht also nichts dagegen, die letzten Atomkraftwerke Ende des Jahres vom Netz zu nehmen.So wie Sie das beschreiben, kann man sowieso davon ausgehen, dass auch die beiden AKWs, die jetzt in der Reserve gehalten werden sollen, nicht mehr hochgefahren werden?Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder angeschaltet werden, für sehr gering. Tatsächlich bezahlen wir ja schon die ganze Zeit die Betreiber von Kohlekraftwerken dafür, dass sie diese in der Reserve halten. Wenn es nötig ist, sollten wir die dann auch nutzen. Im Übrigen wäre die Wirkung auf den Strompreis sowieso marginal, auch wenn diese AKWs weiterlaufen würden.Die meisten Menschen haben sich wegen der Strom- und Gaspreiskrise jetzt zum ersten Mal näher mit den Strommarkt- und Gasmarktdesign auseinandergesetzt, also was die Merit-Order ist oder der Spotmarkt für Gas. Und viele haben den Eindruck, dass das Ganze doch ziemlich schiefläuft. Braucht es drastische Schritte wie eine Vergesellschaftung der großen Energiefirmen oder allgemein ein Zurückdrängen des Marktes mit mehr staatlicher Preisbildung?Ich denke, man sollte hier aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Ich kenne einfach den Energiemarkt zu genau, als dass ich jetzt empfehlen würde, hier drastisch zu intervenieren. Es besteht die Gefahr, das Problem dadurch nur zu verschärfen. Denn die hohen Preise, die wir derzeit haben, sind ja tatsächlich Ausdruck einer Knappheit. Diese Knappheit auf dem Strommarkt hat vor allem mit den französischen Atomkraftwerken zu tun, die zur Hälfte nicht am Netz sind, er hat mit der Gaskrise zu tun, die vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöst wurde. Diese Knappheiten sind real, weshalb ich vor Schnellschüssen warnen würde. Es ergibt Sinn, das Strommarktdesign auf der europäischen Ebene besser zu regeln. Dabei sollten man aber vor allem die erneuerbaren Energien im Blick haben.„Wir sollten nicht Preise deckeln, sondern Kosten“Aber man muss doch was tun, wenn die Preise derzeit so explodieren.Natürlich! Die Frage ist aber, wie man entlastet. Ich werbe dafür, nicht Preise zu deckeln, sondern Kosten für jene Verbraucher zu deckeln, die stark betroffen sind. Die Preise sollen wirken, aber jene, die sie nicht zahlen können, muss man entlasten. Eine Verstaatlichung der Energiefirmen hilft nicht automatisch. Wir haben in mehreren Studien gesehen, dass es relativ egal ist, ob ein Energieunternehmen in staatlichem Besitz ist oder in der Privatwirtschaft, die sind gleich gut aufgestellt. Wichtig sind die Rahmenbedingungen, gerade wenn es darum geht, die Energiewende und Klimaschutz umzusetzen. Was allerdings sehr wichtig ist, sind Beteiligungsmöglichkeiten wie bei Bürgerenergien und Energy Sharing, die enorm erfolgreich sind bei der Umsetzung der Energiewende sind. Direkte Beteiligung steigert die Akzeptanz und schafft positive Effekte für den Markt.Finden Sie nicht, dass der Strommarkt, mit der Merit-Order, bei der also das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, an seine Grenze kommt, wenn das ein Gaskraftwerk ist, dessen Brennstoff gerade astronomisch teuer ist?Ich sehe derzeit nicht, dass das System an seine Grenzen stößt. Der Markt funktioniert, wie er soll, bei Knappheiten steigen die Preise. Das Problem ist nicht der Markt, sondern der Umstand, dass wir an einem fossilen Energieträger hängen. Wir bezahlen – durch die exorbitant hohen Preise für fossile Energien – gerade den Preis der verschleppten Energiewende. Wenn wir nämlich einen Markt aus erneuerbaren Energien hätten, lägen die Merit Order-Kosten bei nahezu Null, da die erneuerbaren Energien keine Grenzkosten haben. Genau dies wird in der Zukunft auch passieren, weswegen man durchaus das Marktdesign ändern muss, nämlich auf eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien ausgerichtet, welches Versorgungssicherheit entlohnt. Deswegen sollte man keine Schnellschüsse machen, sondern behutsam umstellen.Werden uns technische Lösungen bei der Bekämpfung des Klimawandels weiterhelfen? Um das CO2 aus der Atmosphäre zu saugen, oder Wasserstoff als neuer Brennstoff?Kaum. Diese Technikgläubigkeit beim CO2-Absaugen ist zudem fatal, da sie uns vom aktiven Handeln abhält. Es kann eben nicht alles so weitergehen wie bisher, und irgendwann kommt die Zaubertechnologie des CO2 Staubsaugers, der alles richtet. Unsere Wirtschaftsweise ist nicht nachhaltig, wir beuten den Planeten aus und leben über unsere planetaren Grenzen. Also wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir Verschwendung vermeiden und auf Nachhaltigkeit umstellen. Auch hier ist eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien sinnvoll, weil sie den Primärenergiebedarf halbiert, da man auf ineffiziente konventionelle Energieformen beim Tanken oder der Strom- und Energieerzeugung verzichtet. Natürlich wird sich der Strombedarf erhöhen, aber wir dürfen ihn nicht verschwenden. Gerade beim Wasserstoff aber ist die Verschwendung groß, weil die Herstellung drei bis fünfmal so viel Energie verschlingt als wenn man den Strom direkt nutzt. Für mich ist der Wasserstoff der Champagner der Energieträger: Er ist nur etwas für besondere Anlässe, also da zu nutzen, wo er wirklich gebraucht wird.Wenn die Preise so stark steigen, wäre das doch auch endlich ein Preisanreiz für Energieeffizienz und Energieeinsparungen, oder?Es gibt in der Tat jede Menge Potenzial, Energie einzusparen und intelligentere Prozesse zu nutzen. Bei vielen Unternehmen bietet es sich zum Beispiel an, Abwärme zu nutzen. Aber leider ist ein hoher Preis für fossile Energie keine Garantie für eine automatische Dekarbonisierung und Vermeidung von Verschwendung. Denn derzeit wirkt das auch als Anreiz für neue Bohrungen nach Öl und Gas und für die Förderung von fossilen Brennstoffen insgesamt. Die Klimapolitik muss da gegensteuern. Deshalb wäre es auch das falscheste Signal, jetzt den Anstieg des CO-Preises auszusetzen, auch wenn der Anstieg nur klein ist: Man erweckt so den Eindruck, dass wir uns Klimapolitik gerade nicht mehr leisten können. Das Gegenteil ist der Fall.Placeholder infobox-1
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