Gar nichts ist okay, Boomer

CO2-Budget Endlich geht es um Klimagerechtigkeit zwischen Generationen. Doch was ist mit der sozialen Ungleichheit?
Ausgabe 19/2021
Wer von Hartz IV lebt, hat kein Geld, das auf klimaschädliche Weise ausgegeben wird
Wer von Hartz IV lebt, hat kein Geld, das auf klimaschädliche Weise ausgegeben wird

Foto: Michael Ciaglo/AFP/Getty Images

Mehr als 100 Mal steht es in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Aktivistin Luisa Neubauer haut es im Fernsehen dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet um die Ohren, nur die Bundesregierung will sich mit ihm bislang auf keinen Fall einlassen: Die Rede ist vom CO2-Budget. Von jener endlichen Menge an CO2 und anderen Treibhausgasen also, die wir Menschen auf diesem Planeten noch in die Atmosphäre blasen können, bevor er sich so erwärmt, dass er unbewohnbar zu werden droht. Würde Deutschland gleich weiteremittieren wie derzeit, wäre dieses Budget schon 2026 erschöpft. Bei einer linearen Reduktion wäre es im Jahr 2032 soweit. Aber auch dann: Aus, basta, finito.

Der Handlungsdruck, der sich daraus ergibt, ist enorm. Was zugleich auch der Grund ist, warum die Bundesregierung sich darauf nie festnageln lassen wollte: Weil sie sich sonst eingestehen müsste, dass sie vorhat, das Budget zu sprengen. Weil sie weiter auf Kosten der zukünftigen Generationen leben will.

So weit, so klar. Was aber seit dem Karlsruher Beschluss noch nicht diskutiert wird: Was sagt das CO2-Budget darüber aus, wie manche auf Kosten anderer leben – im Hier und Jetzt?

Der Klimaforscher Wolfgang Lucht hat im vergangenen Jahr in einem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung vorgerechnet, dass Deutschlands Budget noch 4,2 Gigatonnen CO2 umfasst, um das 1,5-Grad-Ziel mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Übernimmt man diese Rechnung, so könnte man in einem Gedankenexperiment dieses Budget auf die Bevölkerung aufteilen: Pro Nase wären das 50 Tonnen CO2. Nicht viel. Oder doch?

Man liest ja manchmal, die Deutschen würden pro Kopf und Jahr im Schnitt rund zehn Tonnen CO2 ausstoßen. Tatsächlich aber verdeckt der Jahresdurchschnitt, dass die einen viel und die anderen wenig CO2 produzieren: Je reicher jemand ist, je größer das Auto und die Wohnung, je ferner das Urlaubsziel – desto mehr CO2.

Wer von Hartz IV lebt, hat nun mal fast kein Geld, das auf klimaschädliche Weise ausgegeben wird – es auf nicht klimaschädliche Weise auszugeben, ist bei der gängigen Produktionsweise ohnehin kaum möglich. Wer jedoch wie der Millionär Friedrich Merz mehrere Immobilien besitzt und mit einem seiner zwei Privatflugzeuge quer durch Deutschland fliegt, lebt wesentlich stärker auf Kosten der Zukünftigen als andere.

Zurück zu den 50 Tonnen CO2 aus unserem Gedankenexperiment: eine Hartz-IV-Beziehende könnte wohl Jahrzehnte mit ihrem derzeitigen Kohlenstoff-Fußabdruck leben, bis sie mit diesem Budget durch ist. Ganz anders ein Friedrich Merz – der hätte seinen Anteil wohl schon nach ein paar Monaten aufgebraucht.

Und dann gibt es noch die zweite, die globale soziale Ungleichheit, die ebenfalls von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeblendet wird: Ist es denn überhaupt gerecht, dass Deutschlands Anteil aus dem CO2-Budget 4,2 Gigatonnen beträgt? Die Zahl errechnet sich ja einfach aus dem globalen Emissionsbudget, geteilt durch die Zahl der Menschen, die in Deutschland leben. Vernachlässigt wird, dass Deutschland schon seit 200 Jahren zu den größten CO2-Produzenten gehört. Und dass wir mit 1,1 Prozent der Weltbevölkerung fast fünf Prozent der globalen Gesamtemissionen seit Beginn der Industrialisierung ausgestoßen haben.

Wäre es da nicht gerecht, anderen Ländern auch nur einen Bruchteil dessen zuzugestehen, was wir zur Erderwärmung beigetragen haben? Die Wahrheit ist: Wir haben unser Budget schon seit Jahrzehnten ausgereizt.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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