Renate Künast: „Verstehe den Ärger der Bauern, aber die Proteste bringen uns nicht weiter“
Interview Renate Künast, vormals grüne Landwirtschaftsministerin, versteht die Wut der Bauern. Und sagt trotzdem: Inhaltlich werden die Demos den Bauern nicht nützen. Was es brauche? Eine Debatte über eine verlässliche Agrar-Transformation
Renate Künast: „Die Zukunft der Bauern wird nicht über Bestandswahrung erreicht werden“
Foto: Marzena Skubatz/laif
Von der Freitag-Redaktion am Hegelplatz kann man es hören, wie die protestierenden Bauern Unter den Linden mit ihren Treckern hupen und lärmen. Die Bauern sind sauer, weil die Ampel ihnen in der Haushaltseinigung für das Jahr 2024 erst Diesel-Subventionen und eine Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen gestrichen hat, dann nach ersten Protesten nur einen halben Rückzieher machte.
Inzwischen sind zwei Dinge passiert: Die Proteste haben sich ausgeweitet, es sind nicht mehr nur Bauern dabei. Und sie haben den Scheinwerfer der Öffentlichkeit darauf gerichtet, wie Bauern eigentlich arbeiten und wirtschaften. Und wie die Lebensmittel produziert werden, die wir jeden Tag essen.
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) war einmal Land
ünen) war einmal Landwirtschaftsministerin, auch wenn sie auf Twitter nur mehr den „Verbraucherschutzministerin“-Teil ihres Ministeramts von 2001 bis 2005 erwähnt. Heute ist sie Bundestagsabgeordnete und leitet die AG Ernährung und Landwirtschaft bei den Grünen. Am 15. Januar, dem Tag der großen Bauernproteste in Berlin-Mitte, stellt Künast ein Buch vor, das sie mitherausgegeben hat: Nutztiere. Mehr als eine Frage der Haltung. In dem Buch geht es darum, wie die Lebensmittelproduktion tierischer Produkte tatsächlich aussieht, woran sie krankt, und wie sie verbessert werden kann. Also alles Themen, die damit zu tun haben, was seit den Bauernprotesten diskutiert wird.der Freitag: Frau Künast, haben Sie Verständnis für die Proteste der Bauern?Renate Künast: Ich weiß gar nicht, ob es hier um „Verständnis“ geht, bei den Formen, die das angenommen hat. Ich habe Verständnis dafür, dass die Bauern einen Abbau der Dieselsubvention ablehnen und demonstrieren, aber ich verstehe nicht, warum der Hauptfunktionär des Bauernverbands, Herrn Rukwied Forderungen aufstellt, die die Form eines Erpressungsversuchs annehmen: „Wenn ihr diese eine Maßnahme nicht zurücknehmt, dann …“ Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass die Zukunft der Landwirtschaft nicht am Agrardiesel entschieden wird, sondern vielmehr daran, ob und wie man in Zukunft mit den Themen Klima und Artenvielfalt umgehen wird. Das sind ja die Betriebsgrundlagen von Landwirten, das sollten wir nicht vergessen.Gegen die Weizenbörse in Chicago kann man nicht demonstrieren, da protestiert man gegen die Ampel und gegen die Subventionskürzungen doppelt so laut?Ja, das ist natürlich einfacher. Im Grunde stehen wir immer noch vor demselben Problem, das ich vor 20 Jahren in meiner ersten Regierungserklärung angesprochen habe, als Landwirtschaftsministerin. Es gibt das alte System, das führt zu „Wachse oder weiche“. Meine Ansage war: Wir sollten auf „Klasse statt Masse“ setzen, was die Tierhaltung angeht, die Qualität der Produkte, was ja auch für den Klimaschutz wichtig wäre.Sie finden, dass die Bauernproteste zu dieser Frage nicht so viel beitragen?Sie zeigen Ratlosigkeit auf, aber es geht leider überhaupt nicht um konkrete Fragen, um die Kernpunkte, die für die Zukunft von Landwirtschaft wirklich von Bedeutung sind. Es geht nicht um konkrete Forderungen für verlässliche Bedingungen und Planbarkeit. Die Diskussion müssten wir eigentlich sehr breit angehen: von der Frage der EU-Subventionen, zu den nationalen Zahlungen, vom Ordnungsrecht zu den europäischen Handelsverträgen. Zudem wundere ich mich schon: Wie kann die AfD jetzt als Trittbrettfahrerin mit auf den Traktoren sitzen, wenn sie doch ausdrücklich alle Subventionen abschaffen will? Wie können CDU und CSU sich zu Fürsprecherinnen der Bauern machen, wenn sie zugleich Handelsverträge befürworten, die immer massiv zu Lasten der Bauern gehen, weil sie zum Beispiel Importe en masse zulassen wollen, ohne jede soziale und ökologische Regelung bei den Produzenten vor Ort? Deshalb glaube ich nicht, dass die derzeitigen Proteste uns inhaltlich weiterbringen werden. Auch wenn ich den Ärger durchaus verstehe, das ist meines Erachtens nach auch ein Ärger, der aus einer Hilflosigkeit kommt. Und daraus, dass die Bauern von ihrem eigenen Verband nicht gut beraten wurden.Nicht gut beraten in welchem Punkt?Der Verband hat auch immer auf „Wachse oder weiche“ gesetzt, er hat nichts dagegen unternommen, dass mit Bodenpreisen spekuliert wird, dass es Share Deals gibt, wo am Ende gar keine Steuern gezahlt werden. Die CDU/ CSU war 16 Jahre an der Macht: Warum hat sie zusammen mit dem Bauernverband beim Wettbewerb nicht mehr gemacht, damit die Bauern auch von ihrer Arbeit leben können? Warum hat sie nicht mehr gemacht für Genossenschaften, für eine wirkliche Vertragsfreiheit mit den Bauern, bei denen Qualität und Menge und Preis vereinbart werden müssen, sodass das berechenbar ist? Warum hat man eher auf die Interessen der Agrarindustrie und der Chemie- und Futtermittelindustrie gehört?Wenn ich mir vorstelle, ich bin Bauer und dann sagt mir Christian Lindner: Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an, Sie kriegen doch neue Subventionen für den Stallumbau, da ist es doch okay, wenn alte wie der Agrardiesel wegfallen, dann würde mir auch die Hutschnur hochgehen. Was hat ein Weizenbauer, dessen Dieselsubvention wegfällt, davon, dass ein Schweinebauer, der vielleicht gar nicht so viel Diesel verbraucht, jetzt Subventionen für einen Stallumbau bekommt?Ja, das war mindestens, wenn ich es höflich sage, unpräzise, schon klar. Aber die Zukunft der Bauern wird nicht über Bestandswahrung erreicht werden. Wir brauchen eine verlässliche Transformation, und ich bin fest davon überzeugt, dass der Markt das nicht von alleine regelt. Der Markt, das sind ja heute im Wesentlichen die drei großen internationalen Chemie- und Saatgutkonzerne, die mittlerweile auch Datenkonzerne sind. Die haben ein Interesse, Patente zu halten, die haben ein Interesse, möglichst lasche Regeln für ihr Saatgut zu kriegen, den Markt zu dominieren und die einzigen zu sein, die noch eine Beratung für die Bauern machen können. Das ist doch eine Form von Abhängigkeit, wenn man sich mal näher mit dem Patent- und Saatgutrecht beschäftigt: Da stehen einem die Haare zu Berge. Das ist konzentriert auf drei große Konzerne, die die ganze Kette vom Saatgut bis zum Pestizid kontrollieren und die Welternährung immer stärker in ihren Händen haben.Sie stellen heute das von Ihnen mit herausgegebene Buch Nutztiere. Mehr als eine Frage der Haltung vor, in dem Sie auch mehrere Beiträge verfasst haben. Darin wird dargestellt, wie schlimm die Zustände der Tierproduktion teilweise sind, also der Massentierhaltung von Schweinen, Kühen, Hühnern, Puten und Fischen. Aber zugleich wird sehr viel Raum dafür verwendet, positive Beispiele zu schilden: von Bauern, die es schaffen, Tiere zu halten, ohne dass sie beim Tierwohl Abstriche machen müssen, also Schweinebauern, Rinder- und Geflügelzüchter, die ihre Tiere so halten, dass sie nicht massenhaft Antibiotika einsetzen, dass sie keine Schweineschwänze oder Hühnerschnäbel kupieren, sondern eine artgerechte Haltung umsetzen. Das zeigt ja, dass das durchaus möglich ist. Meine Frage wäre dazu nur: Sind diese Positivbeispiele denn skalierbar? Oder werden sie eine Nische bleiben? Sind es Vorbilder, die auf die ganze Branche ausgeweitet werden können?Um das zu beantworten, muss ich jetzt ein bisschen im Kaffeesatz lesen, aber ich lag ja auch nicht falsch, als ich im Kaffeesatz gelesen habe, dass das mit den erneuerbaren Energien was wird, wo man uns sagte: Mehr als vier Prozent der Stromproduktion können die gar nicht schaffen. Heute sind wir bei 55 Prozent, und das in einem Industrieland. Meines Erachtens spricht also sehr viel dafür, dass das bei der Tierhaltung genauso sein wird. Wir sollten niemand zwingen, seine Tierhaltung zu verändern, aber es sollte gekennzeichnet und transparent sein, sodass die, die einen höheren Standard und mehr Arbeitsaufwand haben, das auch vergütet bekommen. Meine These ist, dass sich in Zukunft die Art, wie die Menschen sich mit Proteinen versorgen, sehr verändern wird: Es wird hohe Tierhaltungsstandards geben, es wird pflanzenbasierte Proteine geben, und dann sowas wie Präzisionsfermentation. Darauf sollten wir uns einstellen, die darin enthaltenen wirtschaftlichen Chancen nutzen. Das strukturell zu unterstützen, ist unsere Aufgabe.Sie schreiben: Es wird immer weniger Tiere geben, die immer besser gehalten werden. Dann wird es aber auch teurer sein, Tiere oder tierische Produkte zu verzehren?Wir gehen doch alle davon aus, dass in Zukunft viel weniger tierische Erzeugnisse verzehrt werden. Und man wird immer mehr auf Transparenz achten. Natürlich ist es ein Problem, dass die Konsumenten einerseits mehr Tierschutz wollen, andererseits gern zum scheinbar billigsten greifen und dann noch vor den Folgen der Klimakrise bewahrt werden möchten. Deshalb müssen wir den Mehraufwand auch finanziert kriegen. Dafür reicht die eine Milliarde, die wir jetzt für die ersten Umstellungen in Sachen Stallumbau haben, auf die Dauer nicht aus. Wir brauchen also einen sogenannten Tierschutzcent, da arbeiten wir dran.Durch eine solche Tierwohlabgabe werden die Produkte dann aber noch mal teurer?Unser Buch heißt ja bewusst, „Nutztiere. Mehr als eine Frage der Haltung“, damit ist ja nicht nur die Haltung der Tiere gemeint, sondern auch die Haltung des Kunden und der Kundin. Es kann nicht sein, dass wir für uns selbst gesetzliche Mindestlöhne und gute Tariflöhne einfordern, aber dann möchten wir ein Schweineschnitzel essen, von dessen Produktion der Bauer nicht leben kann. Das funktioniert nicht. Es sollte künftig auch in Restaurants erkennbar sein: Wie wurde das Tier gehalten? Oder in Gemeinschaftsverpflegungen, in Schulen, in Altenheimen: Das ist am Ende auch eine Frage für jeden Landrat und für jeden in der Kommunalpolitik. Welche Landwirtschaft unterstützen wir? Dann ist das Schnitzel eben ein bisschen kleiner, aber besser in jeder Hinsicht. Wenn wir gutes Essen haben, das auch saisonal und regional ist, dann haben auch hiesige Bauern mehr Absatz, wir holen nicht immer nur das Billigste von irgendwo her. Das beinhaltet aber natürlich einen starken gesellschaftlichen Wandel. Den warmen Worten und Bekenntnissen für den ländlichen Raum müssen eben auch Taten folgen.Was ich in Ihrem Buch interessant fand, ist die Sache mit dem Schweineschwanz. Der wird ja meistens kupiert, weil die Schweine ihn sich gegenseitig abbeißen, wenn sie nicht artgerecht, etwa auf zu wenig Platz, gehalten werden, was dann zu Entzündungen und Schlimmerem führt. Es reicht jetzt aber nicht, dass man das Kupieren verbietet. Sondern daran, wie es dem Schwänzchen geht, ob es angeknabbert wird oder von sich aus gesundheitliche Probleme aufweist, oder ob es intakt ist, kann man eigentlich ablesen, wie es dem Schwein ganz im Allgemeinen geht.Das ist genau der Punkt, die gesamten Haltungsbedingungen verändern sich dann: Platz, Einstreu, Ruhebereiche, Beschäftigung, Zugang zu Frischluft folgen zwingend. Schweine sind ja sehr aktive, spielerische und intelligente Wesen, die beschäftigt werden müssen. Es reicht also nicht nur ein Aspekt, sondern man muss das systematisch angehen. Dass es davon mehr gibt, da wollen wir gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern hin.
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