Juli Zeh: „Die Bauernproteste zu diskreditieren, macht die Sache noch schlimmer“
Interview Die Schriftstellerin Juli Zeh lebt seit 20 Jahren auf dem Dorf. Ihr vor genau einem Jahr veröffentlichter Roman „Zwischen Welten“ liest sich wie ein Hintergrundprotokoll zu den Bauernprotesten heute. Zeh sieht das mit Stolz und Ambivalenz
Die Schriftstellerin Juli Zeh bei Barnewitz, dem Ort im Havelland in Brandenburg, wo sie lebt.
Foto: Marzena Skubatz/laif/
Ein Zeitungsjournalist aus Hamburg und eine Landwirtin aus Brandenburg treffen sich fast 20 Jahre nach dem gemeinsamen Germanistikstudium wieder – und beginnen einen Dialog aus E-Mails und Chatnachrichten: das ist der Plot des im Januar vor einem Jahr erschienenen Romans Zwischen Welten von Juli Zeh und Simon Urban.
Ein Jahr später liest er sich im Angesicht der Bauernproteste fast prophetisch. „Da holt wieder mal die Realität die Literatur ein … Es passiert öfter“, schrieb Zeh auf eine Interviewanfrage des Freitag hin.
der Freitag: Frau Zeh, es ist Montagvormittag und Sie fahren Auto. Schon Blockaden begegnet?
Juli Zeh: Wo ich gerade fahre, ist ländlichster Raum, da war noch nichts. Ich fahre jetzt aber nach Potsdam – und lasse das mal auf mi
Freitag hin.der Freitag: Frau Zeh, es ist Montagvormittag und Sie fahren Auto. Schon Blockaden begegnet?Juli Zeh: Wo ich gerade fahre, ist ländlichster Raum, da war noch nichts. Ich fahre jetzt aber nach Potsdam – und lasse das mal auf mich zukommen.Meinen Sie, Bauern, die Ihre Bücher gelesen haben, würden Sie passieren lassen?(lacht) Das wäre ein interessanter Versuch. Ich würde mir aber wohl keine Sonderbehandlung ausbitten. Wenn gewartet werden muss, muss eben gewartet werden, so ist das in der Demokratie.Die Demokratie sei gefährdet, heißt es nach der Blockade einer Fähre mit Robert Habeck, der Bundespräsident sagte, er sei „schockiert“ gewesen. Sie auch?Ich war ja nicht vor Ort. Der Bundespräsident allerdings auch nicht. Ich kenne nur einige Videos und was so in den Nachrichten gezeigt wurde. Darüber gleich schockiert zu sein, scheint mir doch etwas überempfindlich. Ich bin auch sehr dafür, dass man im Rahmen der Gesetze demonstriert. Aber es ist ja nun wirklich nicht so, dass da ein gewalttätiger Volksaufstand ausgebrochen wäre. Da muss man die Kirche mal im Dorf lassen.Am Ende Ihres Romans „Zwischen Welten“ attackiert die 43-jährige Landwirtin Theresa Kallis bei einem Bauern-Protest den Landwirtschaftsminister. Es war zwar jetzt der Wirtschaftsminister, aber als Sie das hörten, müssen Sie wohl gedacht haben, das Drehbuch für das geschrieben zu haben, was jetzt passiert?Ja, ich muss zugeben, dass ich das tatsächlich gedacht habe. Und das ist ein ambivalentes Gefühl, weil einerseits ist man natürlich ein bisschen stolz, als Autorin das Ohr doch recht nah an der Schiene zu haben und Dinge zu wittern. Das ist schmeichelhaft. Andererseits sind das Situationen, bei denen es schöner wäre, sie würden nicht geschehen.„Ich bilde mir ein, ganz gut nachvollziehen zu können, wie man sich so als Landwirt oder Landwirtin in Deutschland fühlt in den letzten Jahren“Haben Sie für das Buch noch zur Landwirtschaft recherchiert oder mussten Sie nur daheim in Brandenburg aus der eigenen Haustür gehen?Ich lebe ja seit 20 Jahren wirklich in der richtigen Provinz, also nicht Speckgürtel oder so etwas. Und ich bin mit sehr vielen Landwirten ganz gut bekannt, man unterhält sich viel. Die Lebensrealität, die Probleme, vor allem aber die Stimmungslage hier sind mir recht vertraut. Ich bilde mir ein, ganz gut nachvollziehen zu können, wie man sich so als Landwirt oder Landwirtin in Deutschland fühlt in den letzten Jahren.Wie denn?Andere Berufsgruppen haben es auch schwer, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber die Bauern haben das Problem, dass sie es keinem recht machen können. Die arbeiten hart, wie viele andere auch, sie sind zum Teil in ihrer Existenz bedroht, wie manch anderer leider auch. Aber sie bekommen nicht nur keine Anerkennung, sondern eigentlich immer nur auf den Deckel. Alles, was sie machen, ist immer falsch. Daraus folgt solch ein Frustgefühl – und eine hohe Emotionalität, die sich dann natürlich einmal politisch entlädt. Deswegen ist, was jetzt passiert, alles nicht überraschend.Manche fragen: Was wollen die Landwirte denn? Die Bundesregierung ist doch schon eingeknickt, hat die Kürzung größtenteils zurückgenommen, und außerdem kriegen sie doch jede Menge Subventionen.Man muss das einmal nüchtern mit Blick auf die Fakten beurteilen. Viele Landwirte, gerade kleinere Betriebe, leben wirklich am Rande, wenn nicht schon einen Schritt unterhalb der Überlebensschwelle. Diese Höfe sind wirtschaftlich akut bedroht. Wenn es denen nicht gelingt, Solarzellen, eine zweite Biogasanlage oder etwas anderes, das mit Landwirtschaft direkt erst mal nichts zu tun hat, zu bauen, dann haben sie keine Chance – trotz der Subventionen. Die werden ja nicht aus karitativen Gründen unterstützt, sondern weil sich Landwirtschaft in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr betriebswirtschaftlich führen lässt, wir die aber brauchen. Viele sind emotional sehr angefasst, weil sie sich echt anstrengen. So ein Landwirt ist ein Einzelkämpfer – der sitzt mit dem Antrag für das Solarfeld Sonntagabend zwischen 20 und 24 Uhr an seinem Schreibtisch, und am Montagmorgen um sechs muss er wieder im Dienst sein. Die wollen es gut machen, obwohl die an sie gerichteten Anforderungen immer weiter zunehmen, ob mit der Umstellung auf Bio oder der ganzen Bürokratie aus Brüssel. Und dann dauert die Entscheidung über den Antrag auf das Solarfeld ewig und plötzlich gibt es tausend Gründe gegen eine Genehmigung. Doch die Resonanz ist meist: Ihr doofen Bauern, was wollt ihr denn, ihr kriegt doch schon so viele Subventionen, außerdem seid ihr eh alle Nazis und dumm und lebt auf dem Land und wahrscheinlich seid ihr auch noch Corona-Leugner. Ich überspitze jetzt, aber die öffentliche Wahrnehmung ist tatsächlich oft verletzend. Darum liegt ein auch emotionales Problem zugrunde, wenn man sich morgens um fünf Uhr bei Minusgraden mit dem Trecker auf die Straße stellt.Die Bauern werden gewarnt, sie würden nicht merken, von rechts unterwandert zu werden …Man muss immer damit rechnen, dass sich Rechtspopulisten Aufregerthemen auf die Fahnen schreiben – das ist deren Strategie. Man muss aber gleichzeitig sehen, dass die Veranstalter und Teilnehmer einer Demo dafür nicht unbedingt etwas können und es auch nicht immer deren Aufgabe ist, darauf aufzupassen. „Ihr müsst euch abgrenzen“, heißt es dann – aber wie soll das denn gehen?Sehen Sie Überschneidungen?In meinem persönlichen Umfeld gibt es keine, und auch in der Presse finde ich wenig konkrete Anhaltspunkte für solch ein massives Framing. Das scheint mir eher dünn und ich verdächtige diese mediale Resonanz, Dinge, die einem unangenehm sind, schnell in einer Schublade ablegen zu wollen. Das ist nicht gesund, das macht die Sache schlimmer und die Leute noch wütender und verletzter. Es diskreditiert eine legitime Form von demokratischer Meinungsäußerung.„Schau mal, die schönen Hügel, der schöne Wald – dass wir das sagen können, ist der Arbeit von Menschen zu verdanken, die das pflegen. Das macht nicht Mutter Natur von selber“Landwirte galten ja stets als „Pfleger des Kulturraums“ – wie ist das in der Realität bei Ihnen in Brandenburg?Von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Oft sind Landwirte die einzigen verbliebenen echten Arbeitgeber. Dadurch hängt die Existenz vieler Familien an den Höfen. Häufig sind es die einzigen, die die Möglichkeit haben, Veranstaltungen wie ein Dorffest zu subventionieren, zu spenden und aktiv zu werden, die Feuerwehr mitzutragen. Wenn das Verhältnis zwischen Dorf und Bauern gut ist, helfen sie unheimlich stark den vielen kleinen halben Selbstversorgern, die es gibt – mit Gerätschaften, Ratschlägen, damit, etwas mit zu bewirtschaften. Und was man in der Wahrnehmung nicht vernachlässigen darf, wenn man aus der Großstadt raus quer durch Deutschland fährt und aus dem Fenster guckt: Das, was wir da sehen und Natur nennen, das ist entweder Forstwirtschaft oder Landwirtschaft. Eines von beiden und nichts sonst. „Schau mal, die schönen Hügel, der schöne Wald“ – dass wir das sagen können, ist der Arbeit von Menschen zu verdanken, die das pflegen. Das macht nicht Mutter Natur von selber.„Die blöden Bauern heulen wieder rum, obwohl sie Subventionen aus Brüssel kriegen. Aber wenn du mehr Diversität oder ein drittes Klo oder Safe Spaces forderst, dann hört jeder zu und dann bist du ein guter Mensch.“ Nur Zuspitzung? Oder ist diese Buchpassage Meinungsrealität?Das ist Meinungsrealität, ich möchte aber kurz bitten, es nicht mit meiner persönlichen Meinung zu verwechseln, wenn ich versuche zu erklären, was Menschen denken und fühlen, die in meinen Augen oft zu Unrecht als dumm oder sogar rechtsradikal abgetan werden. Ich weiß, dass es bescheuert klingt, wenn man sagt: Menschen fühlen sich nicht gehört und nicht gesehen. Als würde man über kleine Kinder reden, die sagen: „Mama und Papa beachten mich nicht genug!“ Aber Menschen haben tatsächlich das Bedürfnis, mit dem, was sie tun und wofür sie sich Mühe geben, eine Form von positiver Resonanz zu bekommen. Wenn die auf längere Zeit ausbleibt, folgt daraus die Wahrnehmung: Ihr in den Städten streitet darüber, wie man reden darf, während wir echte Probleme haben, nämlich die Rechnungen am Ende des Monats zu bezahlen. Und das birgt eine Gefahr. Als Nächstes folgt aus dieser Wahrnehmung Elitenfeindlichkeit. „Die da oben“ werden als untauglich angesehen. Man traut ihnen nicht mehr zu, für das Volk Politik zu machen. Und genau das ist die Einflugschneise von rechten Parteien.Was ist mit den Grünen? Nicht nur in Brandenburg und Sachsen stellen sie die Landwirtschaftsminister.Schwierig, das zu pauschalisieren. In der Mehrzahl bekomme ich gespiegelt, dass das Verhältnis zwischen den Grünen und der Landwirtschaft eine Geschichte voller Missverständnisse ist. Die Wahrnehmung geht doch sehr in die Richtung: „Die Grünen machen uns mit dem, was sie fordern und ändern wollen, das Leben immer schwerer“. Das ist deswegen so schade, weil die gegenteilige Erzählung viel konstruktiver wäre und vielleicht sogar realistischer. Denn für die Energiewende können und müssen Landwirte ja eine große Rolle spielen. Das ließe sich sicher für alle Seiten konstruktiv gestalten. Robert Habeck wird übrigens oft anders gesehen. Er genießt als Einzelperson höheren Respekt als die Partei, dadurch dass er mal Landwirtschaftsminister war und seine ganze Biografie hindurch ein sehr realistisches Bild von den Existenzbedingungen der Landwirte hat.Das Protestpotenzial der Bauern hat wohl auch er unterschätzt.Ja, obwohl man das ja von den Bauern kennt. Die sind ja fast der letzte Berufsstand, der mit solch einer breiten Demonstrationskultur unterwegs ist, das haben sie in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Und man weiß ja auch, dass sie organisiert sind.„Je mehr man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört und je mehr man auch mal mit angefasst hat, desto besser versteht man den jeweiligen Lebensraum“Was nun tun mit dem Stadt-Land-Gefälle? Studierende und Schüler zur Feldarbeit aufs Dorf, wie einst in der DDR und Bayern?Was ich wirklich toll fände: Die Idee, eine gewisse Lebenszeit, ob mit 18 oder irgendwann im Verlauf der Biografie, ganz außerhalb seines eigenen Bereichs eine Arbeit zu machen, die in irgendeiner Form gemeinnützig ist. Gerne sogar verpflichtend. Das würde vielen Leuten und der Gesellschaft guttun. Meine persönliche Lebenserfahrung ist: Je mehr man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört und je mehr man auch mal mit angefasst hat, desto besser versteht man den jeweiligen Lebensraum. Von außen betrachtet sieht oft alles komisch aus und man denkt, die Leute spinnen alle. Wenn man aber mal reingeguckt hat, merkt man: Das hat seine eigenen Logiken und manchmal auch seine eigenen Berechtigungen. Zumindest einen starken Anreiz für solch einen Blick über den Tellerrand fände ich super.Wie sieht’s auf der Straße aus? Immer noch keine Blockade?Doch! Während wir geredet haben, bin ich schon einmal abgebogen und durch den Wald gefahren, ich kenne ja hier auch die Schleichwege und musste kreativ werden. Jetzt bin ich wieder auf der Bundesstraße, mal gucken, wie weit ich komme.Placeholder infobox-1
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