Rentenpaket der Ampel: Christian Lindner vernebelt die Haltelinien
Altersvorsorge Endlich hat die Ampelregierung ihr Rentenpaket II vorgestellt. Es ist ein Kompromiss zwischen SPD-Grundrezept und FDP-Spezialzutat. Zusammen macht das eine gefährliche Mischung
Der Grad an politischer Fantasie für eine gerechte, sichere Altersvorsorge entspricht bei Christian Lindner und Hubertus Heil dem Füllstand ihrer Gläser
Foto: Hans Christian Plambeck/Laif
Was kommt raus, wenn Hubertus Heil und Christian Lindner zusammen eine Pressekonferenz geben – bei der sie das lange erwartete Rentenpaket II der Ampelregierung vorstellen? Ungefähr so was: Einige notdürftig gekennzeichnete sozialdemokratische Haltelinien, die hinter neoliberalen Kapitalmarkt-Verwehungen verblassen und schließlich verschwinden. Man muss es dem Finanzminister lassen: Christian Lindner (FDP) könnte mit seiner Nebelmaschine sofort in jeder Dorfdisco anfangen.
Worum es aber in der Sache eigentlich ging, ob das Vorgestellte jetzt einen Fort- oder einen Rückschritt darstellt – oder gar zwei Schritte vor und einen zurück, wie die IG Metall kommentierte –, um das zu verstehen, muss man ganz kurz von der Debatte wegtreten und sich verg
1; oder gar zwei Schritte vor und einen zurück, wie die IG Metall kommentierte –, um das zu verstehen, muss man ganz kurz von der Debatte wegtreten und sich vergegenwärtigen, was hier eigentlich auf dem Spiel steht. Und wie darüber diskutiert wird.Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und seine Partei haben damit Wahlkampf geführt und Koalitionsverhandlungen bestritten, dass sie sowohl das Rentenniveau (derzeit 48 Prozent des Durchschnittseinkommens) als auch das Renteneintrittsalter (derzeit 66, bis 2031 steigend auf 67 Jahre) stabil halten wollen. Beides, muss man feststellen, ist von rechter Seite und von unternehmensfreundlicher Ökonomik unter Beschuss. Das hat einen einfachen Grund: Wer Rentenniveau und Eintrittsalter als „Haltelinien“ festzurrt, kann, so wie die Diskussion geführt wird, nur mehr an zwei anderen Stellschrauben drehen: Der Beitragshöhe (derzeit 18,6 Prozent, je zur Hälfte getragen von Arbeitgebern und -nehmern) und der Höhe des Bundeszuschusses, mit dem aus dem laufenden Haushalt die Renten komplettiert werden (derzeit 117 Milliarden Euro, fast ein Viertel des jährlichen Rententopfes).Denkt denn wieder niemand an die Beamten?„So, wie die Diskussion geführt wird“: Denn es gäbe ja durchaus auch andere „Stellschrauben“, die denkbar wären. Und drehbar: Zum Beispiel eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils an den Beiträgen. Dass diese wie in Deutschland 50:50 geteilt werden, ist in vielen europäischen Ländern nicht der Fall, stattdessen zahlen Arbeitgeber mehr. Was schon das Argument vorwegnehmen würde, dass durch eine derartige Anhebung ein Wettbewerbsnachteil entstünde. Eine andere Möglichkeit, die in Deutschland nur von der Linken überhaupt als bedenkenswert erachtet wird: Eine Anhebung des Rentenniveaus. Das liegt bei 48 Prozent, und Hubertus Heil stilisiert sich als sozialdemokratischer Kämpe, weil er es halten will und vor dem „Absturz“ bewahren. In der EU liegt das Rentenniveau im Durchschnitt bei 70 Prozent.Aber damit nicht genug: Wie wäre es mit einer Reform der Altersversorgung für Staatsbeamte, so dass auch sie endlich Beiträge ins staatliche Umlagesystem einzahlen? Das ist nicht Gegenstand der Debatte und damit auch keine Stellschraube. Ebenso wenig: Eine deutliche Anhebung der Mindestrenten, finanziert durch Umverteilung von hohen Einkommen in derselben Altersklasse? Nie gehört.Diese kleine Materialsammlung bezweckt alleine, zu verdeutlichen, in welch engen Grenzen die politische Fantasie sich beim Thema derzeit hierzulande austoben darf. Aber halt: In eine Richtung darf sie kreativ werden: in Richtung einer Schwächung der staatlichen, umlagefinanzierten Rente und der Stärkung der kapitalgestützten Altersvorsorge. Vielleicht könnte man statt „kapitalgestützt“ ja auch „das Kapital stützend“ sagen. In jedem Fall hatten genau mit diesem Ziel Christian Lindner und seine FDP Wahlkampf geführt und Koalitionsverhandlungen bestritten. Eine „Aktienrente“ wollte man, am besten nach schwedischem Vorbild: Zwei Prozent der Beiträge jedes Jahres sollten am Kapitalmarkt angelegt werden, auf dass alle Beitragszahler an der wundersamen Geldvermehrung an den Börsen teilhaben.Stützt das Kapital die Rente? Oder umgekehrt?Das ist die Ausgangslage, vor der die Ankündigungen der Pressekonferenz dieser Woche zu verstehen sind. Als Kontext kommt noch das Gespenst des „demografischen Wandels“ hinzu, also die jetzt schon und dann verstärkt im kommenden Jahrzehnt in Rente gehenden Babyboomer und die wahrscheinlich abnehmende Zahl der Beitragszahler.Die Antwort der Ampelkoalition, von Heil und von Lindner, auf all das: Rentenniveau und Renteneintrittsalter sollen bis 2039 stabil bleiben. Dafür müssen die Beiträge ab Ende der 2020er-Jahre auf 22 Prozent steigen. Um diese Entwicklung „abzufedern“, soll eine „Stiftung Generationenkapital“ eingeführt werden: Ein Topf voll Geld, den der Bund aufsetzt, indem er sich Geld leiht, das dann am Kapitalmarkt angelegt wird. Bis 2035 soll das Generationenkapital auf insgesamt 200 Milliarden Euro anwachsen und dann jährlich zehn Milliarden Rendite ausschütten, die den Bundeszuschuss für das umlagefinanzierte Rentensystem ergänzen.Man erkennt sofort: Mit der Aktienrente hat das nichts mehr zu tun. Aber folgenschwer könnte die Entscheidung trotzdem sein. Denn wenn sie auch Hubertus Heil sinngemäß damit erklärt, dass so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen wurden: Die FDP kriegt den Kapitalmarktfuß in die Tür des Rentensystems und ist's zufrieden, zugleich dämpfen die Renditen aber die Beiträge der umlagefinanzierten Rente. Das Kapital als Stützpfeiler des Rentensystems, wirklich? So könnte im Gegenzug aufgehen, was Christian Lindner sich davon erhofft: Dass mit dem Aufsetzen einer „dritten Säule“ des staatlichen Rentensystems als kapitalgestütztes Element ein Damm bricht. Und das zum Anfang einer verhängnisvollen Entwicklung wird.Hört einfach auf, arm zu sein!Lindner sagte es bei der Pressekonferenz selbst: Er erhoffe sich von diesem Schritt einen Bewusstseinswandel, einen Paradigmenwechsel, den Beginn einer Debatte über die segensreiche Wirkung von Kapitalmärkten. Da war die Nebelmaschine schon in voller Fahrt: Die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland, so Lindner, liege ja auch daran, dass nur so wenige Menschen am Kapitalmarkt partizipierten. Was jetzt vom Argumentationsniveau fast an dem fälschlicherweise Paris Hilton zugeschriebenen Appell an die Armen heranreichte: „Stop being poor!“Die Stiftung Generationenkapital soll anfangs vom KENFO verwaltet werden, dem Fonds für die Finanzierung der Kerntechnischen Entsorgung, in dem die Gelder der Kraftwerksbetreiber angelegt sind, mit denen die Entsorgung des Atommülls bezahlt werden soll. Auf die Frage, welche Renditen man sich denn von dem Generationenkapital erhoffe, da sie doch auch erst mal die Zinskosten übersteigen müssten, verwies Lindner auf die Rendite des KENFO im Jahr 2023: Sie habe bei elf Prozent gelegen. Was er verschwieg: Im Jahr davor hatte der KENFO mehr als zwölf Prozent Verlust gemacht.Deutschland stellt also ein, wenn auch vorerst nur kleines, Standbein seines Rentensystems auf den Kapitalmarkt um. Als ausschlaggebender Grund mag so etwas wie Fin-FOMO herhalten: also die Fear of Missing Out, die sonst Teenager antreibt, aber diesmal eben auf Renditen und Aktienkurse bezogen. So ist das mit der Ampel: Zwei Sozi-Haltelinien gibt es nur im Kuhhandel gegen den Einstieg in eine Entwicklung, die in Großbritannien, den Niederlanden oder den USA ihren Schatten wirft. Über kurz oder lang wurde dort der Aktienindex zum Politikziel und die Börsenrallye zum Zweck des Regierungshandelns: Denn stürzten die Kurse ab, wären ja auch die Renten futsch. Ob das mal gut geht?Wie man das Renten-Pferd auch ganz anders aufzäumen könnte, hat am vergangenen Wochenende die Schweiz vorgemacht: Weil zwölf Rentenauszahlungen im Jahr bei vielen nicht zum guten Leben reichen, hatte der Gewerkschaftsbund vorgeschlagen, die Rente künftig doch dreizehnmal im Jahr auszuzahlen. Die Schweizerinnen und Schweizer waren überzeugt, und stimmten mehrheitlich dafür. Es ginge also auch anders.
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