Die Räumung ist eine politische Frage

Liebigstraße 34 In Berlin-Friedrichshain wurde die größte Zwangsräumung seit Jahren von einem rot-rot-grünen Senat hingenommen

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Polizisten betreten den Innenhof der Liebigstraße 34 anlässlich ihrer Räumung
Polizisten betreten den Innenhof der Liebigstraße 34 anlässlich ihrer Räumung

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Seit Donnerstagmorgen ist die Liebigstraße in Berlin-Friedrichshain weitläufig von der Polizei abgesperrt. Mit dieser „roten Zone“, die auch eine massive Einschränkung der Grundrechte vieler Anwohner*innen bedeutet, sollte die Räumung der Liebigstraße 34 vorbereitet werden, welche heute vollzogen wurde. Direkt vor der Polizeiabsperrung hatte das Berliner Bündnis „Mietenwahnsinn stoppen“ am 8. Oktober, dem Vortag der Räumung, vormittags zu einer Pressekonferenz aufgerufen. Dort wurde ein Offener Brief vorgestellt, in dem der Berliner Senat aufgefordert wurde, die am heutigen Freitag vollzogene, größte Zwangsräumung der vergangenen Jahre zu verhindern.

Mehrere Redner*innen erinnerten daran, dass in Berlin jährlich etwa 5.000 Zwangsräumungen durchgesetzt werden. „Die meisten geschehen aber still und leise, dass nicht einmal die Nachbar*innen etwas mitbekommen. Für die Betroffenen endet diese brutale Form der Verdrängung häufig in Wohnungs- und Obdachlosigkeit“, erklärte eine Aktivistin des Bündnisses. Der Unterschied sei bei der Liebigstraße 34 nur, dass die Bewohner*innen das Haus nicht still und heimlich verlassen, sondern über Jahre gegen ihre Zwangsräumung gekämpft haben. Das Haus wurde vor 30 Jahren von wohnungssuchenden Menschen besetzt und ist seit zehn Jahren ein queerfeministisches Projekt. Einer der Erstbesetzer hat unter dem Titel Stino – Von West nach Ost durch Berlin 1990 ein Buch geschrieben (https://www.berlin1990.de) in dem er die Motivation beschreibt, die ihn zur Hausbesetzung bewog.

Padovicz, oder: wie Kapitalismus und Kriminalität zusammengehören

Auch die Friedrichshainer Bezirksgruppe der Berliner Mietergemeinschaft (BMG) hat auf der Pressekonferenz den Senat aufgefordert, dem Investor Padovicz, der seit Jahren für seine mieterfeindliche Haltung bekannt ist, keinerlei Infrastruktur für die Räumung zur Verfügung zu stellen. Mieter*innenorganisationen ist Padovicz seit den 1990er Jahren als Kapitalist bekannt, der für den Profit sämtliche Mittel nutzt, die in der Immobilienwirtschaft bekannt sind, um Mieter*innen aus ihren Wohnungen zu werfen. Auf dem Blog Padowatch, der von Padovicz-Betroffenen gegründet wurde, werden die Methoden beschrieben. Hier wird auch deutlich, dass Kriminalität und Kapitalismus kein Widerspruch sind sondern zusammengehören. Padovicz hat begriffen, was Karl Marx schon vor 150 Jahren so beschrieb:

Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.

Daher sollten Padovicz und Co. eben auch als Kapitalisten kritisiert werden, die, wie so viele, die Zerschlagung der DDR als Chance nutzten, um Profit zu machen. Damals waren fast alle Wohungen im Besitz des Kommunalen Wohnungsbaus. Es war die Politik von PDS bis CDU, die in Berlin Wohnraum zur Ware gemacht hat. Mit der AfD sitzt jetzt noch eine weitere prokapitalistische Partei im Abgeordnetenhaus

Keine Infrastruktur für Padovicz

Die Bezirksgruppe der Berliner Mietergemeinschaft hat daher klar vom Senat gefordert: „Keine Polizeikräfte, keine Hubschrauber, keine Absperrmaßnahmen sollen einen derart berüchtigten Eigentümer dabei unterstützen, Mieter*innen kurz vor dem bevorstehenden Winter in die Obdachlosigkeit zu zwingen. Das ist das Mindeste, was von einem Senat gefordert werden kann, der von Parteien getragen wird, die sich links nennen und die Wohnungsproblematik vor den vergangenen Wahlen zu einem zentralen Thema erklärten und mit entsprechenden Slogans für sich warben.“ Die Berliner Mietergemeinschaft widerspricht Aussagen von Politiker*nnen der Linken und den Grünen, die davon sprachen, dass mit der Räumung ein juristisches Urteil zugunsten von Padovicz umgesetzt werde. Es sei eine politische Frage, für die Interessen eines Investors Grundrechte in einen Stadtteil außer Kraft zu setzen und teure Polizeieinsätze anzuordnen. Mehrere Betroffene erinnerten daran, dass Mieter*innen ihre Rechte beispielsweise gegen Zweckentfremdung von Wohnraum oder für die Umsetzung des Mietendeckels oft nicht durchsetzen können, weil es nicht genug Personal in den Verwaltungen gibt. Ein Polizeieinsatz zur Durchsetzung von Mieter*innenrechten ist niemandem bekannt. Der Berliner Senat müsse sich entscheiden, ob er auf Seiten von Investoren wie Padovicz oder der der Mieter*innen steht, so der Tenor der Erklärungen der Mieter*innenorganisationen am Donnerstag. Die Räumung am Freitag zeigte, dass sich der Senat entschieden auf die Seite des Kapitals stellt.

Padovicz und Co. enteignen

Nun muss darauf geachtet werden, dass die Proteste nicht in hilflosen Aktionen verpuffen. Die Blockierung der S-Bahn durch einen Kabelbrand, der mit Unterstützer*innen der Liebigstraße 34 in Verbindung gebracht wird, trifft Padovicz und Co. nicht. Was ihn mehr erschüttern würde, wäre eine Enteignungskampagne. Es gibt bereits das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Zu jenem „Co.“ gehören auch Padovicz, Christoph Gröner und alle anderen, die mit Wohnraumen Profit machen. Wenn die Räumung vielen Mieter*innen die Augen dahingehend geöffnet hat, dass im Kapitalismus nicht für ihre Rechte sondern für die Eigentümer millionenschwere Polizeieinsätze vorbereitet werden, dann ist die Räumung noch immer eine Niederlage, aber eine, aus der die linke Bewegung lernen kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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