Spiegel der Gesellschaft

Kino Der am 20. Juni in die deutschen Kinos kommende Film „Eine moralische Entscheidung“ gibt einen Einblick in die aktuelle Realität im Iran

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Foto: Presse

Die Story ist schnell erzählt und verspricht Verwicklung und Spannung. Ein Mann verursacht einen nächtlichen Verkehrsunfall. Scheinbar ist nicht viel passiert. Der Mann bietet den Opfern des Unfalls Geld, will aber nicht, dass dieses die Polizei einschalten, weil dann ja vielleicht der Ruf beschädigt würde. Schließlich ist der Unfallverursacher Assistenzarzt und muss im Job stark um den Aufstieg kämpfen. Doch am nächsten Tag wird die Leiche des Jungen ins Krankenhaus eingeliefert, den Kaveh Nariman, so heißt der Unfallverursacher, mit seinen Auto von der Straße gedrängt hatte. Sofort melden sich bei ihm die Zweifel. War der Junge doch schwerer verletzt, als es schien? Und hat er womöglich aus Sorge um seinen Ruf dafür gesorgt, dass die Verletzung nicht rechtzeitig behandelt werden konnte?

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Wie Nariman mit der Ungewissheit umgeht, wie seine Kolleg*innen und seine Familie darauf reagieren, das ist das Thema des Films. Dabei ergeht er sich nicht nur in Schuldbewusstsein. Er hat lange auch seine Karriere im Blick, die Schaden nehmen könnte, wenn sich herausstellt, dass der Arzt, der den toten Jungen untersuchen soll, nur wenige Stunden später an einen Unfall mit den Toten beteiligt war. Und dannist da noch der Vater des Jungen, der den Unfallverursacher kennt? Wie wird er reagieren? Manche Fragen werden am Ende des Films beantwortet, andere bleiben offen.

Doch neben der Story liefert der Film einen Einblick in die aktuelle iranische Gesellschaft, der manche Klischees infrage stellt. So wirddie Arbeitskollegin von Nariman als starke Frau gezeigt, die sich von ihm nicht mit Ausreden beschwichtigen lässt, als er begründet, warum er den Jungen nicht untersuchen will, ohne über den Unfall zu berichten. Doch noch deutlicher wird in dem Film die gegenwärtige Klassenspaltung in der iranischen Gesellschaft gezeigt.

Blick auf die iranische Klassengesellschaft

Unfallverursacher und Unfallopfer gehören nämlich völlig getrennten Welten an. Auf der Homepage des Films werden die feinen Klassenunterschiede durch die unterschiedliche Kleidung der Protagonist*innen aufgezeigt. Nariman und seine Familie sind Teil der aufstrebenden iranischen Mittelschicht, die sich nicht nur ihr Haus, sondern auch manchen anderen Komfort leisten kann, die sehr karrierebewusst ist und alles, was sie bedroht, ausblenden will. Die Unfallopfer gehören zu der wachsenden Schicht der Armen in der iranischen Gesellschaft, die sich mit vielen prekären Jobs über Wasser halten müssen. Vater und Sohn waren beruflich mit dem Mofa unterwegs, als sie abgedrängt wurden. Nariman war natürlich bewusst, dass er sie mit einen Geldversprechen von einer Anzeige abhalten kann. Nachdem ihm immer mehr Zweifel kommen, macht er sich auf zum Besuch bei der Familie des toten Jungen. Es wird die Welt der iranischen Armut gezeigt. Aber auchdas Selbstbewusstsein der betroffenen Menschen, die sich nicht auf Empfänger*innen milder Gaben reduzieren lassen und die die Selbstzweifel des Mittelschichtsmann nicht berühren. In diesem Sinne gehört „Eine moralische Entscheidung“ zu der größer werdenden Zahl iranischer Filme, die unterschiedliche Facetten der iranischen Gesellschaft zeigen.

Peter Nowak

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Eine moralische Entscheidung, ab dem 20. Juni 2019 im Kino

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Geschrieben von

Peter Nowak

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