Das Unbehagen ist groß

Charlie Hebdo Überall auf der Welt solidarisierten sich Menschen mit den Opfern des Anschlags und traten für Presse- und Meinungsfreiheit ein. Ob das so bleiben wird?
Das Unbehagen ist groß

Bild: imago/Haytham Pictures

Tausende Menschen haben sich gestern in Frankreich, aber auch in Deutschland und anderen Ländern mit den Opfern des furchtbaren Anschlags auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo solidiarisiert. Es war ein beeindruckendes Zeichen dafür, dass unsere Gesellschaften sich nicht von Terror und Fanatismus davon abbringen lassen werden für ihre Werte einzutreten., für Presse- und Meinungsfreiheit. Es waren friedliche Versammlungen von Menschen, die nicht nur demokratische und freiheitliche Werte verteidigen wollten, sondern die auch einen Unterschied machen zwischen der Religion des Islam und radikalen Fanatikern, die Religion als Motiv für ihre terroristischen Zwecke missbrauchen.

Ob das so bleiben wird?

In Frankreich muss man befürchten, dass die Debatte der kommenden Tage anders verlaufen wird. Dort gib es einen starken Front National, der seit Jahren mit seinem harschen Anti-Islamismus die Stimmung anheizt und generell Stimmung gegen Ausländer macht. Über mangelnden Wählerzulauf muss sich Marine Le Pen nicht beklagen, ihr werden sogar gute Chancen für bei der nächsten Präsidentschaftswahl vorhergesagt.

Aber richtig ist eben leider auch: Das bisherige französische Integrationsmodell ist gescheitert, das Land mit der zahlenmäßig größten muslimischen Gemeinschaft in der Europäischen Union hat es nicht geschafft, Millionen von Menschen das Gefühl zu geben, sie seien Teil der Gesellschaft. Auch die beiden mutmaßlichen Attentäter hatten einen französischen Pass. Mit den Werten der französischen Demokratie wollen sie aber nichts zu tun haben.

In Deutschland sind die politischen Verhältnisse zum Glück anders. Die Pegida-Bewegung, das hat der vergangene Montag ja gezeigt, ist weit davon entfernt ein Phänomen von bundespolitischer Bedeutung zu werden. Aber man darf die Stimmung, die sich in diesen Protesten ausdrückt, auch nicht unterschätzen. Es gibt in Deutschland einen Nährboden für Ressentiments gegen den Islam und Muslime. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Deutschen den Islam als bedrohlich wahrnimmt, nur ein Drittel der Menschen sieht ihn positiv. Das Unbehagen ist also groß und diesen Gründen muss nachgegangen werden. Denn die Muslime wiederum fühlen sich der deutschen Gesellschaft zu großen Teilen eng verbunden. Es ist eine verkehrte Welt.

Schlimmer noch, die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es auch hierzulande eine wachsende Zahl vor allem junger Muslime gibt, die sich radikalisieren. Seit dem vergangenen Sommer sind etwa 500 von ihnen sind nach Syrien und in den Irak ausgereist, um sich dort den terroristischen Fundamentalisten der IS anzuschließen. Aufgefallen war das bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemanden. Das zeigt: Das Thema spielte viel zu lange Zeit politisch und gesellschaftlich überhaupt keine Rolle. Diese Defizite, die dazu beitragen, junge Leute auf den Irrweg des Fundamentalismus zu leiten, können am Ende dazu führen, dass eine ganze Gesellschaft in ihren Grundwerten beroht wird. Das zumindest ist eine der Lehren, die man aus den schrecklichen Morden von Paris ziehen muss. Diese Defizite kann man nur auflösen, wenn man nicht mit Abschottung und Ausgrenzung reagiert, wie es die rechtspopulistischen Parteien fordern, sondern mit größerer gesellschaftlicher Durchlässigkeit, mit Aufstiegschancen und Toleranz. Auch wenn es schwerfallen mag. Aber seien wir ehrlich: Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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