In seinem Newsletter verschickte der Historiker Adam Tooze kürzlich eine Grafik, um zu erklären, was eine Polykrise ist. Ein Gewirr von Pfeilen zeigt Verbindungen: die Omikron-Variante auf der einen Seite, der russische Angriffskrieg darunter. Auf der anderen Seite standen Klimakrise, Hunger und EU-Demokratien in Not, irgendwo in der Mitte, auf halbem Weg zwischen Ukrainekrieg und Inflation die Energiepreise.
Die Aussicht auf einen Winter mit Einschränkungen im Energieverbrauch trifft auch den Kulturbetrieb und besonders Kunstinstitutionen, so viel steht fest. Aber mit welchen Maßnahmen sich die Krise lindern lässt, ist weniger klar. Der Deutsche Museumsbund hat schon im Juli gewarnt, dass Gasknappheit zum Problem wird. Dabei ging der Appell an die Institutionen. Si
tionen. Sie sollten sich an Kolleg*innen wenden, Pläne erarbeiten, resilient werden.Inhaltlich setzen sich die Museen mit dem Thema Ökologie schon lange in Ausstellungen und Reihen auseinander, und seit einigen Jahren fließen diese Fragen auch in den Betrieb selbst ein. So hat der Gropius Bau, ein Haus mit Fokus auf zeitgenössische Kunst, für die Ausstellung Down to Earth im August 2020 auf Klimaanlagen und künstliches Licht verzichtet, Broschüren wurden auf alte Plakate gedruckt. Der Sommer 2020 war warm in Berlin, und die Schau war eine schöne Zero-Waste-Utopie nach dem Pandemieschock. Aber was, wenn es Winter wird? Was, wenn Betriebskosten das Budget für Programme fressen oder Institutionen die Kosten an die Belegschaft weitergeben? Was, wenn Gasmangel die Unversehrtheit von Kunstwerken gefährdet, wenn das Energiesparen nicht länger freiwillig ist?Funktionsfähigkeit und Sicherheit der Einrichtungen sind in Gefahr, heißt es in einem Papier, das die Kulturminister*innen der Länder Ende September vorgelegt haben. Notfallpläne sollen den Einrichtungen angepasst werden. Krisenstäbe zur Auslagerung und Inventarisierung der Sammlungsbestände werden vorgeschlagen – aber gerade Letzteres dürfte für Häuser mit historischen Sammlungen schwierig werden, wo oft nicht klar ist, was überhaupt in den Depots lagert.Schon im August teilten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) mit, dass Bedingungen, welche die Unversehrtheit der Werke sicherstellen, nicht zur Diskussion stehen. Wo die Priorität der Dresdner liegt, ist klar. Beim Energiesparen wollen sie unterscheiden zwischen Personen – Mitarbeitende und Besucher*innen – und den Sammlungen. Die Bewahrung der Kunst ist die Hauptaufgabe, und das wird auch bei Einsparungen berücksichtigt: Schimmel durch Feuchte und Kälte ist nicht verhandelbar.Trotzdem sollen Faktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Institutionen etwa in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museumsbund auf ihr Energiesparpotential hin überprüft werden. Die Dresdner Häuser kommunizieren damit über mehr als die Energiekrise. „Nicht zuletzt mit Blick auf den Klimawandel wollen die SKD hier ihren Beitrag leisten“, heißt es.In Dresden hat man Erfahrung beim Bilanzieren der Energiekosten. Denn bereits Ende 2019 haben die SKD – im Rahmen des Pilotprojekts „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“, das die Kulturstiftung des Bundes finanziert hat – eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit Nachhaltigkeit befasst. Sie erarbeitete Kriterien, den ökologischen Fußabdruck für Kunsthäuser zu messen, und die Häuser fingen an zu untersuchen, wo Emissionen entstehen. Dabei wurde schon die Klimabilanz des Albertinums und des Kunstgewerbemuseums erfasst.Andere Verbände sind nicht so weit. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine hat noch keine Maßnahmen vorgeschlagen. Auf Anfrage hieß es vom Vorstand, dass das Thema Ende Oktober auf die Tagesordnung der Vollversammlung kommt, wahrscheinlich zumindest. Dabei sind gerade in den Mittelgroß- und Kleinstädten der Bundesrepublik die Kunstvereine kritische Infrastruktur.Was folgt aus unter 19 Grad?Vielleicht gibt es aber eine andere Erklärung für das Fehlen von Richtlinien seitens der Arbeitsgemeinschaft. Denn, so sagt der Kurator des Kunstvereins Braunschweig, Benedikt Seerieder, der sich Gedanken über den kommenden Winter gemacht hat, Kunstvereine sind vielgestaltig. Manche haben beinahe Museumsdimensionen, andere sind kaum größer als ein Kiosk. Ihre Bauten unterscheiden sich. Eine zugige Altbauvilla hat andere Energieanforderungen als ein Neubau. Außerdem sind ihre Förderstrukturen sehr verschieden. Stiftungen, Landesmittel, Mitgliederbeiträge finanzieren die Häuser in variierenden Zusammensetzungen. Anders als die Museen verfügen sie nicht über Sammlungen. Wenn man keine Werke für die Jahrhunderte bewahrt, ist der Auftrag ein anderer. Kunstvereine, sagt Seerieder, sind „Orte des Diskurses und der Begegnung“, die „auch die Verflechtung unbewältigter Konflikte in den Blick bekommen“.Eine Polykrise, erklärt Adam Tooze, ist nicht bloß eine Reihe von Notlagen, die gleichzeitig stattfinden, sondern eine komplexe Matrix, die als Ganzes gefährlicher ist als die Summe ihrer Teile. Ob die Raumtemperatur unter 19 Grad fallen darf, ist eine wichtige Frage, auch, ob man durch steigende Heizkosten an anderer Stelle sparen muss. Aber die Häuser sind auch ein Ort, wo Komplexität durchdacht werden kann – und gerade da liegt ja die Stärke von Kunstinstitutionen als kritischer Infrastruktur.