Vertrieben und vergessen

Konflikt Über den Krieg im Jemen wird wenig berichtet. Dabei sei die Situation dort ähnlich schlimm wie in Syrien, sagt der Nothilfe-Koordinator Tariq Riebl von Oxfam
Immer wieder ist die zivile Infrastruktur das Ziel von Bombenangriffen
Immer wieder ist die zivile Infrastruktur das Ziel von Bombenangriffen

Mohammed Huwais/Getty Images

Gerade haben saudischen Flugzeuge die falschen Ziele angegriffen. Sie beschossen nicht die Huthi-Rebellen, sondern regierungstreue Soldaten. Dreißig Menschen sind dabei gestorben. Sie arbeiten für die Hilfsorganisation Oxfam als Nothilfekoordinator im Jemen. Ist die Situation dort außer Kontrolle?
Tariq Riebl:
Ich glaube diese letzte Bombardierung ist ein gutes Beispiel für das, was lange schon passiert. Seit März sind mehrere nichtmilitärische Ziele angegriffen worden, unter anderem Krankenhäuser, Schulen, Brücken und Märkte. Das heißt, die ganze Infrastruktur des Landes ist beschädigt. Wir sehen katastrophale Zustände auch im Hinblick auf die Bodenkämpfe, vor allem in Orten wie Taiz und Aden ist die Zerstörung immens. Und die Blockade der Saudis seit März hat die ganze Wirtschaft lahm gelegt. Da 90 Prozent der Konsumgüter im Jemen importiert werden, vor allem Nahrungsmittel und Treibstoff, ist eine fatale Situation auf dem jemenitischen Markt entstanden. Dadurch sind die Preise extrem gestiegen. Jemen ist ein relativ bevölkerungsreiches Land, 21 Millionen Menschen sind momentan vom Krieg betroffen. Das heißt, es handelt sich um eine wahre humanitäre Katastrophe – momentan vermutlich weltweit die größte.

Wie können Sie unter solchen Umständen arbeiten?
Für uns ist es vor allem psychologisch schwierig, sich tagtäglich einer solchen Situation auszusetzen. Es gibt einfach immer ein Risiko. Wir mussten unsere Arbeit auch immer wieder wegen der Luftangriffe unterbrechen. Ein Lager für Vertriebene wurde auf diese Weise zerstört. Wir hatten dort versucht, die Menschen mit Wasser zu versorgen. Ohne Treibstoff funktionieren die meisten Wasserpumpen nicht mehr. Und wir tun etwas, damit sanitäre Anlagen zu Verfügung stehen. Damit haben wir bisher 300.000 Menschen unterstützen können. Die Menschen helfen sich auch untereinander. Eine Familie nimmt teilweise fünf weitere Familien bei sich auf.

Geschätzte 21 Millionen Menschen brauchen Hilfe, 13 Millionen davon haben nicht genug zu essen. Werden all diese Menschen bald versuchen, den Jemen zu verlassen und nach Europa fliehen?
Das würde man vermuten, und das wäre sicher auch der Fall, wenn es die Blockade durch die Saudis nicht geben würde. Luft-, Land und Schiffswege werden von Saudi-Arabien kontrolliert. Reisewege sind durch die Blockade versperrt. Jemen hat nur zwei Nachbarländer, Saudi-Arabien und den Oman, die beide zusammenarbeiten. Die kommen als Flüchtlingsort für die meisten Jemeniten nicht in Frage. Deshalb kommen kaum Flüchtlinge aus dem Land heraus.

Der Krieg im Jemen wir oft als vergessener Krieg bezeichnet. Lässt sich das nur durch die fehlende Präsenz von Journalisten vor Ort erklären?
Ja. Es ist sehr schwierig für Journalisten und Menschenrechtsorganisationen in den Jemen einzureisen. Die Visa werden von Saudi-Arabien zum Teil monatelang verweigert. Wir hatten seit März nur sehr wenige Journalisten im Land. Dazu kommt, dass viele der Hilfsorganisationen wegen des hohen Risikos, Luftangriffen ausgesetzt zu sein, nur eine kleine Anzahl von Mitarbeitern im Land haben. Da besteht natürlich eine große Angst, wenn die Menschen wochenlang unter Beschuss sind.

Amnesty International beschuldigte kürzlich die Saudis, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Inwieweit sehen Sie das im Jemen verletzt?
Was wir bezeugen können, ist, dass zivile Infrastruktur zerstört wird. Das hat natürlich immense humanitäre Folgen. Wir finden, dass die Anschuldigungen sofort untersucht werden müssen. Die USA und Großbritannien müssen aufhören, Saudi-Arabien mit Munition für ihre Luftwaffe zu versorgen.

Die USA unterstützen die Saudis bei ihren Luftangriffen, die deutsche Bundesregierung hält sich mit Kommentaren zurück. Warum gibt es so wenig Widerspruch gegen die saudischen Angriffe auf den Jemen?
Das ist für uns auch enttäuschend. Ende September ist eine Resolution der Niederlande für eine Menschenrechtskommission zugunsten des Jemen in den Vereinte Nationen gescheitert. Auch die deutsche Regierung hat die Resolution nicht unterstützt. Es sollte aber dringend eine Menschenrechtskommission geben, die recherchiert, was eigentlich in den zurückliegenden sieben Monaten passiert ist. Wir haben damit leider bisher wenig Resonanz gefunden bei den Regierungen, die Saudi-Arabien unterstützen.

Außenminister Steinmeier trifft in Riad die saudischen Herrscher, dazu den gestürzten jemenitischen Präsidenten Hadi. Gibt es da Aussicht auf Verbesserungen?
Eigentlich eine gute Gelegenheit für die Bundesregierung, um Druck auf die saudischen Herrscher auszuüben, nach einer nichtmilitärischen Konfliktlösung zu suchen. Seit sieben Monaten gibt es keinen Verhandlungstisch, an dem alle zusammen sitzen. Der Besuch von Steinmeier in Riad wäre eine Gelegenheit, um Verhandlungen anzumahnen. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die deutsche Regierung endlich lauter wird und von ihr eine klare Botschaft ausgeht.

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Geschrieben von

Pia Rauschenberger

lebt in Berlin. Schreibt in Berlin. Und über die Welt.

Pia Rauschenberger

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