Energiewende Made in Germany

Außenpolitik Wird Energiewende Made in Germany unter grüner Führung wieder zum Exportschlager? Die Fäden dafür laufen zukünftig in einem aufgewerteten Auswärtigen Amt genauso wie in dem Superministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zusammen.

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Es liegt an Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Klimapolitik voranzubringen
Es liegt an Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Klimapolitik voranzubringen

Foto: Andreas Gora - Pool/Getty Images

„Energiewende“ steht für den Übergang von der Nutzung fossiler Energieträger und Kernenergie hin zu nachhaltigen bzw. de-karbonisierten Energiesystemen. Es zielt darauf ab, weit mehr als allgemeine „Klimapolitik“ bzw. „Klima-Außenpolitik“, technische und strategisch-logistische Lösungen in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität zu entwickeln und anzuwenden.

Der Begriff selbst wird in Deutschland seit den 80er Jahren verwendet und fällt zusammen mit ersten politischen Aktivitäten, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen und Alternativen zur Atomkraft ausfindig zu machen. Das wurde im Ausland aufmerksam verfolgt: Deutschland galt lange Zeit als Energiewende-Pionier, der Begriff „The German Energiewende“ wurde teilweise eins zu eins in andere Sprachen übernommen.

Heute ist die Situation anders: Es gibt nicht mehr die eine deutsche Energiewende, sondern viele Energiewenden, die sich in Art und Ausgestaltung maßgeblich unterscheiden. Die weltweite Verschärfung von Klimazielen als Erfolg der internationalen Diplomatie hat dazu geführt, dass alle Mitgliedstaaten des Pariser Klimaschutzabkommens Maßnahmenpläne zur Erreichung dieser Ziele aufstellen oder dies zumindest tun sollen.

Eine Konsequenz daraus: Das „außenpolitische Marketing“ von „German Energiewende“ steht auf dem Prüfstand. War es bisher vorrangig mit dem Ziel betrieben worden, für deutsche Unternehmen neue Auslandsmärkte zu eröffnen, muss sich die außenpolitische Dimension von Energiewende künftig um einige Aspekte erweitern.

Erstens darf Energiewende keine „Einbahnstraße“ sein – Deutschland ist zwar immer noch für viele Länder Vorreiter bei Fragen der technischen Umsetzung einer Energiewende. Deutsche Unternehmen investieren nicht zuletzt in die Entwicklung von Klima-Technologien, um damit im Ausland erfolgreich zu sein.

Gleichzeitig aber gibt es Bereiche, in denen unsere Industrien längst eingeholt bzw. überholt worden sind. Man denke nur an E-Mobilität, Solarindustrie und Zukunftsfelder wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Das Energiewende-Themenspektrum ist inzwischen so vielfältig, dass es weniger darum geht, in sich geschlossene Modelle zu verkaufen, als vielmehr Plattformen zu schaffen, auf denen ein Austausch über die besten technischen und wirtschaftlichen Lösungen stattfindet.

Zweitens ist Energiewende ein multi-level-governance Unterfangen – vor allem die europäische Ebene wird immer wichtiger. Im Zentrum stehen dabei der European Green Deal und das damit verbundene Investitionspaket von 1,8 Billionen Euro. Die EU wird im Zuge dieses gewaltigen Transformationsplans Verhandlungen mit anderen Wirtschaftsräumen aufnehmen, um die Energieversorgung der Mitgliedsstaaten sicherzustellen und zu garantieren, dass Klimaschutz nicht wettbewerbsverzerrend wirkt. Für Deutschlands Energiewende-Außenpolitik heißt das: Sie muss die derzeitigen und künftigen Richtlinien der EU im Blick behalten und auf das weltweite Netz der EU-Vertretungen zurückgreifen. Gleichzeitig verabschieden immer mehr Bundesländer eigene Klimaschutzgesetze, energie- und klimapolitische Kooperationen von Regionen gewinnen also an Bedeutung.

Drittens ist Energiewende ein globales Transformationsprojekt – wobei die Interessenlagen vielfältiger als früher sind. Damit rücken für die Energiewende-Außenpolitik neben der Wirtschaft- und Exportförderung neue strategische Ziele in den Vordergrund, etwa die regionale und nationale Sicherheit: Die Auswirkungen des Klimawandels werden spürbarer und bedrohen Existenzgrundlagen. Die Geschwindigkeit, mit der Energiesysteme transformiert werden, entscheiden über das Ausmaß von Naturkatastrophen und soziale Folgeerscheinungen wie Klimaflucht.

Außerdem geht es verstärkt um Versorgungssicherheit. Unsere Industrie wird auf den Import enormer Mengen an grünem Strom und grünem Wasserstoff angewiesen sein. Dafür braucht es neue internationale Kooperationen. Gleichzeitig gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit grüner Industrien regulatorisch herzustellen.

Hinzu kommt die Innovationsförderung: Umbruchsphasen bieten für Unternehmen große Chancen, aber auch die Gefahr, den Anschluss zu verlieren: Green Start-ups sind die Amazons von morgen! Politik muss hier ein Treiber sein. Und nicht zuletzt geht es um globale Gerechtigkeit. Es hilft nichts, wenn die eine Hälfte der Erde Emissionen reduziert während die andere Hälfte Klimaschutz zugunsten der eigenen Entwicklung vernachlässigt. Energiewende als globales Projekt kann nur funktionieren, wenn das Thema, einvernehmlich mit den Sustainable Developement Goals entwicklungspolitisch ganz oben auf die Agenda rückt.

Fest steht, in Zeiten globaler Erderwärmung müssen Energiewende & Kooperation (genau wie Frieden & Verständigung vor 50 Jahren) zum „Kompass“ der internationalen Politik werden. Auf die Frage, ob dies in einer durch Anarchie geprägten Welt überhaupt möglich ist, würden (Neo-)Realisten mit Skepsis reagieren. Es gibt allerdings Anzeichen, die eine andere Interpretation zulassen.

Die COP26 Verhandlungen haben gezeigt, dass wir am Anfang einer „governance-getriebenen“ Welt stehen, in der System-Fragen zweitrangig und dafür der Austausch über die richtigen policy-Instrumente, Plattformen und diplomatische Netzwerke den Ausschlag geben werden. Europa muss diese Entwicklung aktiv unterstützen. Als „soft power“ liegen hier die Stärken der EU-Administration. Gleichzeitig kann über regulatorische Maßnahmen der Binnenmarkt als Hebel für gemeinsame Außeninteressen genutzt werden.

Entscheidend ist letztlich, dass für die internationale Entwicklung und Zusammenarbeit ein gemeinsames Narrativ bzw. ein gemeinsames Projekt gefunden wird. Die klimagerechte Transformation der Wirtschafts- und Energiesysteme ist dafür prädestiniert. Nationalstaaten wie Deutschland können dabei eine wichtige Rolle spielen: Indem das Leitmotiv und der Leitfaden für deutsche Außenpolitik konsequent auf Klimafragen zugeschnitten wird (mit einem besonderen Fokus auf die praktische Umsetzung, d.h. „Energiewende“-Fragen), bekommen nicht nur deutsche Interessen im Ausland mehr Gewicht, es ist auch Voraussetzung für die Etablierung der EU als regionale „Super- bzw. Supra-Macht“.

Das liegt nun, mit der Einsetzung der neuen Bundesregierung, vor allem in der Verantwortung von Anna-Lena Baerbock als Außenministerin und Robert Habeck als Wirtschafts- und Klimaminister (in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt). Dabei gilt es, über Ressorts hinweg, eine einheitliche Kommunikation zu entwickeln, Dialog-Plattformen auszubauen (z.B. durch Energie- und Klimapartnerschaften) und Energiewende-Zukunftsthemen zu forcieren.

FAZIT: Energiewende-Außenpolitik wird zu einem wichtigen Gradmesser für erfolgreiche, integrierte Regierungsarbeit der Grünen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Westermann

.. schreibt hier über Migration-Klima-Krisen und anderes Gedöns.

Robert Westermann

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