"Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig"

Literatur 2014 jährt sich zum 100. Mal der Erste Weltkrieg. Damals zogen viele Künstler und Intelektuelle mit Euphorie in den Krieg. Ihre Aufzeichnungen lassen heute noch schaudern

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Meine Generation ist mit dem Aufarbeiten des Zweiten Weltkrieges groß geworden. Wir waren es, die mit unseren Vätern ins Gericht gingen, so sie eine unrühmliche Rolle darin gespielt hatten. Bis heute, so scheint mir, wird auch in der Schule vor allem der Zweite Weltkrieg immer wieder „durchgekaut“. Was seitdem auf der Welt an kriegerischen Auseinandersetzungen stattfand, wird dort eher stiefmütterlich behandelt. Nicht so sehr geprägt wurden wir von den Ereignissen des Ersten Weltkrieges; schließlich hatten die wenigsten von uns noch Großväter, die Erfahrungen aus erster Hand zu bieten hatten. Bald ist der Kriegsausbruch 100 Jahre her und die Forschung beschäftigt sich zunehmend mit den Wirrungen, die dazu führten.

Als Merkwürdigkeit erscheint uns heute, dass bedeutende Künstler wie August Macke und Franz Marc sich freiwillig an die Front meldeten in dem Bewusstsein, sich für eine große Idee zu opfern. Macke fiel nach zwei Monaten mit 27 Jahren an der Westfront, Marc gab im Laufe der Zeit seine ursprüngliche zustimmende Haltung auf und sprach von „dem gemeinsten Menschenfang, dem wir uns ergeben haben“ (Wikipedia). Bevor er wegen seines Rufes als bedeutender Künstler von der Front abgezogen und vom Kriegsdienst befreit wurde, starb er, Ironie des Schicksals, am letzten Tag seines Einsatzes 1916 im Granatenhagel. Ob AugustMacke wohl auch zu einer anderen Einschätzung der Ereignisse gekommen wäre, wenn er länger als zwei Monate gedient hätte?

Ein weiterer Künstler, der im Krieg starb, ist der österreichische Dichter Georg Trakl. Sein Grab ist im Mühlauer Friedhof, nur wenige Kilometer außerhalb Innsbrucks zu finden. Dem Apotheker Trakl war während seines Kriegseinsatzes ein Offiziersdiener namens Mathias Roth zugeteilt, der mit ihm an den Schlachten in Galizien teilnahm und als Einziger beim Begräbnis des Dichters hinter dessen Sarg ging. Seine enge Verbindung zu Trakl ist in der Literatur bislang ignoriert worden; auch Trakls Förderer und Freund Ludwig von Ficker, der die Überführung der Gebeine Trakls von Krakau nach Innsbruck einleitete und nach seinem Tod neben ihm begraben wurde, hätte von Roth vieles über Trakl erfahren können. Roth führte nämlich genau Tagebuch, war aber als einfacher Bergmann den überheblichen Literatenkreisen nicht vertrauenswürdig genug.

Franz Kains Biographie über den Hallstätter Bergmann (In Grodek kam der Abendstern, Bibliothek der Provinz, Plöchl Druck A 4240 Freistadt; vergriffen), fußend auf dessen Tagebucheintragungen, gibt einen bedeutenden Einblick in den kriegerischen Alltag, dem die Kämpfer ausgesetzt waren. Entbehrungen, schlaflose Nächte, Scharmützel, qualvolle Einsamkeit, die den Weg der Kompanie säumenden Bäume, an denen die erhängten Deserteure baumelten - eine Warnung für diejenigen, die vor Angst nicht mehr konnten und wollten. Für den, dessen Kampfmoral nachließ, gab es kein Erbarmen. Nicht zu vergessen die zu versorgenden Schwerverletzten: Trakl als Apotheker mit schmerzstillenden Mitteln war beliebter als die Ärzte, die oft nicht mehr weiterhelfen konnten und die Dahinsiechenden sich selbst überlassen mussten. Wegen seiner „Dichterei“ wurde Trakl als Sonderling verlacht und verspottet. Kein Wunder, dass auch er sich selber Linderung mit diesen „Giften“ verschaffte und seine Abhängigkeit von Kokain stärker wurde. Eines Tages führte das gewaltige Elend um ihn und in ihm dazu, dass er vom Tisch aufstand, um sich draußen zu erschießen. Freunden gelang es, ihn davon abzuhalten. Ab diesem Zeitpunkt litt Trakl unter ständiger Angst, als Deserteur das Schicksal der Gehängten teilen zu müssen. War es diese Angst, die Trakl dazu trieb, sich bei einigen Etappenstationen an die Front zu melden? Wieso er dann ins Garnisonsspital zu Krakau eingeliefert wurde, wusste er nicht genau. Zugang zu seiner Krankenakte bekam man nicht. Von irgendjemandem musste Trakl denunziert und dann als „Irrsinniger“ eingeliefert worden sein. Ob er freiwillig oder unfreiwillig mit 27 Jahrenaus dem Leben schied, wird nie ganz zu klären sein. Vor allemTrakls letztes Gedicht Grodek blieb der Nachwelt als Zeugnis seines Kriegseinsatzes erhalten.

Dass im Gedicht die Grausamkeit im Krieg beklagt wird, steht außer Frage. Ich kann mich der Interpretation nicht anschließen, dass Trakl die drittletzte Zeile ironisch gemeint haben sollte. Die Frage nach dem Sinn des Krieges war für ihn keine aktuell- politische. Er hat dem Schmerz all derer, die ihn nicht vernehmlich mitteilen konnten, Ausdruck verliehen; weit über eine persönliche Erfahrung hinaus spannt das Leid einen unsichtbaren Bogen zu den Ungeborenen, zu denen, die nicht mehr Kinder der Gefallenen werden.

„Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig“ - ist ein Zitat von der Postkarte des Tiroler Juristen Josef Prochaska vom 2. August 1914. Er war als Reserveoffizier zu Beginn desKrieges eingezogen worden und hatte die Fahrt im Zug nach Wien als eine „kolossale Gaudi“ erlebt.Der Autor Walter Klier, Prochaskas Enkel, fand die Feldpostbriefe und Tagebucheintragungen seines Großvaters in fünf kleine Jahrespäckchen verschnürt in einer Schachtel und machte daraus einen lesenswerten Roman: Leutnant Pepi (Limbus Verlag Hohenems, 2009). Er lässt seinen Großvater zu Wort kommen, ergänztaber dessen persönliche Aufzeichnungen mit Eintragungen aus Geschichtslexika und –Büchern und stellt der offiziellen Version des Krieges das Erlebnis eines Kriegsteilnehmers gegenüber. Sein Großvater war von einem anderen Kaliber als Trakl - ein sportbegeisterter Kletterer und Eisläufer, sozusagen eine Gegenfigur zu manchen Revolution-und Weltuntergangsstimmung heraufbeschwörenden Künstlern; in einem Texteinschub deutet Klier den Freundeskreis um seinen Großvater als Vorläufer unserer hedonistischen Zeit, die diese freilich nicht mehr erlebten. Wie Trakl musste „Pepi“ dem Kriegsalltag ins Auge sehen und den Tod seines Bruders verarbeiten, war in den Schützengräben Nässe, Kälte, Flöhen, Ratten, Läusen, Kugelhagel, Scharmützeln usw. ausgesetzt und passierte wie Trakl auch Grodek. Seine Aufzeichnungen schildern das Leiden fast wie aus objektiver Perspektive, obwohl er sich als Vorbild, das er als Leutnant für seine Soldaten war, stets vorne im Kampf aufstellen musste und dies aus Überzeugung tat. Es erscheint fast unglaublich, dass man die geschilderten Härten überleben kann - Hunger, Kälte, tagelangkein Wechsel der Kleidung, zerstörte Brücken und Gebäude, strapaziöse Märsche...Zwar attackierten ihn zeitweilig depressive Anfälle, auch zog er sich eine schwere Verwundung zu, aber seine Kampfmoral blieb dennoch ungebrochen. Als er kurz vor Kriegsende auf dem Monte Pasubio stationiert war, ereignete sich neben den stattfindenden Gefechten ein Lawinenunglück. Sein Kommentar: „Die lebendig Geretteten waren meist irrsinnig, liefen im Hemd im Schneesturm herum und mussten von uns eingefangen werden...es sollen alle, die ruhig und sicher im Tal sitzen, unserem Herrgott danken, schon deshalb, weil er ihnen erspart hat, so viel Schauriges zu sehen, als wir sehen mussten. Ich habe Leichen ausgegraben so wie man Kartoffel aus dem Acker gräbt, die Blutspuren waren im Schnee unsere Wegweiser.“(6. Dez. 1916)

Man kann fragen, inwiefern die Auseinandersetzung mit solchen Biografien und den Erlebnissen Einzelner gewinnbringend ist. Als Mensch, der im Gegensatz zum Tier nicht an den Pflock des Augenblicks gebunden ist, darf und muss sich unser Blick weiten auf Vergangenheit und Zukunft- und Ewigkeit - , um die Chancen undGefahren der Gegenwart besser erkennen und verstehen und ihnen widerstehen zu können. Im Rückblick mag man die Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ins Visier nehmen, z.B. die Tatsache, dass das Zustandekommen der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung als eine Art „Kabinettstück der Diplomatie bezeichnet werden“ (Klier S. 116) muss, was zu unverständlichem Kopfschütteln der Heutigen führt. Man kann erfahren, dass es im k. und k. Heer mehr als eine Million Tote ausgebadet haben, von denen rund 40 000 in russischer, 50 000 in serbischer und 30 000 in italienischer Gefangenschaft verstarben, und dass eine weitere Folge laut dem Österreich-Lexikon die Verarmung weiter Bevölkerungsteile war.

Sich Bücher zu Gemüte zu führen, die das Geschehen von innen beleuchten, gerade unter unterschiedlichen Vorzeichen, ist aber in anderer Hinsicht eminent wertvoll. Gewiss, Kriegsereignisse, -Erlebnisse und –Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges unterscheiden sich wegen der technischen Entwicklung sehr, von denen der Kriege seitdem ganz zu schweigen. Die genannten Berichte weisen aber trotz der zeitlichen Distanz auf das Elementare des Menschseins hin, das in der momentanen Konsumkultur auch beiRundum-Informiertheit in Vergessenheit zu geraten droht. Betroffen machen uns weniger die großen Verhältnisse, sondern die konkret geschilderten und uns zur Mitempfindung dargebotenen, oft kaum fassbaren konkreten Erlebnisse und Leiden Einzelner. So wie Trakl eine Brücke zu den Ungeborenen baut, können wir eine Brücke zu den Verstorbenen bauen - nicht nur zu denen, die uns ohnehin nahestehen. Wir verlebendigen unser Wissen und urteilen vorsichtiger und differenzierter, wenn wir mitempfinden, was sie erfahren, erlitten und vielleicht bis zuletzt gehofft haben. Und wir spüren nach, wie sie erlebt und vielleicht auch erkannt haben, Opfer geworden zu sein, sich verzweifelt gewehrt oder sich gefügt und es vielleicht verdrängt haben.

Und jetzt? Fast 100 Jahre später? Man wäre ein/e dumpfe/r Leser/in, würde man sich nach der Lektüre nicht Fragen stellen wie „Wer ist heutzutage wo Täter und Opfer?“, „Wie werden heute Menschenrechte ignoriert?“ „Mit welchen Mitteln wird heute wer wo versklavt?“ Und vor allem: „Was muss ich selber tun, um die Veränderung, die ich wünsche, in die Welt zu tragen?“ Trakl, Macke, Marc, Leutnant Pepi: Ihre konkreten Berichte weisen auf das Kostbare eines noch nicht verwirklichten und in seinen Keimen schon wieder bedrohten Friedens hin, der sich nicht nur durch Abwesenheit eines Krieges definiert. Das wäre Allerseelen in einem weiteren Sinne. Und wir können die Refrain-Zeilen aus Hannes Waders Lied zum Ersten Weltkrieg „Es ist an der Zeit“ noch einmal tiefer ernst nehmen:

„Ja, auch dich haben sie schon genau so belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.

Und du hast ihnen alles gegeben-

Deine Kraft, deine Jugend , dein Leben.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

roswitha

"Schreibtafel her! Ich muss mir's niederschreiben, Dass einer lächeln kann, und immer lächeln, Und doch ein Schurke sein..." (Hamlet)

roswitha

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden