Hyperinflation 1923: Die Weimarer Republik erbt die Kriegschulden des Kaisers
Zeitgeschichte Die Hyperinflation von 1923 hat ihren Ursprung in den ungedeckten Kriegsanleihen, mit denen das Kaiserreich den Ersten Weltkrieg finanziert. Die Weimarer Republik liefert sich diesem Erbe aus und muss zusätzlich Reparationen zahlen
Den Umgang mit Geld zu erlernen, hatte damals eine andere Bedeutung
Foto: Albert Harlingue/Roger Viollet/Ullstein
Schon mit Kriegsbeginn im August 1914 ist die deutsche Kriegskasse unseriös finanziert. Sie stützt sich auf Schatzanweisungen und Kriegsanleihen der Reichsbank. Zugleich ist die Golddeckung der Reichsmark aufgehoben. Der Staat wird auch deshalb zum Großschuldner, weil eine Reichseinkommens- und/oder Vermögenssteuer nicht zustande kommt, um für angemessene Gegenfinanzierung zu sorgen.
Als dann 1919 die Weimarer Republik gegründet ist, sehen sich auch die republikanischen Regierungen zunächst nicht in der Lage oder sind nicht willens, das Steuerrecht zu ändern, auch wenn es die bahnbrechenden Vermögens- und Einkommensteuervorhaben des Finanzministers Matthias Erzberger gibt. Doch wird der 1920 durch eine rechtsnationale Kampagne zum Rücktritt
gne zum Rücktritt gezwungen und am 26. August 1921 durch zwei Mitglieder der rechtsradikalen Organisation Consul wärhrend einer Kur im Schwarzwald ermordet. Erzberger hatte im Herbst 1918 im Auftrag der damaligen Reichsregierung den Waffenstillstand mit Frankreich ausgehandelte, was ihm von einer monarchistischen Reaktion als „Verrat“ ausgelegt wurde.Erzberger wollte eine Vermögenssteuer unter dem Label „Reichsnotopfer“ einführen. Doch beauftragten die frühen, politisch stets fragilen Weimarer Regierungen lieber die Reichsbank, die Notenpresse in Betrieb zu nehmen, als die Reichsbahn in Geldnot kam und die Löhne ihrer Angestellten gefährdet schienen. Schon 1916 hatte das Kaiserreich die fälligen Schatzanweisungen nicht mehr bedient und war in akute Geldnot geraten. Die verschärfte sich für den Nachfolgestaat durch die Verpflichtung, Reparationen an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges zu zahlen, wie das der 1919 geschlossene Vertrag von Versailles festlegte. Auch hier war die Finanzierung durch das Drucken von Papiergeld eine Option und verschärfte den Inflationsdruck – bis hin zur Hyperinflation von 1923 mit monatlichen Steigerungen um 50 und immer mehr Prozent der Geldentwertung. Auch die Subventionierung von Lebensmitteln – es drohte eine Hungersnot – fand sich durch „Geldschöpfung“ bezahlt.Opfermythen entstehenTrotz der Belastungen des Staatshaushalts durch die Reparationen, die seinerzeit von einer maßlosen politischen Agitation der Rechtsparteien hochgespielt wurden, hält die historische Forschung heute den von Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland durchgesetzten Frieden von Versailles „fast für maßvoll“, verglichen mit dem äußerst brutalen Diktatfrieden von Brest-Litowsk, zu dem es Anfang März 1918 zwischen Sowjetrussland und den sogenannten Mittelmächten unter deutscher Führung kam, wie das etwa Hans-Ulrich Wehler 2003 im vierten Band seiner monumentalen Deutschen Gesellschaftsgeschichte beschreibt. Die Verluste, die der revolutionären russischen Regierung mit Brest-Litowsk abverlangt wurden, glichen einem Raubzug. „Die Dämonisierung des Versailler Vertrags als eigentliche Inflationsursache“ sei ungerechtfertigt, schreibt auch Sebastian Teupe in seinem Buch Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation, das 2022 erschien. Sowjetrussland verlor durch den Frieden von Brest-Litowsk zehn Prozent seiner Bevölkerung, 13 Prozent seines Territoriums, 80 Prozent seiner Eisenerz-, 63 seiner Zink- und 26 Prozent seiner Steinkohlevorkommen.Verglichen damit waren die „Demütigungen“ des Deutschen Reiches im Versailler Vertrag, nimmt man den Kriegsschuldparagraphen und den Plan, Kaiser Wilhelm II. wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen, eher symbolischer Natur. Zwar hatte das Vertragswerk keinen direkten kausalen Zusammenhang mit der Inflation in Deutschland, aber es ließ Opfermythen entstehen. Es half, die Verantwortung der deutschen Eliten in Politik, Militär und Wirtschaft für die während des Ersten Weltkrieges und danach schwer zerrütteten sozialen Verhältnisse im eigenen Land zu verdrängen. Diese Opfermentalität und die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg begünstigten den Aufstieg des Rechtsradikalismus gegen Ende der Weimarer Republik bis hin zur Machtübergabe an Adolf Hitler und die NSDAP Ende Januar 1933.In der jungen deutschen Demokratie gehörten der inflationsverschärfende Finanzierungsmodus durch Geldentwertung und die rapide steigende Verschuldung lange zum politisch-sozialen Konsens. Das schloss Sozialleistungen und erhöhte Löhne zur Stabilisierung der republikanisch-demokratischen Regierungen nach 1918/19 ein. Dadurch stiegen die Staatsschulden bis 1920 auf knapp 150 Milliarden Reichsmark mit stetig wachsender Tendenz. Ende 1922 betrug das Defizit im Staatshaushalt bereits weit über 800 Milliarden Reichsmark.Eine Tasse Kaffee für 6.000 MarkDeren Wert zerbröselte, was das besonders extrem steigende Preisen für Lebensmittel zeigten. Mit jedem Fortschreiten des Währungszerfalls löste sich die Kaufkraft der Reichsmark förmlich auf. Eingespielte Maximen der Lebensführung wie „Zeit ist Geld“ verloren 1923 jeglichen Sinn – die Zeit zersetzte schnell jeden Wert. Sparen wurde zum Synonym für Verschwendung oder gar die Vernichtung von Geld. Im Oktober 1923 betrug die monatliche Inflationsrate 29.500 Prozent.Auf dem Weg von der Inflation zur Hyperinflation hatte im November 1922 der parteilose Geschäftsmann Wilhelm Cuno mit seinem „Kabinett der Mitte“ die Regierung übernommen und eine unternehmerfreundliche Politik betrieben, die vor der Inflation kapitulierte. Im Spätsommer 1923 kostete ein Kilogramm Kartoffeln 1,24 Millionen, ein Zwei-Pfund-Brot drei Millionen und eine Tasse Kaffee 6.000 Reichsmark.Setzte man die Lebenshaltungskosten von 1913 mit dem Wert 1 an, stiegen diese bis Februar 1920 auf 8,03, lagen im Januar bei 20,4 und im Januar 1923 schon bei 1120,3 – bis sie im September 1923 den Wert 15 Millionen erreichten und weiter stiegen. Parallel dazu war seit Anfang der 1920er Jahre die Arbeitslosigkeit beängstigend gestiegen, während zugleich die Reallöhne fielen, obwohl der Schwerindustrielle Hugo Stinnes mit dem Gewerkschafter Carl Legien schon am 15. November 1918 ein Abkommen eingefädelt hatte, das den Gewerkschaften die Anerkennung als Verhandlungspartner beim Aushandeln von Tarifverträgen zugestand.Die Rentenmark kommt1923 verlor das freilich jede Rationalität, was für die Kapitalseite nicht zutraf. Im Gegenteil, sie wurde durch die Geldentwertung in die Lage versetzt, Firmen und Firmenbeteiligungen zu Spottpreisen zu kaufen, Schulden fast kostenfrei zu tilgen und Unternehmen zu Imperien auszubauen. Die Kapitalkonzentration versetzte Teile der Wirtschaft in einen Rausch, in dem auch Betrüger ihren Schnitt machten. Unbestritten ist, dass „Freibeuter der Inflation“ wie der Industrielle Hugo Stinnes den für sie lukrativen Effekt der Geldschöpfung durch Kreditgewährung begriffen und nutzten. Leute wie Stinnes hatten die Triebkräfte der Inflation verstanden – im Unterschied zur Direktion der Reichsbank.Ende 1923 stand außer Frage: Nur eine neue Währung konnte jetzt noch die Verhältnisse ordnen. So kam es zur Rentenmark, eingeführt am 16. November 1923 und gedeckt durch eine Grundschuld, die landwirtschaftlichem Besitz, Industrie sowie Gewerbe auferlegt war. Der Wechselkurs lag bei einer Rentenmark zu einer Billion Papiermark – und das in einem Augenblick, 4,2 Billionen Papiermark fällig waren, um am Devisenmarkt einen US-Dollar zu kaufen. Dem Reichswährungskommissar Hans Luther gelang es schließlich, die Währung zu stabilisieren.Eine Konsequenz der Hyperinflationszeit bestand darin, dass über die deutsche Fähigkeit zu Reparationszahlungen anders geurteilt wurde als zuvor. Nach Gutachten der beiden US-Finanzexperten Charles G. Dawes und Owen Young beliefen sich die jährlichen deutschen Zahlungsraten ab Ende der 1920er-Jahre auf 2,5 Milliarden Mark, die durch Anleihen in den USA finanziert wurden. Damit geriet die Weimarer Republik faktisch unter Kuratel der Finanzmärkte und ihrer Agenten, was nicht lange gut gehen konnte. Schon mit der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise zeigten sich die Grenzen dieses Arrangements.