Vor Tagen gab es ein Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba, auf dem Marokko, das wegen seiner Quasi-Annexion der Westsahara bisher ausgeschlossen war, wieder aufgenommen wurde. Es sitzt nun neben der von der AU als Staat anerkannten Westsahara in der Staatenunion. Was das bedeutet, wird sich zeigen. Marokkos Rückkehr war mindestens ebenso spektakulär wie die Abkehr vom Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. Die AU empfahl, die 30 afrikanischen Mitgliedsstaaten sollten sich endgültig zurückziehen. Begründung: Neun von zehn Verfahren des Tribunals richteten sich gegen Afrikaner, während in anderen Weltgegenden begangene Straftaten ungesühnt blieben. Regierungen, die entweder durch eigenes Eingreifen oder massive Waffenlieferungen Menschenrechtsverbrechen außerhalb ihres Staatsgebiets begangen oder ermöglicht hätten, seien ebenfalls noch nie zur Rechenschaft gezogen worden.
Wird dem Ratschlag der AU gefolgt, könnte der ICC auf einen Schlag ein Viertel der Mitglieder einbüßen. Seine Legitimität wäre wie noch nie infrage gestellt. In erster Linie dafür zuständig sind jedoch nicht die Afrikaner, sondern mächtige Staaten wie die USA, Indien und China, die das ICC-Statut entweder nie ratifiziert oder sich – wie Russland – wieder davon losgesagt haben.
Bisher wurde stets argumentiert, ICC-Ankläger hätten handeln müssen, weil die Justiz etlicher Staaten Afrikas nicht in der Lage gewesen sei, selbst Prozesse gegen die Urheber von Völkermord, Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu führen. Auch sei die faktische Schieflage der Haager Rechtsprechung immer noch besser als ein Zustand, in dem Gewalttäter straffrei blieben.
Tatsächlich hat die AU bereits 2012 das Gegenteil bewiesen, als sie in Dakar ein Sondergericht installierte, das den ehemaligen Machthaber des Tschad, Hissène Habré, zu lebenslanger Haft verurteilte. Auch wurden jetzt in Addis Abeba Weichen für einen Afrikanischen Strafgerichtshof gestellt, der sich an den ICC anlehnen, aber nicht gegen amtierende Regierungen vorgehen würde. Dies ist im Prinzip durch die Haltung des UN-Sicherheitsrates gedeckt, auf dessen Eingreifen hin die 2009 vom ICC erhobene Anklage gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir zeitweilig ausgesetzt wurde.
Kommentare 10
Wäre es nicht an der Zeit festzustellen, dass der ICC von Beginn an eine Totgeburt bleiben musste, angesichts der realen Machtverhältnisse in der Welt?
Die großen Spieler der Weltpolitik sind aufgrund von militärischer wie wirtschaftlicher Macht per se injustiziabel, obwohl praktisch jeder Konflikt auf Erden, der in für den ICC relevanten Vergehen gipfelt, unter tätiger Mithilfe eben jener Großaktionäre der Geopolitik stattfindet.
Die Praxis am ICC zeigt, dass ihm die alte koloniale Mentalität der Bürde des weißen Mannes zugrunde liegt, welcher sich von der moralischen Empore der Wertegemeinschaft herab gezwungen sieht, die unzivilisierten Wilden zur Ordnung zu rufen und Ihnen bei Ungehorsam die Segnungen der Zivilisation notfalls auch mit Mitteln der sanften, väterlichen oder mütterlichen Gewalt einzubläuen.
Nun mag mancher einwenden, der ICC sei eben, wie jedes Gericht oder Tribunal nicht perfekt und man müsse nur Schritt für Schritt an Verbesserungen arbeiten. Aber Hand auf Herz, wer für sich in Anspruch nimmt, ein Völkerstrafrecht zu etablieren, der muss mehr tun, als nur gelegentlich, partiell und unvollkommen Recht aufgrund von mit der heißen Nadel gestrickten Normen zu sprechen. Da genügt es nicht mit Begrifflichkeiten wie der „Offenkundigkeit“ der Satzungsrechtsverletzung (vgl. http://www.zis-online.com/dat/artikel/2015_10_956.pdf) am Kern der Sache vorbei zu operieren.
Wer Völkerstrafrecht will, der will mehr, der will nicht nur beständige, sondern unanfechtbare „ewige“ Normen etablieren, der will und muss Gerechtigkeit wollen. Die aber gibt es nicht aufgrund von Einseitigkeit und von der Kanzel eingebildeter, selbstgerechter zivilisatorischer Überlegenheit herab. Gerechtigkeit kann nur im Einvernehmen erzielt werden, sonst hat sie keinen Bestand. Und genau aus diesem Grund kann der ICC nicht das Mittel der Wahl sein, egal wie lange man daran zu perfektionieren gedenkt.
In der tat: "Wer Völkerstrafrecht will, der will mehr, der will nicht nur beständige, sondern unanfechtbare „ewige“ Normen etablieren, der will und muss Gerechtigkeit wollen."
Aber der kern der sache ist noch ein anderer. Beständige rechtsnormen gibt es nur auf der basis einer ewigen gesellschaftlichen ordnung. Wer also mit dem "ewigen (Menschen)Rechten" argumentiert, argumentiert auf der grundlage der bestehenden verhältnisse.
Wer "gerechtere verhältnisse" will, muss sich von einem rechtebasierten ansatz verabschieden und die veränderung der gesellschaftlichen verhältnisse selbst in den blick nehmen. Und um diese zu ändern, braucht es (auch) des rechtsbruchs - denn das rechtsgehäuse, das sich ein gesellschaftssystem gegeben hat, ist immer eines, dass dieses system selbst "auf ewig" legitimiert und alternativen delegitimiert.
Auch wenn die meisten afrikanischen Länder alles andere als Musterbeispiele für die Einhaltung der Genfer wie UN-Konventionen in Krisen- wie Kriegssituationen darstellen, bleibt festzuhalten:
1. Der ICC ist keine neutrale gerichtliche Institution, in der Kriegsverbrechen welcher Art auch immer geahndet werden sollen. Er ist ein Instrument der westlichen Mächte, unliebsame Präsidenten, Teile der Regierungscrew & des militärischen Stabs für vermutlich begangene wie konstruierte Kriegsverbrechen anzuklagen. I.d.R., bis auf wenige Ausnahmen, ist das Motiv der Anklage ein Widersetzen gegen eine westlich oktroyierte Politik.
2. Die Eingriffe westlicher Mächte in Krisen- wie Kriegssituationen in den vergangenen Jahrzehnten haben wiederholt eine z. g. Teil erwiesene Einmischung, finanzielle wie militärische Unterstützung von Oppositionen jeglicher Couleur bis hin zu kriegerischen Interventionen durchgeführt. Auch das deckt sich weder mit den UN- noch Genfer Konventionen. Bislang wurde nie eine demokratisch gewählte Regierung dafür belangt, außerhalb der international festgelegten Charta agiert zu haben, völkerrechtswidrige Kriege eingenommen. Insofern ist es mehr als verständlich, wenn sich die AU dagegen auflehnt, als Sündenbock einer Entgleisung von Recht & Frieden in einem verlogenen, westlich proklamierten Wertekonsens weiterhin auszuliefern. Das ist nachvollziehbar.
3. Der ICC ist eine Farce, solange keine unabhängige Verfolgung von Kriegsverbrechen welcher Art auch immer in dieser Institution geahndet wird, gehört er stillgelegt.
9/10 der Anklagen gegen Afrikaner? Huch, "die Menschheit" betreibt einen Rassengerichtshof.
Pfui, wie kommen Sie denn darauf? Es geht immer um Werte & Gerechtigkeit, vergessen Sie das NIE!
Wieso pfui? Wie soll man es denn sonst nennen, wenn eine angeblich unversellen Werten verpflichtete Organisation, die ein internationales Gericht ist - nur Afrikaner anklagt? Bush und Blair würden dort eher noch als Schöffen hinzugebeten als jemals in Handschellen vorgeführt.
Dieses Gericht ist eine einzige Absurdität, weil es einen Weltstaat bräuchte, damit es - vielleicht - funktioniert. Ohne einen solchen zählt einfach nur Macht. Diese ist aber etwas anderes als Recht. Will man die Geltung von Recht, braucht man eine Macht die das Recht "blind" (Justizia) durchsetzt. Die gibt es international nicht, weswegen schon die Idee, so ein Gericht zu gründen, zutiefst verlogen und verheuchelt ist - auch wenn es sich in der Sprache der universalistischen Moral des Westens in den Ohren einiger Westler bestimmt ganz toll anhört. Internationaler Strafgerichtshof. Wow. ^^
In Wahrheit hat man es geschafft, die eigenen Rechts- und Moralbegriffe der Welt vorgzuschreiben, ohne sich selbst an diese zu halten. Die universelle Moral gilt - außer für ihre Urheber aus dem Norden. Denn die sind ja mächtiger aufgeklärt und demokratisch.
Damit ist über ihre Moral alles gesagt.
Und das Ergebnis soll man - bin ja mit politischen Kampfbegriffen sonst zurückhaltend - nicht rassistisch nennen? Wenn infolge dieser seit 300 Jahren durch Europa wabernden Universalistenmoral mit Selbstvorbehalt von Europas "Weltgericht" nur Afrikaner angeklagt werden!?
Mir fällt kein besserer Begriff dafür ein.
Verstehen Sie Ironie nicht mehr?
Alles gut...
Um Ironie zu verstehen, braucht man Humor. Hab ich aber keinen. So.
:)
In erster Linie dafür zuständig sind jedoch nicht die Afrikaner, sondern mächtige Staaten wie die USA, Indien und China, die das ICC-Statut entweder nie ratifiziert oder sich – wie Russland – wieder davon losgesagt haben.
Wundervoll blauäugig.
Immer mehr Länder verabschieden sich vom internationalen Strafgerichtshof, da dieser nicht nach Recht, sondern nach politischen Interessen Washingtons und einiger europäischen Staaten handelt. In den letzten Jahren wurden fast ausschließlich afrikanische Diktatoren angeklagt, die Kriegspolitik der USA und einiger europäischen Länder kamen nie zu Anklage. Weder der Angriff auf den Irak noch der Drohnenkrieg gegen Jemen, Pakistan oder Somalia wurden juristisch aufgearbeitet. Dies sind nur einige Beispiele westlicher Interventionen.
So boykottieren die USA den Internationalen Gerichtshof und können deshalb auch nicht vom ICC belangt werden. Sie verabschiedeten ein Gesetz, das jede Mitwirkung am ICC verbietet und sogar den Präsidenten ermächtigt, zur Befreiung von Angeklagten alle Mittel bis hin zur militärischen Gewalt einzusetzen.
Der Internationale Strafgerichtshof und der Schein der Gerechtigkeit
https://www.heise.de/tp/features/Der-Internationale-Strafgerichtshof-und-der-Schein-der-Gerechtigkeit-3493746.html
USA und Israel boykottieren den Internationalen Gerichtshof
http://www.heise.de/tp/artikel/12/12829/1.html
Internationaler Gerichtshof: Washington beharrt auf Immunität von US-Soldaten
http://www.spiegel.de/politik/ausland/internationaler-gerichtshof-washington-beharrt-auf-immunitaet-von-us-soldaten-a-300981.html