Außer in der kurzen Zeit, die den Osloer Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern folgte, hat in diesem epochalen Kampf fast nur das archaische Prinzip der Rache geherrscht: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Und auch nach dem Überraschungsangriff der Hamas wird eine Bodenoffensive der israelischen Armee nach Gaza herbeigeredet. Zumal es auch gelte, die etwa 130 Geiseln zu befreien, die Hamas-Kämpfer in ihre Gewalt gebracht haben.
Mit der Logik eines Blockbusters wird man hier aber nichts erreichen. Wer es mit der Rettung der Entführten ernst meint, sollte auch über andere Mittel und Wege nachdenken. Schon jetzt verlauten Kommuniqués der Hamas, dass einige Geiseln durch die bereits begonnenen Bombardierungen getötet worden seien. Eine Bod
. Eine Bodenoffensive könnte das Schicksal der 130 Menschen endgültig in eine Tragödie verwandeln.Die Vernunft gebietet, nach einer Alternative zur Spirale der Rache zu suchen. Ob die von der israelischen Regierung verhängte Totalblockade des Gazastreifens, in den kein Strom, kein Wasser und kein Benzin mehr geliefert wird, Erfolge bringt, ist zweifelhaft. Die Hamas und ihre Alliierten dürften in ihrem Kalkül berücksichtigt haben, dass es so kommt.Vermittler Ägypten und Türkei Letztlich führt kein Weg an Verhandlungen vorbei. Wenn die Hamas glaubt, durch das Festhalten der Geiseln die Verluste an Menschenleben, Infrastruktur und Gebäudesubstanz im Gazastreifen begrenzen zu können, dürften sich solche Verhandlungen schwierig und langwierig gestalten. Sie zu beginnen, das ist jedoch eine Option, die auf dem Tisch liegt: Ägypten ist gebeten, als Vermittler tätig zu werden. Die Türkei hat sich selbst ins Spiel gebracht.In diesem Zusammenhang kann es nützlich sein, sich an den Fall des israelischen Oberfeldwebels Gilad Schalit zu erinnern, der zwischen 2006 und 2011 Gefangener der Hamas war. Am 26. Juni waren sieben palästinensische Kämpfer durch einen Tunnel auf israelisches Gebiet gelangt, hatten einen Militärstützpunkt überfallen, zwei Soldaten getötet und Schalit entführt. Jahre später kam heraus, dass die israelischen Geheimdienste von der Möglichkeit einer solchen bevorstehenden Aktion Wind bekommen hatten – zwei Tage zuvor hatten sie zwei Aktivisten aus dem Gazastreifen entführt und in robusten Verhören Genaueres erfahren. Eine Warnung an die Armee war aber zunächst ausgeblieben.Misslungene BefreiungsaktionenDie sieben Freischärler aus Gaza gehörten den Kassam-Brigaden der Hamas an. Logistisch beteiligt waren aber auch der palästinensische „Volkswiderstand“ und „Djeich el-Islam“ – das bis dahin noch nicht in Erscheinung getretene „Heer des Islam“. Allein um Informationen über den Gesundheitszustand des verletzten Schalit herauszugeben, verlangten die drei Organisationen als Gegenleistung die Freilassung aller weiblichen und minderjährigen Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen saßen. Stattdessen wurde mit verschiedenen Militäraktionen versucht, Schalit zu befreien, was jedoch nicht gelang.Auch damals provozierten diese Misserfolge in der israelischen Bevölkerung große Enttäuschung über die eigenen, für unverletzbar gehaltenen Sicherheitsstrukturen. Zumal die an der Entführung beteiligten palästinensischen Widerstandsorganisationen mit Informationen taktierten, dass Befreiungsversuche bzw. Bombardierungen das Leben Schalits in Gefahr brächten. Nach diesen Angriffen erhöhte die palästinensische Seite den Preis für seine Auslieferung. Nun sollten 1.000 palästinensische Gefangene freikommen.Netanjahu auch damals unter DruckEs kam zu mächtigen Demonstrationen, die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zwangen, schließlich doch den Verhandlungsweg einzuschlagen, in den auch damals Ägypten eingebunden wurde. Die Verhandlungen erwiesen sich als äußerst zäh. So gelang es 2009 nicht, eine Überführung Schalits an ägyptische Geheimdienste in die Wege zu leiten, in deren Gewahrsam er bleiben sollte, bis Israel Gefangene freigegeben hätte.Die dann tatsächlich erfolgte Freilassung des der Hamas angehörenden Parlamentssprechers Abd el-Duwaik führte lediglich zur Veröffentlichung eines Videos, in dem Schalit seiner Familie Grüße senden konnte. Erst nachdem sich weitere internationale Vermittler – darunter auch Deutschland – in die indirekten Verhandlungen einschalteten und Shalits Vater bei den Vereinten Nationen in New York verlangt hatte, das Schicksal seines Sohnes als Thema in die Gespräche über eine palästinensische Staatsgründung aufzunehmen, gelang ein Durchbruch. Im Austausch, der am 18. Oktober 2011 begann, kamen insgesamt 1.027 Palästinenser frei.Hoffnungslos ist die Lage der Geiseln in Händen der Hamas also nicht. Gefangenenaustausch findet auch zwischen der Ukraine und Russland statt. Sogar die von Moskau als „faschistoid“ gelisteten Kämpfer des besiegten Asow-Regiments kamen über den Umweg Türkei nach Hause. Allerdings ist denkbar, dass die Hamas diesmal versuchen wird, die festgefahrene politische Situation in Bewegung zu bringen. Nicht nur Israel, auch seine Unterstützer in Europa und den USA müssen erkennen, dass seine sichere Existenz nicht mit der Unterdrückung der Palästinenser erreichbar ist.