Rhapsodie in Beton

Entdeckung In der DDR blieb „Erziehung eines Helden“ ungedruckt. Nun liegt der Roman vor
Ausgabe 29/2015

Er wurde nicht immer so gebacken, wie die Partei es sich wünschte – der sozialistisch-realistische Produktionsroman. Nach Rummelplatz von Werner Bräunig liegt jetzt mit Erziehung eines Helden von Siegfried Pitschmann (1930–2002) ein früher entstandenes Werk vor, das ebenfalls in der DDR ungedruckt blieb, weil es der Kulturbürokratie zu viel Realismus und zu wenig Sozialismus zu enthalten schien. Dabei gehörte Pitschmann – ursprünglich Uhrmacher von Beruf – zu den Pionieren des Genres und hatte sich selbst schon lange vor der 1959 durch Walter Ulbricht erfolgten Verkündung des „Bitterfelder Weges“ auf eine sozialistische Großbaustelle begeben: zur Schwarzen Pumpe bei Hoyerswerda. Dort wurde seit 1955 das größte Kraftwerk der DDR errichtet, in dem später Braunkohle vor allem zu Gas transformiert wurde.

Die Figur, die Pitschmann in seine poetisierte, aber keineswegs geschönte Industrielisierungslandschaft stellt, ist ein Konzertpianist, der sich in der Liebe wie im Beruf für gescheitert hält und einen radikal neuen Lebensweg einschlagen will. Dass er sich physisch und psychisch das Äußerste abverlangt, bringt dem „Neuling“ die Anerkennung seiner raubeinigen, bisweilen alkoholabhängigen und durchaus materiell kalkulierenden Arbeitsbrigade ein. Nachdem er sich schließlich mit populären Stücken als Pianist enttarnt hat, wird er sogar „King“ genannt. Ihm ist freilich längst klar geworden, dass das alles noch „ein ganzes Stück“ vom sozialistischen Bewusstsein entfernt ist, das „rosig an manchen Schreibtischen […] zurechtgedichtet wird. Aber zum Teufel, wir bauen den Sozialismus auf, wir können gar nicht anders.“

Solche klaren Statements kommen im Roman zu selten vor. Und dass Pitschmann eigentlich ein Hohelied auf die unter recht schweren äußeren Bedingungen – immer wieder fehlt oder streikt das Arbeitsmaterial – doch erfolgreich bewältigte Arbeit singt, reichte 1958 nicht aus, um den Roman in der DDR publikabel zu machen. Hinzu kam sein sowohl die Kulturbürokratie als auch die Schriftstellerkollegen irritierender Stil. Indem Pitschmann stakkatoartig in immer größere Tiefen äußerer Details der schweren und auch krankmachenden Arbeit auf der Baustelle vordringt, dem Leser allein das Werten überlässt und virtuos-übergangslos die auktoriale Perspektive in die des Ich-Erzählers und umgekehrt gleiten lässt, kommt die Erzählung wie ein französischer Nouveau Roman daher. Eher auf Einflüsse der sogenannten „harten Schreibweise“ von Amerikanern wie Faulkner und Hemingway tippte Erwin Strittmatter, der später bereute, sich im Schriftstellerverband zum Wortführer der Verdammung des Manuskripts gemacht zu haben. Auf jeden Fall steht der nun in seiner ersten Fassung vorliegende Roman auf dem Niveau der internationalen Moderne, was ihn auch heute noch als beachtliches Kunstwerk erkennbar macht.

1958 und 1959 versuchten Günter Caspar, Lektor im Aufbau-Verlag, und Pitschmanns damalige Lebensgefährtin Brigitte Reimann unermüdlich, das Manuskript in eine publikable Fassung zu bringen, ohne Inhalt und Form zu vergewaltigen. Aber die Ablehnung des eigentlich zu Hilfe gerufenen Schriftstellerverbands, an der sich indirekt auch Christa Wolf beteiligte, blieb entscheidend für das Scheitern des Projekts. Pitschmann unternahm einen Selbstmordversuch. Falsch ist indes der oft vermittelte Eindruck, er sei ein verfemter Autor geblieben. 1961 bekamen er und Reimann den Kunstpreis des FDGB für gemeinsam geschriebene Hörspiele, 1976 erhielt er für sein Novellenwerk den renommierten Heinrich-Mann-Preis.

Erziehung eines Helden Siegfried Pitschmann Aisthesis 2015, 256 S., 19,95 €

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