Eine Geschichte?

1968 Claus Koch zeichnet die Skizze einer Nachkriegsgeneration, die gegen das Schweigen der Väter und gegen die herrschenden Verhältnisse rebellierte

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Studentenproteste gegen die Invasion der Sowjets in der Tschechoslowakei
Studentenproteste gegen die Invasion der Sowjets in der Tschechoslowakei

Foto: Keystone/Getty Images

Drei Generationen – eine Geschichte ?

Der Autor, Diplompsychologe Jahrgang 1950, zeichnet eine Skizze seiner Nachkriegsgeneration, die nach einer Sozialisation im dunklen Schatten der Adenauer-Republik gegen das Schweigen der Väter und gegen die herrschenden Verhältnisse rebellierte. Die Studentenproteste auf den Straßen Berlins, die Ermordung Benno Ohnesorgs und das Attentat auf Rudi Dutschke schufen in der jungen Bonner Republik eine düstere Atmosphäre von Angst und Unterdrückung, die geschürt wurde von einer Aggression der Massenmedien. Die Resultate sind bekannt und deren Auswirkungen können bis heute besichtigt werden.

Aus Brandsätzen gegen den Springer Konzern und weiteren sogenannten revolutionären Aktionen formierte sich ein harter Kern gewaltbereiter „Revolutionäre“, die ihren Adorno und Marcuse gegen die Mao-Bibel getauscht hatten und nicht länger bereit waren, auf das richtige Leben im falschen zu warten, sondern ab sofort Taten folgen liessen. Die Verbrechen der RAF-Fraktion unter dem Kommando ideologisch verblendeter Aktionisten in den folgenden Siebzigerjahren gaben der 68er Bewegung den Rest und führten in die verhärtete, bleierne Zeit, in der keine weiterführenden Diskussionen über die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen mehr möglich waren. Was also bleibt von der 68er Revolte und wie werden diese Jahre von den nachfolgenden Generationen beurteilt ?

Bleiben werden die unbestrittenen emanzipatorischen Erfolge, die auch durch die politischen Erfolge der SPD befördert wurden. Wer hier wen beeinflusst hat, bleibt dabei nebensächlich, der vielbeschworene „Zeitgeist“ beherrschte ja nicht nur die Straßen Berlins und Paris sondern bestimmte maßgeblich ein befreites Denken und Handeln auch an den Universitäten und Hochschulen der Republik, wobei der alltägliche Kampf um mehr Freiräume und gegen eine permanente Bevormundung durch Politik und Staat weitere Bereiche des öffentlichen Lebens politisierte und auch polarisierte. Frauen erkämpften sich mühsam die ersten Schritte zu einer Gleichberechtigung in Beruf und Alltag, das selbstbestimmte Recht auf Abtreibung war plötzlich kein Tabu mehr, als in der Zeitschrift STERN prominente Frauen sich öffentlich zu einer Abtreibung bekannten. Das kam Anfang der Siebzigerjahre einer kleinen Revolution gleich, die Verhältnisse wurden zum Tanzen gebracht. Der sogenannte zweite Bildungsweg wurde installiert und eröffnete auch jungen Menschen einen Zugang zu den Hochschulen, denen diese Bildungsperspektive bis dato verwehrt gewesen war. Es gab dank Bafög mehr Gerechtigkeit im Bildungswesen und auch politische und soziale Rechte der Frauen wurden gestärkt. 68er bashing ist zwar in manchen Kolumnen blitzgescheiter Jungredakteure zur Zeit sehr angesagt, aber diese Nebelkerzen der in den diskursfreien, öden Achtzigerjahren sozialisierten Generation sind erkennbar von nur rudimentärer Kenntnis dieser wildbewegten Ära des Aufbruchs geprägt. Und es ist ja nicht so, daß diese Rebellion bei uns in der Bundesrepublik – in Frankreich und Italien waren die studentischen Bewegungen ebenso aktiv und erfolgreich – nur die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im emanzipatorischen Sinne verändert hätten: es gab eine neue Frankfurter Schule, es gab Regisseure wie Faßbinder, Herzog, Wenders, Kluge und andere. Der deutsche Film dieser Jahre war nicht nur eine kommerzielle sondern auch eine emanzipatorische Erfolgsgeschichte während unsere heutigen, kritikfreien Filmschaffenden kinematografische Kleinodien wie „Der Schuh des Manitou“ oder „Lola rennt“ als Welterfolge bejubeln. Die Filme von Faßbinder, Herzog oder Wenders erzählten allesamt von einem anderen Leben, von den Versuchen einer permanenten Emanzipation, vom Kampf des Individuums gegen die Entfremdung , gegen die herrschenden Verhältnisse der Bevormundung und Unterdrückung. Große Filmkunst war das , wie wir sie in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr gesehen haben – es sei denn, von diesen genannten Autoren. .

Im vielgescholtenen öffentlich-rechtlichen TV- Programm liefen in jenen Jahren nicht zehn Tatorte pro Woche oder die hundertste Wiederholung von „Mord mit Aussicht“, sondern Faßbinder-Serien wie „Acht Stunden sind kein Tag“ oder „Berlin Alexanderplatz“ anstatt Mord und Totschlag von Tel Aviv bis Göteborg ! Es fragt sich heute keiner der Kritiker der 68er mehr, warum diese großartigen Beiträge auf Nimmerwiedersehen in den Archiven verschwunden sind, während der Tatort-Müll ungefiltert Abend für Abend die Wohnzimmer von Millionen Menschen fluten kann. Hat sich unsere sogenannte Kultur-Kritik bereits dieser Müllawine ergeben?

Die heutige Generation kennt wenig von den 68ern und diesen bewegten Jahren, sie kann aber in diesem Buch durchaus die lebendig geschilderten historischen Entwicklungen der 68er Epoche nachvollziehen, sie erfährt nebenbei auch einiges wissenswertes über die gesellschaftlichen Bedingungen politischen Lernens und Handelns. Unsere postmoderne, multimedial gelenkte Gesellschaft der billigen und angenehmen Beliebigkeiten, des „anything goes“, hat einen falschen und gefährlichen Freiheitsbegriff in die Welt gebracht. Freiheit kann auch die Freiheit von allem bedeuten ! Notwendig für eine neue Verortung des sozialen und politischen Freiheitsbegriffs in unserer Gesellschaft ist daher eine durchaus kritische aber auch erkenntisorientierte Auseinandersetzung mit den politischen und soziokulturellen Erungenschaften der 68er Revolte. The times they are a changing, es gilt, die Kritik vom Kopf auf die Beine zu stellen! Georg Christoph Lichtenberg wußte vor 250 Jahren schon:

„Ich weiss nicht, ob es besser wird ,wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll !“

Claus Koch – 1968, drei Generationen eine Geschichte – Gütersloher Verlagshaus – 290 Seiten – ISBN 978-3-579-08655-2

www.schriftsaetzer.wordpress.com

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