Finaaaale, oh no

Jogis Tagebuch 22 Heute berichtet Jogi, warum er im Halbfinale nach 37 Minuten das Stadion verließ. Außerdem bedauert er, dass Fußball nicht mit der Hüfte gespielt wird
Finaaaale, oh no

Illustration: der Freitag

Donnerstag, 28. Juni

Es gibt Momente, in denen hast du nicht zu hadern und nicht zu hoffen. In denen hast du zu akzeptieren und zu gehen. Es war, bevor Beckmann und Scholl das in Frage stellten, was sie vorher feierten. Es war, bevor die Eventfans merkten, dass sie niemand vor dem Schmerz gewarnt hatte. Bevor die Menschen es mit Scherzen versuchten und sagten, dass sie nun keine Pizza mehr bestellten würden. Bevor Deutschland sich in 80 Millionen Bundestrainer verwandelte. Bevor die Menschen aus den Innenstädten flohen, als sei der nukleare Ernstfall ausgerufen worden. Bevor Ratlosigkeit Siegesgewissheit ersetzte. Bevor die italienische Verteidigung eine zweite Halbzeit mit grausamer Perfektion spielte. Bevor Oliver Bierhoff seine DFB-Aktien verkaufte.

Es war die 37. Minute, als ich die Fernsehregie darum bat, bis zum Ende des Spiels nur noch Archivmaterial von mir zu verwenden (WM 2010, EM 2008). Dann zupfte ich Hansi am Hemd, und wir verließen das Stadion durch einen endlos langen Tunnel. Busfahrer Wolfgang hatte die Tür bereits geöffnet. Wir stiegen ein, er reichte jedem von uns wortlos eine entkorkte Flasche Wein. Wir tranken und saßen, minutenlang. Es war absolut still. Von draußen fiel bloß das Licht einer Straßenlaterne in den Bus.

Eine halbe Stunde verging so. Dann räusperte sich Wolfgang. „Meine Frau hat mich mal in ein Museum geschleppt. Ein bisschen Kultur täte mir gut, hat sie gesagt. Es lief dort gerade eine Maya-Aufstellung, nicht nur dieser Quatsch mit dem Weltuntergang, sondern auch was zu ihrem Alltag. Es gab da so ein Spiel bei den Mayas. Hüftball. Bei dem durfte der Ball ausschließlich mit der Hüfte berührt werden. Ein echter Volkssport war das. In dem Museum lief auch ein Video, in dem Menschen Hüftball spielten. Es sah so unglaublich albern aus. Ich habe gelacht, bis der Museumswärter mich böse ansah. Wie konnte ein so alberner Sport eine so große Bedeutung gewinnen? Dass es heute niemand mehr spielt, wundert mich nicht. Na ja, und vorhin schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass auch Fußball… nur so eine Idee.“

Ich erinnerte mich an den Beginn meines ersten Tagebucheintrags: „Der Fußball ist neben dem Krieg das letzte Ereignis von weltumspannender Bedeutung. In beides stecken wir Zeit und Geld, das an anderer Stelle mehr bewirken könnte.“ Ich hatte mich geirrt. Fußball bewirkt. Wir haben ihn dazu ausersehen. Nur was er bewirkt, können wir uns nicht aussuchen.

„Fußball wird nicht mit der Hüfte gespielt“, sagte ich, „Fußball wird leider nicht mit der Hüfte gespielt.“

Dann schwiegen wir wieder und tranken.

Um 22.35 Uhr sah ich auf mein Handy.

„Mach mal die Tür auf, Wolfgang. Ich muss noch dem Europameister gratulieren und mir ein paar Fragen enttäuschter Fans Journalisten gefallen lassen.“
Als ich schon draußen stand, drehte ich mich noch einmal um.
„Hansi, sagst du den Spielern gleich, dass morgen um 10 Uhr Trainingsbeginn ist? Am 7. September ist unser erstes WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer.“

Damit endet Jogis Tagebuch.

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer.

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