Im alten Rom traf sich das Establishment in den Luxus-Latrinen, wo die Reichen und Mächtigen nicht nur gemeinschaftlich kackten, sondern auch miteinander diskutieren, sich austauschten, Geschäfte machten. Dieselbe Funktion – vielleicht etwas geruchsneutraler weil ohne gemeinschaftlichen Klogang – hatten dann im 20. Jahrhundert die lokalen Rotary oder Lions Clubs, wo sich honorige Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft vernetzten. Nun gibt es mit der App „Clubhouse“ einen ähnlich exquisiten Ort auch im Internet.
Mit ihrer Mischung aus Live-Podcast und TED-Talk wird die App in Deutschland seit wenigen Wochen von vielen wichtigen Leuten aus Politik, Medien und Start-up-Szene gehypt. Diese sprechen dann in den digitalen Clubhouse-Räumen vor allem darüber, dass bei Clubhouse jetzt viel gesprochen wird. Gelobt wird allseits die konstruktive Gesprächsatmosphäre. Die Debatten seien stilvoll, kultiviert, zivilisiert.
Dass die Unterhaltungen vor allem selbstreferenziell sind, war am vergangenen Wochenende zu beobachten, als sich das Clubhouse über vermeintliche Eskapaden mancher Party-Gäste ereiferte. Philipp Amthor sang in einem Talk das Pommernlied, was jemand aufgezeichnet und entgegen der App-Regeln verbreitet hat. Am Abend davor hatte Bodo Ramelow auf einem Clubhouse-Podium die Bundeskanzlerin „das Merkelchen“ genannt und zugegeben, während der langen Ministerpräsidentenvideokonferenzen auch mal das Handy-Spiel Candy Crush zu zocken.
Zugang nur mit I-Phone
Es folgten aufgeregte Diskussionen. Clubhouse solle sich die Offenheit bewahren, wünschten sich viele – und zeigten sich besorgt, dass die Party schon bald vorbei sein könnte, denn momentan spricht dort die digitale Elite mit sich selbst. Der Zutritt zum Clubhouse ist nur einem exklusiven Kreis erlaubt: Die in Sachen Datenschutz äußerst fragwürdige App läuft ausschließlich auf I-Phones und mitmachen kann allein, wer eine Einladung eines Clubhouse-Mitglieds erhält. Wie auf einer Party in einer Start-up-Klitsche oder einem Empfang eines Medienhauses wird man auch bei Clubhouse nicht von den vermeintlichen „Prolls“ belästigt. Damit droht die App ein weiteres Symbol der Demokratie-Krise zu werden, der nicht gerade unberechtigten Sorge in der Bevölkerung, dass das Establishment zunehmend unter sich bleibt.
Aber vielleicht hat sich das Thema bald erledigt, wenn irgendwann die Bars wieder aufmachen und sich die Politiker*innen, Journalist*innen und Unternehmer*innen der Berliner Blase wieder auf analogen Empfängen und Partys in die Augen blicken können. Oder aber, wenn Clubhouse die Tore doch für alle öffnet. Was sind schon Rotary Clubs oder Luxuslatrinen, wenn plötzlich alle mitmachen dürfen.
Kommentare 10
thx!
aber warum steht im logbuch das icon von herrn puschner vor dem beitrag?
..."wie die Menschen wirklich leben, denken"...
Die Bertelsmannstiftung gibt da gerne Auskunft, für die "Eliten gesülzt und geraten"...
Wie die ..."politisch ticken"... wissen nicht mal die Befragten selber.
um (lokale) befindlichkeiten der geschäfts-welt zu erfahren,
würde ich mich nicht in der schlange vor dem riesen-rad anstellen
oder im fußball-stadion im fan-block positionieren...
um (lokale) befindlichkeiten der geschäfts-welt zu erfahren,
würde ich mich nicht in der schlange vor dem riesen-rad anstellen
oder im fußball-stadion im fan-block positionieren...
sachen gilt's... Ohne eine huhn-ei-debatte lostreten zu wollen, sei doch die frage erlaubt: Wenn neue Clubberer eine einladung von alten Clubberern brauchen, wer war denn der Clubberer "0" (null)?
Bodo Ramelow gehört zur digitalen Elite? Gemessen am Stand der Digitalisierung in der Thüringer Landesverwaltung, kann man einem Candy Crush-Spieler tatsächlich diesen Status zuschreiben.
Als großer Freund unpassender Überschriften meine Frage:
Wieso: "Ende der Party"? Die große Party kommt doch erst noch.
»Es herrscht eine völlige Unkenntnis der Lebensbedingungen an der Basis der Gesellschaft und darüber, wie die Menschen wirklich leben, denken, politisch ticken.«
Ich habe erst mal eine völlige Unkenntnis, was Ramelow, Amthor & Co. genau verbrochen haben. Die entsprechenden Medienartikel sind völlig vage beziehungsweise setzen voraus, dass der Leser und die Leserin bezüglich »Clubhouse« völlig im Bild sind. Anders gesagt: Vor der MEINUNG über ein Ereignis wünsche ich mir erst einmal ausreichend INFORMATION darüber.
Dass diese nicht gegeben wird (oder zumindest unzureichend gegeben wird), passt übrigens gut zum Bild jener virtuellen Cloud und ihrer Kanäle, in denen sich Journalisten und journalistische Zielgruppen einträchtig bewegen. Frei nach dem Motto: Früher war es das Café Einstein, heute muß halt was Virtuelles her.
Last but not least: Dass in der dF-Redaktion (die derzeit bestimmt ausnahmslos in konsequent durchgezogenem Homeoffice sitzt) ausschließlich beruflich weiterbringende Computerbetätigungen zum Tragen kommen, vermag ich nur schwer zu glauben. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass Twitter & Co. im aktuellen Online-Teil in einem Ausmaß Thema sind, dass man fast den Eindruck gewinnt, Weltereignisse außerhalb dieser Medien wären ohne Belang.
Die Diskriminierung der kollektiven Latrinen muss ein Ende haben!
Ich finde, das Handy-Daddeln muss ganz schön am Ende sein, wenn solche Vergleiche bemüht werden.
Da, wo ich solche Kollektiv-Plumpsklos noch erleben durfte - in Russland, und zwar je öfters und kultivierter, desto tiefer ich nach Sibirien gelangte - da sind sie alles andere als Geschlechter-diskriminierend! Ganz im Gegenteil. Öffentlicher gehts kaum!
Für gute Belüftung ist in solchen Dorf-Gemeinschaftshäusern übrigens gesorgt, was von vielen Chats nicht gesagt werden kann! Und in der Energiebilanz, dem ökologischen Fußabdruck, ist die Kollektiv-Latrine jedem Smartphone um "Lichtjahre" überlegen.
Die Latrine ist dem Handy-Daddeln auch sonst technisch weit überlegen, weil sie die Praxis des unverdaddelten und sogar schweigenden Kommunizierens einschließt und die Entspannung zelebriert.
In der Latrine kommunizieren Menschen wirklich miteinander!
Ach, die üben sich da bestimmt nur in gendergerechter Sprache.