Nur die Ruhe: Warum die Manager jetzt dem antiken Stoizismus huldigen

Kolumne Auf der Suche nach dem Glück: Neoliberale PR-Berater und Motivationskünstler wie Ryan Holiday schwören auf die Glückslehre des antiken Stoizismus von Seneca bis Marc Aurel. Das „Lexikon der Leistungsgesellschaft“
Ausgabe 49/2022

Damit die Gedanken der herrschenden Klasse auch dauerhaft von möglichst vielen Beherrschten geteilt werden, sollten sie anschlussfähig sein. Hilfreich ist es da, auf Bewährtes und Bekanntes zurückzugreifen. Das haben vielleicht auch einige Gedankenproduzenten aus dem Silicon Valley verstanden, die seit einiger Zeit auf die Philosophie der Antike, allen voran auf die Stoiker, zurückgreifen.

Mittlerweile sind unzählige Bücher von PR-Beratern, Motivationskünstlern und Philosophen erschienen, die die Lehren der Stoiker für Manager aufbereitet haben. Der Star in der Szene ist Ryan Holiday, Ex-Marketingdirektor eines Textilkonzerns und inzwischen Bestsellerautor von Büchern wie Mut. Das Glück ist mit dem Tapferen; Disziplin. Die Macht der Selbstkontrolle und Das Hindernis ist der Weg. Mit der Philosophie der Stoiker zum Triumph.

Den Weg zur antiken Philosophie haben Managementphilosophen wie Holiday schnell gefunden, waren die alten Philosophen in Athen wie in Rom doch in erster Linie Ratgeber, um den Alltag und das Leben besser zu gestalten. Auch die Stoiker haben nach dem Glück gesucht und dabei ihrer Zielgruppe nützliche Tipps bereitgestellt: Willst du, dass einer in der Gefahr nicht zittert, dann trainiere ihn vor der Gefahr, riet etwa Seneca. Das lebenslange Arbeiten an sich, an der inneren Einstellung, Achtsamkeit, Vernunft und die ständige Überprüfung des eigenen Handelns stehen im Zentrum der stoischen Glückslehre.

Die Leitsätze der Stoiker sind so eingängig wie Gute-Laune-Musik im Supermarkt. So veröffentlicht Ryan Holiday bei Instagram täglich schöne Zitate auf Kacheln: „Wenn du dich verbessern willst, sei damit zufrieden, ahnungslos oder dumm zu wirken.“ (Epiktet, 30.000 Likes) „Schwierigkeiten stärken den Geist wie die Arbeit den Körper.“ (Seneca, 20.000 Likes) Oder: „Lass dich nicht von anderen zurückhalten.“ (Marc Aurel, 10.000 Likes)

Die Weisheiten passen auf jeden Teebeutel, funktionieren als Kalendersprüche und als Motive für Wandtattoos, können auf Kaffeetassen gedruckt werden und eignen sich nicht nur für neoliberale Selbstoptimierer. Sie können auch als Anleitung verstanden werden, sich mit dem Bestehenden genügsam abzufinden, gerade wenn die Aussichten nicht allzu gute sind. Marc Aurel war nicht nur spätstoischer Philosoph, sondern als römischer Kaiser die meiste Zeit damit beschäftigt, das Römische Reich, das langsam, aber sicher in Richtung Untergang taumelte, zu verteidigen. Dazu passten seine Empfehlungen, sich emotional von allem freizumachen, was nicht der eigenen Kontrolle unterliegt: Akzeptiere die Dinge, an die dich das Schicksal bindet, lass dich nie von der Zukunft beunruhigen, sei wie ein Fels, an dem sich die Wellen brechen. Der antike Stoizismus war auch eine Bewältigungsideologie in Zeiten der Umbrüche und Niedergänge.

Klimakrise, aktuelle und drohende Kriege, ein nicht endender Kapitalismus zeugen auch heute nicht gerade von guten Rahmenbedingungen, um glücklich zu werden. Wenn die Ursachen für die großen Probleme unlösbar erscheinen, kommt die pragmatische Bescheidenheit der Stoiker zur richtigen Zeit. So lässt es sich vielleicht trotz des offensichtlichen Schlamassels ganz lösungsorientiert im Kleinen für sich glücklich werden, irgendwie klarkommen, mit immer neu verfehlten Klimazielen leben, anstatt sich weiter beim Kampf gegen die Erhitzung des Planeten abzumühen. So können die stoischen Leitlinien umschlagen: die Freiheit von den Leidenschaften in Gleichgültigkeit, Apatheia in Apathie.

Und es stimmt ja auch: Ändern am großen Ganzen kann der Einzelne am Ende nichts – solange er oder sie es allein mit der Welt aufnimmt. Und so dürfte die Retro-Welle des Stoizismus noch eine Weile andauern.

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