"Zieht euch warm an in Deutschland"

Start-up Hub Bukarest Billige Fachkräfte aus Europa – so wurde Rumänien zu einem boomenden IT-Standort. Doch die junge Generation möchte nicht mehr nur liefern, und gründet stattdessen selbst

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"Zieht euch warm an in Deutschland"

Foto: Thomas Timlen/Flickr/(CC BY 2.0)

Von der Dachterrasse des Büros von „Cyberghost“ im Zentrum von Bukarest hat man viele Seiten der Zweimillionenstadt im Blick. Den Horizont Richtung Westen dominiert ein protziger sozialistischer Massivbau: der Parlamentspalast, das größte Gebäude Europas. Unweit davon entfernt befindet sich das moderne Shoppingzentrum Unirea, mit LED-Reklamen, die an den New Yorker Times Square erinnern, nur eine Straße dahinter stehen von Roma bewohnte Hütten mit rostigen Blechdächern. Und überall im Stadtbild verteilt finden sich elegante Bauten, die Bukarest einst den Beinamen „Paris des Ostens“ eingebracht haben.

Für Robert Knapp, Gründer des Start-Ups „Cyberghost“, sind diese architektonischen Gegensätze symbolisch für das Land. „Rumänien ist teilweise noch unterentwickelt, teilweise anderen Ländern schon weit voraus.“ Der Deutsche wählte Bukarest ganz bewusst als Sitz für sein IT-Security-Unternehmen. Mit seiner Geschäftsidee bewies er Spürsinn: Noch vor Enthüllung der NSA-Affäre durch Edward Snowden setzte der Serienunternehmer auf Datensicherheit und Privatsphäre im Internet.

Gut und günstig, die jungen Rumänen

Aktuell zehn Millionen Cyberghost-Kunden können mithilfe von 600 Servern und eines verschlüsselten Protokolls anonym das Internet zu nutzen. „Es ist ein virtuelles Privatnetz für Endkunden. Wie Tor, nur schneller“, erklärt Knapp – mit dem ähnlichen, nicht-kommerziellen Tor-Browser kann man ebenfalls anonym surfen und jene Websites aufrufen, die meistens gemeint sind, wenn vom Darknet die Rede ist. Die rund 50-köpfige Firma ist eines der drei größten Unternehmen, die den verschlüsselten Internetzugang weltweit zum Standard machen wollen. Für den Durchbruch der Branche ist die Technologie jedoch noch zu langsam, meint Knapp: „Ich nutze da gerne den Kondomvergleich: Das Surfen ist zwar sicherer, macht aber weniger Spaß.“ Man arbeite zurzeit an schnelleren Ladezeiten. Aber warum gerade in Bukarest?

Enthusiastisch zeigt der gebürtige Aachener vom Chefbüro aus auf seine Mitarbeiter hinter der Glaswand. „Für ein global agierendes Start-Up, das auf Wachstum setzt, ist gutes Personal von oberster Bedeutung. Im Silicon Valley, in London, und mittlerweile auch in Berlin ist die Unternehmerszene so groß geworden, dass man passende Mitarbeiter nicht leicht bekommt“, sagt er. Nicht leicht, damit meint er auch: nicht günstig. Das rumänische Durchschnittseinkommen dagegen liegt bei 415 Euro im Monat. „Darin ist die Einkommensschere aber nicht berücksichtigt. In der IT-Branche zahlt man rund 30 Prozent weniger Lohn als in Deutschland“, erklärt Knapp. Etwas Anderes scheint ihm aber ebenso wichtig wie günstiges Personal: Ein ausgezeichnetes Fremdsprachenniveau, eine auf Internationalität ausgerichtete Denkweise, und die „Macher-Mentalität“ der jungen Generation beeindrucken Knapp.

Doch der Kampf um Talente wird auch in der rumänischen Hauptstadt ausgetragen. Erst kürzlich eröffnete die Deutsche Bank eine Forschungs-und Entwicklungsabteilung mit 800 Angestellten in Bukarest. Die Deutsche Telekom intensiviert seit 2014 ihre Geschäfte in Rumänien durch Zukäufe. Wer vom Flughafen Bukarest mit dem Auto in die Stadt fährt, passiert die Großraumbüros von Apple, Microsoft und Oracle. Die Kombination aus günstigen Fachkräften, einer Gewinnsteuer von 16 Prozent, und Internetgeschwindigkeiten unter den Top 10 weltweit machen das Land für die Unternehmen attraktiv.

Dem Entwicklerland gehen die Entwickler aus

Als Outsourcing Standort hat sich Rumänien in den letzten 20 Jahren einen guten Ruf gemacht. Entwicklungsabteilungen großer Konzerne sowie IT-Dienstleister, die für Firmen weltweit programmieren, gibt es im ganzen Land. Valerica Dragomir, Vorsitzende des rumänischen Technologieverbands ANIS, sieht einen Grund im „starken Bildungsfokus auf Mathematik und Naturwissenschaften“ während der kommunistischen Diktatur. „In Cluj, Timişoara, Iaşi und Bukarest gab es zudem große staatliche Forschungszentren mit Computerwissenschaftlern auf Weltniveau. Nach der Revolution gründeten Programmierer dort eben eigene Unternehmen.“ Erfolgreiche Unternehmen vor allem: Die Nähe zu anderen europäischen Standorten und Effizienzvorteile gegenüber indischen Wettbewerbern führten zu einem Branchenboom, der bis heute anhält. Das Resultat sind 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum in 2016, europäische Spitze, und eine Arbeitslosigkeit von rund sechs Prozent.

Valerica Dragomir aber warnt: “Das IT-Outsourcing wird nicht ewig weitergehen, wir werden schon sehr bald an die Grenzen der Entwicklerkapazitäten stoßen. Es gibt einfach nicht mehr!“ Dann könnte der Goldrausch der Global Player bald vorbei sein. Und was dann? „Wir müssen jetzt beginnen, selbst Unternehmen zu gründen und Wert zu schöpfen, anstatt für andere Dienstleistungen zu erbringen“, fordert Dragomir. Davon würden dann nicht nur die Fachkräfte profitieren, sondern auch andere Beschäftigte. Nachdem in den letzten zwanzig Jahren viele Entwickler und Manager auf Dienstleistung getrimmt wurden, sei es für viele Rumänen nicht leicht, selbst Initiative zu ergreifen, sagt Dragomir. „Doch der Mentalitätswandel hat bereits begonnen.“

Im Techhub Bukarest kann man sich davon überzeugen. Knapp zehn Start-Ups arbeiten hier an Tischen aus Sperrholzplatten, Gründer telefonieren von Sitzkissen aus mit Geschäftspartnern in London und Berlin. An der Wand steht mit Kreide geschrieben die Einladung zu „Fintech & Pizza tonight“.

Daniel Dragomir und Bogdan Iordache gründeten das Zentrum 2013, nachdem sie selbst erste unternehmerische Erfolge hatten. „Die Geschwindigkeit, mit der hier neue Ideen entstehen, ist atemberaubend. Und anders als vor ein paar Jahren werden sie auch wirklich umgesetzt“, schwärmt der 31-jährige Bogdan Iordache.

Die Weichen sind gestellt

Einige sehr erfolgreiche Gründungen dienen der nächsten Generation als Inspiration – die Virensoftware Bitdefender zum Beispiel. Die Entwicklung ähnelt anderen Start-Up-Hochburgen: Ein paar Entrepreneure haben Erfolg und reinvestieren Geld in neue Ideen. Dabei steigt die Qualität der Konzepte und Unternehmer werden erfahrener, da die Möglichkeiten zum produktiven Austausch steigen.

Die meisten Start-Ups in Bukarest entstehen in den Bereichen Netzsicherheit, Entwicklerwerkzeuge und Computerspiele. „Es sind vor allem B2B-Firmen. Produkte für Endverbraucher erfordern meist hohe Anfangsinvestitionen. Weil diese hier rar sind, wachsen die Unternehmen durch Aufträge von Großkunden“, erklärt Iordache. Geschäftsführer Daniel Dragomir fügt hinzu: „Das Besondere hier ist, dass die Unternehmen von Tag eins international denken. Die erste Webseite ist immer in englischer Sprache - Rumänien wird nur als Testmarkt gesehen.“ Das Techhub wird zwar als Vorreiter der lokalen Szene gesehen, doch an Initiativen mangelt es nicht. Auch die Deutsche Telekom fördert Jungunternehmer in Bukarest.

Das US-Magazin Forbes nennt Rumänien die nächste Brutstätte für Tech-Unternehmen. „Alle Voraussetzungen sind da, um ein bedeutendes Start-Up Hub zu bauen – das geht ultraschnell“, sagt auch Robert Knapp. Schnell ging es auch für sein Unternehmen Cyberghost, das er jüngst für 9,2 Millionen Euro an die israelische Investitionsfirma Crossrider veräußerte. In Hinsicht auf seine persönliche Zukunft sagt Knapp: „Zieht euch warm an in Deutschland.“ Er wolle ungern in ein Land zurückkehren, das bei der Digitalisierung abgehängt wurde.

Vorort-Recherche im Oktober 2016

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Gluschak

Reportagen/ Digital/ WirtschaftSZ, Tagesspiegel und Hintergrund bislang@smarinogluschak

Sebastian Gluschak

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