Sahra Wagenknecht hätte es vom Saarland aus nicht weit – doch dass sie die Spitzenkandidatur ihrer neuen Partei zur Wahl des Europaparlaments in Straßburg und Brüssel am 9. Juni 2024 übernimmt, erscheint wenig wahrscheinlich. Stattdessen rückt ein anderer bekannter Name ins Blickfeld: Fabio De Masi wird mit auf dem Podium der Bundespressekonferenz sitzen, wenn das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ am Montag über die Gründung einer Partei und die Vorschläge für die Europa-Spitzenkandidaturen informiert. Ein Parteitag ist für den 27. Januar in Berlin geplant.
„Finanzdetektiv“ Fabio De Masi: Wirecard und Cum-Ex
De Masi, der sich als Parlamentarier intensiv Finanzskandalen wie Wireca
ecard und Cum-ExDe Masi, der sich als Parlamentarier intensiv Finanzskandalen wie Wirecard und Cum-Ex widmete und deren Aufklärung maßgeblich voranbrachte, war im September 2022 aus der Linken ausgetreten. „Meine Entscheidung ist nicht Teil einer Flügelauseinandersetzung und ich habe nicht vor, mich in absehbarer Zeit in einer anderen politischen Formation zu engagieren“, schrieb er damals. Die absehbare Zeit ist nun offenbar vorbei: „Dieses Jahr wird für mich ein Jahr der Um- und Aufbrüche“, deutete De Masi in seinem Newsletter am 1. Januar an: „In wenigen Wochen muss ich mein Buch abgeben und dann werde ich nach zwei Jahren der Selbstständigkeit als Kolumnist und Autor, Redner, Berater von TV-Produktionen und ehrenamtlicher „Finanzdetektiv“ neue berufliche Perspektiven in Angriff nehmen.“ Thema des Buches: Finanzskandale.Als parteiloser Autor hatte De Masi 2023 auch zwei Texte im Freitag veröffentlicht, nun scheint er sich den Schlusssatz des einen zur Aufgabe zu machen: „SPD, Grüne und FDP sind eine schlechte Revival-Band, die noch mal die Schröder-Fischer-Tournee aufführt: Nur ohne Gerhard, ohne russisches Gas und ohne eine linke Partei, die auf Montagsdemos die Wut der Menschen adressiert. Zeit, dass sich zumindest Letzteres ändert.“Linker WirtschaftsexperteDer 43-Jährige gilt als rhetorisch versiert und weiß, sprachlich zuzuspitzen; seine wirtschafts- und finanzpolitische Expertise fand unter vielen Nicht-Linken Beachtung. In Bezug auf die Linke selbst bedauerte De Masi 2021, als er bekannt gab, nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren, „dass es lange Zeit zu wenig Personal in unserer Partei und unserer Fraktion gab, das bereit war, sich für die ökonomischen Debatten unserer Zeit zu interessieren“. Das dürfte beim Bündnis Sahra Wagenknecht, zu dem neben Wagenknecht selbst auch der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Christian Leye, zählt, anders sein. Neben Leye sitzen am Montag auch Wagenknecht und die als Juristin lange für einen Autozulieferkonzern tätige Amira Mohamed Ali auf dem Podium, die beiden letzteren werden als Doppelspitze der neuen Partei gehandelt.Wie Wagenknecht – Mitglied des Europäischen Parlaments zwischen 2004 bis 2009 – verfügt De Masi über Erfahrung als Parlamentarier in Straßburg und Brüssel: Vor seiner Zeit im Deutschen Bundestag zwischen 2017 und 2021 war er dort Abgeordneter, von 2014 bis 2017. Über Wagenknecht sagte De Masi 2014: „Sie war die erste Frau, für die ich gearbeitet habe.“ Gemeint war damit seine vorangegangene Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Linksfraktion.Zweite Heimat SüdafrikaDer Sohn einer alleinerziehenden Volkshochschullehrerin und Enkel eines italienischen Partisanen, mit ganzem Namen Fabio Valeriano Lanfranco De Masi, wuchs in Hessen auf, studierte in Hamburg Volkswirtschaftslehre und erlangte zwei Master-Abschlüsse, einen davon 2009 an der University of Cape Town in Südafrika. Als Forschungsstipendiat von dessen Financial Innovation Hub veröffentlichte er 2023 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Studie When Finance Meets Big Data über die Notwendigkeit von Regulierung und öffentlichem Eigentum im Lichte der Versuche von Finanzkonzernen, afrikanische Märkte zu erobern. Südafrika nennt De Masi seine zweite Heimat – er hat immer wieder Zeit dort verbracht und dürfte aus eigener Anschauung Perspektiven eines BRICS-Staates kennengelernt haben, die unter anderem in Bezug auf den Krieg in der Ukraine stark von den Perspektiven westlicher Staaten divergieren.Selbst hat De Masi immer wieder Prognosen und Analysen in Deutschland medial hoch gehandelte Experten kritisiert, die sich vom tatsächlichen Verlauf des Krieges seit Russlands Angriff fundamental unterscheiden und meist mit Forderungen nach einer massiven Ausweitung von Waffenlieferungen einhergehen. Mit dieser Kritik ist er auf dem Podium des Bundespressekonferenz am Montag nicht der Einzige: Düsseldorfs ehemaliger SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel ist dort ebenso für das Bündnis Sahra Wagenknecht angekündigt. Geisel hatte 2022 den damaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, scharf für dessen Rhetorik kritisiert und wirbt immer wieder für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg, der für das angegriffene Land militärisch nicht zu gewinnen sei.Düsselsdorfs Ex-OB Thomas Geisel auf dem PodiumGeisel soll beim Bündnis Sahra Wagenknecht offenbar ebenso eine Rolle spielen wie der Hochschullehrer und Unternehmer Shervin Haghsheno, der ebenso für die Pressekonferenz angekündigt ist. Haghsheno arbeitete zwischen 2004 und 2013 für den früheren Bauwirtschafts- und heutigen Industriedienstleistungskonzern Bilfinger, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung der Bilfinger Hochbau GmbH. Seit 2013 ist er Universitätsprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und geschäftsführender Direktor des Instituts für Technologie und Management im Baubetrieb.Eine Freitag-Anfrage, ob Fabio De Masi, Thomas Geisel und Shervin Haghsheno für das Bündnis Sahra Wagenknecht bei der Europawahl im Juni kandidieren sollen, wollten Vertreter der in Gründung befindlichen Partei noch nicht beantworten.