Zumindest teilweise liegt es in der Natur der Sache, dass linke Parteien eher zur Spaltung neigen als rechte: Ist man mit den Verhältnissen im Grunde einverstanden, drehen sich interne Auseinandersetzungen eigentlich nur noch darum, wer die Agenda der Macht verficht. Strebt man hingegen substanzielle, gar systemische Veränderungen der Verhältnisse an, kommt zur bloßen Karrierefrage noch eine zweite, eine höchst explosive, weil politisch-moralische Konfliktebene hinzu, die den Parteien der Herrschenden fremd ist: Worauf konzentriert man den Widerstand, welche Bündnisse sind legitim, was ist realistisch, was lebensfremd, ab wann lässt man sich vereinnahmen und wo beginnt der Verrat?
Das Ende der bisherigen Linken ist keine „Chance“, es ist eine T
ist eine TragödieSich diese „strukturelle“ Komponente des notorischen Spaltungs-Gens im progressiven Lager vor Augen zu halten, hilft dieser Tage ein wenig gegen den Frust, dem jämmerlichen Ende der bisherigen Partei Die Linke beiwohnen zu müssen. Aber eben auch nur ein wenig: Es bleibt eine Tragödie und ist keine „Chance“, dass sich diese in gehabter Weise zerlegt hat. Immerhin war sie bei allen Problemen seit Mitte der 2000er Jahre Europas Benchmark in Sachen parlamentarischer Organisierung jenseits von Grünen und Sozialdemokratie.Damit ist zunächst mal Schluss. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Verhältnisse sich zuspitzen, wo Deutschland in einen Sonderweg destruktiver Neo-Austeritätspolitik zurückzufallen scheint, statt sich der umfassenden Transformation zu stellen, die hier wie überall zu bewältigen ist. Und dann wären da noch die Herausforderungen der Weltpolitik, in der sich die großen Mächte auf gefährlichen Kollisionskurs begeben haben.Kitt: Die böse SahraAber all das Jammern hilft nichts. Es muss jetzt nicht nur weiter-, sondern auch nach vorne gehen. Und unbedingt leichter geworden ist das nicht, denn es gibt ja auch in der Restpartei erhebliche politische wie kulturelle Differenzen: Da ist etwa ein inzwischen sehr gesetztes ostdeutsches Alt-PDS-Realo-Milieu, für das vielleicht jemand wie Peter Ritter exemplarisch steht, von 2001 bis 2009 und seit 2022 wieder Landesvorsitzender der unauffällig mitregierenden Landespartei in Mecklenburg-Vorpommern.Zugleich gibt es „Bewegungslinke“ mit studentischen, beispielsweise trotzkistischen Hintergründen – die man lieber nicht mit weltläufigen Großstadt-Progressiven wie Berlins Ex-Kultursenator Klaus Lederer beim Streit über den Nahostkonflikt belauschen möchte. Gekittet wurden diese Gegensätze bislang nicht zuletzt durch die geteilte Abscheu gegenüber der bösen Sahra. Wie aber wird das nun, nachdem die weg ist?Sollte sich eine „Wagenknecht-Partei“ dauerhaft etablieren, wäre sie ein Novum im deutschen Parteiensystem: sozialpolitisch links alter Schule, gesellschaftspolitisch mittig, mit vielleicht in manchem konservativer Tendenz. Wie der Rest des politischen Spektrums wird sich auch die Partei Die Linke mit dieser zum Gewohnten gehörig querliegenden Kraft auseinanderzusetzen haben, was sicherlich nicht einfach ist. Gewiss muss es dabei auch um Erkennbarkeit durch Abgrenzung gehen. Was aber keinesfalls herauskommen darf, ist ein blindes Fortschreiben jenes identitätsstiftenden Sahra-Bashings. Das verbietet schon der Blick auf die eigene Ausgrenzungsgeschichte: Wie viele politische Möglichkeiten blieben ungenutzt, weil weiland die SPD nicht über den Groll auf ihren früheren Promi Oskar Lafontaine hinwegkam?Historischer Treppenwitz: Oskar Lafontaine und Sahra WagenknechtDie Gretchenfrage, ob man sich demgegenüber zu einem Besseren zusammenreißen kann, könnte sich der Rest-Linkspartei schon recht bald und ziemlich praktisch stellen: Zwar weniger auf Länder- und schon gar nicht auf der Bundesebene, aber durchaus in Kreisen und Kommunen, wo es darum gehen wird, etwa in Fraktionsgemeinschaften mehr Einfluss zu erhalten. Der historische Treppenwitz, dass der einstige SPD-Schreck und die jetzige Reizfigur der Linkspartei auch noch verheiratet sind, enthebt dieselbe dabei so wenig dieses innerlinken Mäßigungsgebots wie die Tatsache, dass gleiches umgekehrt auch vom Wagenknecht-Gefolge zu verlangen ist.Ob es der Linkspartei gelingt, im weiteren Verlauf jenes Neuanfangs, den sie nun auf dem Augsburger Parteitag verkündet, zu einem in diesem Sinne konstruktiven Umgang mit ihrem Spaltprodukt zu finden, steht einstweilen noch in den Sternen. In der entsprechenden Bubble sah es bisher freilich nicht so aus: Da machte etwa ein Sharepic die große Runde, demzufolge sich im vorläufigen Wagenknecht-Manifest das Wort „Arbeiter“ nicht finde, was ja wohl schon alles über diesen Verein sage – verbreitet auch von jemandem wie etwa der Wohnungspolitikerin Caren Lay, von der man mehr erwartet als derart substanzlose Polemik. Und obwohl fünf der neun Bundestagsabgeordneten, die sich bislang zu Wagenknecht bekennen, nicht-deutsche Nachnamen tragen, scheint es weiterhin Linkspartei-Folklore zu sein, die neue Gruppe als Quasi-AfD zu identifizieren.Spätestens bei diesem verdrehten Nachhall der historisch so unseligen Sozialfaschismusthese sollte allerdings innehalten, wer auch nur halbwegs bei politischem Bewusstsein ist. Möge das Feld der politischen Linken auch noch zerklüftet sein und strukturell zur Vergiftung neigen: So viel intellektuelle Selbstkontrolle und Disziplin im Dienst der Sache ist von allen zu verlangen, die von den Menschen in diesem Lande mit dem Kampf für eine bessere Zukunft beauftragt werden wollen.