Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen: „Das funktioniert nicht so richtig“
Interview Die Sahra-Wagenknecht-Partei steht vor Gründung und erstem Parteitag. In den Bundesländern können es manche Ex-Linke kaum erwarten, für sie anzutreten – etwa Ralf Tonndorf in Thüringen. Ein Gespräch
Die Person für die Spitzenkandidatur zur Europawahl ist auf diesem Bild dem Vernehmen nach nicht zu sehen
Foto: Imago / dts Nachrichtenagentur
Er entwerfe schon sein neues Wahlplakat, sagt Ralf Tonndorf, der Schriftzug stehe bereits: „80 – Na und?“ So alt wird Tonndorf, Mitglied des Stadtrats in Bad Salzungen und des Kreistags des Wartburgkreises in Thüringen, dieses Jahr. Er will weitermachen und den Aufstieg der AfD nicht erst am 9. Juni bei der Europa- und auch nicht erst am 1. September bei der Landtagswahl stoppen – „Wir haben schon am 26. Mai Kommunalwahl!“, ruft er in den Telefonhörer. Die Zeit drängt für Ralf Tonndorf. Er ist im Herbst aus der Linken ausgetreten und will nun für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) kandidieren.
der Freitag: Herr Tonndorf, was ist denn Ihre Geschichte mit der Linken?
Ralf Tonndorf: Ach, du liebe Güte –
Ralf Tonndorf: Ach, du liebe Güte – ich habe alle Phasen ihrer Entwicklung aktiv begleitet, war erst in der SED, dann in der PDS, dann in der Linken. Und egal, wie die Truppe hieß, ich bin bei ihren Oberen meist angeeckt.Zuletzt sind Sie ausgetreten.Ja, wegen des Richtungsstreits, und speziell, weil immer Sahra Wagenknecht – die ich persönlich sehr verehre, nicht nur weil wir beide Philosophie studiert haben, sondern weil ich sie als couragierte Linke betrachte – für alles verantwortlich gemacht wurde. Die wahren Ursachen für die Verluste bei Wahlen, zuletzt in Hessen und Bayern, wollte man nicht analysieren – das hat das Tüpfelchen auf das i gesetzt. Den Reformationstag fand ich günstig, um zu verkünden: Jetzt bin ich fristlos raus.In den Stadtrat und in den Kreistag wollen Sie wieder rein.Ja, ich hatte ja nie Ambitionen, nach Brüssel, Berlin oder so zu gehen, ich bin hier im Wartburgkreis sehr verortet und im Stadtrat von Bad Salzungen das am längsten amtierende Mitglied, glaube ich.Ich habe mir den Stadtrat und den Kreistag angesehen – die AfD ist da ja gar nicht so stark vertreten, wie man es als Nicht-Thüringer vermuten würde.Im Stadtrat hätten ihr drei Sitze zugestanden nach der letzten Wahl, aber ihre Personaldecke war dafür zu dünn, jetzt haben sie nur einen Abgeordneten. Das wird sich bei der nächsten Wahl aber wesentlich ändern!Ja?Na, Sie kennen den Trend für die drei Ost-Länder doch so gut wie ich! Um die 30 Prozent wird die AfD abgreifen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – wenn wir nicht gegensteuern!Und Sie glauben, die beste Idee, um gegenzusteuern, ist das „Bündnis Sahra Wagenknecht“?Ich weiß nicht, ob das die beste Idee ist, es ist eine Möglichkeit, und die sollte man nutzen. Man kann natürlich auch zu Hause sitzen und das Ganze beobachten. Aber dazu bin ich nicht der Typ.Sie haben in Thüringen mit Bodo Ramelow ja einen Linken-Ministerpräsidenten, der auch weiß, wie man 30 Prozent bei Landtagswahlen holt ...Bei Bodo Ramelow haben mir einige Sachen nicht so gefallen, während der Corona-Zeit, seine Haltung zu Waffenlieferungen oder die Migrationspolitik. Aber er hat seinen Job nicht schlecht gemacht, die ganzen Unkenrufe wegen der Wirtschaft, als er Ministerpräsident wurde, das ist nicht eingetroffen, das muss man der Ehrlichkeit halber schon sagen.Was meinen Sie mit „während der Corona-Zeit“?Na ja, dieses überspitzte Reagieren der staatlichen Organe. Wenn ich nachts um zwölf nach dem Treffen mit meinen Skatbrüdern aus einer Wohnung trat und wie ein Illegaler nach rechts und links spähen musste, ob irgendwo die Polizei steht! Und der Druck auf die Leute, die sich nicht impfen lassen wollten. Aber das hatte ja mehr mit der Bundesregierung als mit Ramelow zu tun, und ich will über diesen Mist eigentlich gar nicht mehr nachdenken, nicht mehr diesen alten Dingen hinterherrennen ...Blicken wir nach vorn: Treten Sie denn jetzt für das BSW an bei den Kommunalwahlen?Das kann ich Ihnen eben heute, am 2. Januar, auch nicht sagen! Ich kann der Parteigründung nicht vorauseilen, aber ich kann doch auch nicht so tun, als wäre ich außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Zustände! Am 26. Mai ist die Kommunalwahl, wir müssen darauf vorbereitet sein!Haben Sie denn Kontakt zu Sahra Wagenknecht und den anderen Parteigründern?Das ist leider im Moment ein bisschen schwierig. Wobei ich gerne einräumen will, dass der engere Zirkel, der das Ganze lenkt und leitet, mit der Parteigründung zurzeit sicher sehr viel um die Ohren hat. Aber man muss sagen, in den einzelnen Bundesländern wird das sehr unterschiedlich gehandelt. Es gibt ja angeblich für jedes Bundesland einen Beauftragten, in Sachsen klappt es wohl sehr gut. In Thüringen wird ein Name gehandelt, aber mir ist das nicht mitgeteilt worden, niemand von uns hat Kontakt. Das funktioniert nicht so richtig.Wer ist „uns“?Wir haben einen Unterstützerverein für das Bündnis Sahra Wagenknecht gegründet, mit Vorstand und Satzung. Die Parteigründung, das sollen ruhig die Leute machen, die sich dafür den Hut aufgesetzt haben. Aber wir können doch nicht als Betrachter nur von außen zuschauen, wir müssen uns vorbereiten! Es gab ja schon Videokonferenzen mit Leuten aus ganz Deutschland, aber wir haben jetzt auch eine Whatsapp-Gruppe für Leute aus Thüringen gegründet, in der wir miteinander theoretische und praktische Dinge erörtern.Und wie viele sind da drin?Es klingelt ständig, ich musste den Ton ausstellen. Mehr als ein paar Dutzend sind es schon.Der Kreis um Wagenknecht will ja dieser Tage erst die Partei gründen, am 27. Januar soll dann Parteitag in Berlin sein. Die wollen den Kreis wohl lieber noch klein halten ...Das kann ich schon verstehen. Heute macht ja einer, wenn es ihm mal schlecht geht, schnell eine Facebook-Gruppe auf und schreibt dann „Ich unterstütze Sahra Wagenknecht“ drüber. Da ist es schon richtig, erst langsam wachsen zu wollen.Es gibt ja wohl auch die Überlegung, mit der neuen Partei in Thüringen gar nicht anzutreten, um Bodo Ramelow im Wahlkampf gegen Björn Höcke nicht die Stimmen wegzunehmen oder nach der Wahl als Protestpartei gleich regieren zu müssen, damit es die AfD nicht tut.Ja, das Gerücht habe ich natürlich auch gehört. Die Linke und der Ministerpräsident haben aber gleich dementiert, dass es solche Absprachen gibt.Wie fänden Sie das denn?Es gab aus dem engeren Kreis Wagenknechts die Aussage von Amira (Mohamed Ali, Anm. d. Red.), dass noch nicht sicher sei, dass man in allen drei Ländern antrete, und Sevim Dağdelens Gegenrede, dass man in Sachsen, Brandenburg und Thüringen antreten werde. Sahra Wagenknecht selbst hat sich dazu noch nicht geäußert. Ich glaube nicht, dass man diesen Deal eingehen wird.Fürchten Sie, dass Thüringen Ende des Jahres von Höcke regiert wird?Ich will alles dafür tun, dass das nicht passiert. Einige, die aus Frust AfD gewählt haben, kann man zurückholen, nicht alle. Dann darf man sie aber nicht alle als „Nazis“ abstempeln. Ich bin zutiefst Antifaschist und weiß Höcke sehr wohl zu deuten, aber der Gebrauch dieses Vorwurfs von Leuten, die die Definition von „Nazi“ gar nicht genau kennen, ist viel zu inflationär.Um Höcke zu verhindern, wird es ja unumgänglich sein, dass Wagenknecht-Partei und Linke auch kooperieren. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu den früheren Genossen im Wartburgkreis?Na ja, das hängt immer von den Personen ab. Ich selber bin sicher keiner, der dann plötzlich nicht mehr grüßt. Bei den Linken ist das ein bisschen anders. Ich bin auch aufgefordert worden, mein Mandat abzugeben, aber da habe ich dann daran erinnert, wer meine Wahlplakate finanziert und aufgehängt hat: ich selber. Man hat mich ja auch auf Listenplatz 43 gesetzt für den Kreistag. Meine Wähler sahen das dann aber anders. Trotzdem, um das klarzustellen: Die Linken und das Bündnis Sahra Wagenknecht, das sind beides Linke, und die Linkspartei ist sicher nicht mein politischer Gegner.Placeholder authorbio-1
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