Flossen weg von meinem Bargeld!

Zahlungsmittel „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger hat in dieser Woche die Forderung nach der Abschaffung von Bargeld gestellt. Ein wirklich progressiven Reformvorschlag sieht anders aus
Ausgabe 21/2015

Dispo war für mich lange Zeit ein Fremdwort. Vor Jahren dann bemerkte eine Untermieterin eher beiläufig, sie bestreite ihren Alltag praktisch ununterbrochen mit einem Konto in den roten Zahlen. Sie kam aus Österreich, das bargeldlose Zahlen ist dort verbreiteter als hierzulande, und mit seiner Kreditkarte in der Hand kann man leicht den Überblick verlieren. Ein Graus für mich: das fehlende Gefühl für meine Finanzlage! Die horrenden Zinsen für die Bank! Das ständige Gefühl, in der Schuld zu stehen! Die Angst, irgendwann keine echten Scheine mehr am Automaten zu bekommen, weil mein virtuelles Guthaben eine Grenze überschritten hat! Wie die meisten Deutschen bin ich in Geldfragen strukturkonservativ.

In dieser Woche hat der Wirtschaftsweise Peter Bofinger die Forderung nach der Abschaffung von Bargeld gestellt. Mag Dänemark die Annahmepflicht für Scheine und Münzen in kleinen Geschäften aufheben, Schweden alle Verkäufer von Obdachlosenzeitungen mit Lesegeräten für Kreditkarten ausstatten und Frankreich die Barzahlung nur noch bis 1.000 Euro erlauben: In Deutschland ist mit einem Angriff auf das Bargeld kein Blumentopf zu gewinnen. Es ist das meistgenutzte Zahlungsmittel, und die Bundesbank hat sich in der aktuellen Debatte längst zur Verteidigerin des Bargelds erklärt.

Irgendetwas muss sich ändern an unserem Geldsystem, im Jahr acht nach Ausbruch der Finanzkrise. Statt aber einen dafür anschlussfähigen, progressiven Reformvorschlag auf den Tisch zu legen, fordert Bofinger in Deutschland sowie der US-amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff in London: Bargeld abschaffen! Schwarzarbeit ließe sich so wirksam bekämpfen! (Als ließen sich Menschen nicht auch mittels virtueller Währung ausbeuten.) Der Drogenhandel würde trockengelegt! (Als würden Händler nicht schon heute auf Darknet-Märkte und Kryptowährungen ausweichen.)

Eigentlich zielen Peter Bofinger und Kenneth Rogoff auf etwas ganz anderes: Die Menschen sollen sich den Negativzinsen der Notenbanken nicht mehr durch das Bunkern von Bargeld entziehen können. Wer sein Vermögen auf dem Konto belässt, soll in Zukunft kräftig dafür zahlen. Sonst muss er eben investieren und konsumieren. Der Angriff auf das Bargeld ist nicht mehr als ein hilfloser Versuch, ein kaputtes System noch halbwegs überlebensfähig zu halten. Ich bin für das Vollgeldkonzept: privaten Banken die Möglichkeit zur Geldschöpfung nehmen und Geld zum öffentlichen, demokratischen Gut machen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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