Krise als Dauerzustand

SPD Wenn Olaf Scholz redet, klingt er häufig wie einst Martin Schulz. Aber das reicht bei Weitem nicht
Ausgabe 37/2018
„Im zehnten Jahr der Finanzkrise“ – so spricht der Olaf Scholz von der Gegenwart
„Im zehnten Jahr der Finanzkrise“ – so spricht der Olaf Scholz von der Gegenwart

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Für eine halbe Stunde könnte man glauben, dass alles gut wird. Als Olaf Scholz diese Woche seinen Haushalt für 2019 erklärt, da erlebt der Bundestag einen seltenen Moment voll nüchternem Optimismus, Sinn für die Realität vieler im Land zudem: „Ich weiß nicht, was der eine oder andere sich vorstellt“, spricht der Finanzminister ins Plenum, „aber die allermeisten Leute verdienen nicht so viel, dass sie ohne Weiteres in der Lage wären, die Preise zu bezahlen, die heute bei frei vermieteten Wohnungen, die neu gebaut sind, verlangt werden.“ Darum: Mieterschutz ausbauen, Mietenstopp, Neubau – und zwar Sozial- neben teurer Eigentumswohnung, „Arm neben Reich“. Scholz klingt ein bisschen wie Martin Schulz zu Anfang seiner Kampagne.

Hinweg mit all diesen sachgrundlosen Befristungen, jetzt erst mal bei den Mitarbeitern des Bundes; mehr Personal für Polizei, Zoll und Bamf. Scholz redet vom Rekordhoch der Beschäftigung in Deutschland, aber nicht in der Es-geht-uns-doch-gut-wie-nie-Rhetorik, die sonst immer all den Wütenden die Grundlosigkeit ihrer Wut zeigen soll. Sondern um zur kaum sinkenden Zahl der Langzeiterwerbslosen überzuleiten, für welche es mehr öffentlich geförderte Arbeit geben soll.

Wären dies stabile, langweilige Zeiten – über Olaf Scholz würde heute lauter als potenzieller Kanzler geredet; Scholz wäre die prädestinierte Fortsetzung von Angela Merkel mit anderem Parteibuch.

Doch dies sind andere Zeiten. Die SPD muss froh sein, wenn sie ein Fünftel der Wähler erreicht. Nüchternheit von der Merkel-Scholz-Art gilt vielen als Naivität, dem Optimismus schlägt viel Zynismus entgegen. Die „Zukunft des Landes“, von der Scholz in seiner Rede so oft spricht, sehen viele düster. Wofür es Gründe gibt, die Olaf Scholz sogar treffend umreißt – vielleicht ist das ein Versprecher: „Im zehnten Jahr dieser Finanzkrise“, so nennt er die Gegenwart, beschreibt also die Krise als andauernden Zustand.

Der ist sie allemal, hat sich längst auf den teilprivatisierten Bereich der Altersvorsorge verlagert, weshalb dem Votum des Olaf Scholz für stabile Renten auch in 20 Jahren viele nicht trauen. Die Krise wirkt nun bei der Versorgung mit Wohnraum, weil diese immer stärker als lukrativer „Markt“ für vermögende Anleger organisiert ist. Weiter gehen in Deutschland jedes Jahr mehr Sozialwohnungen verloren als neue hinzukommen, diesen Trend wird kein Baukindergeld stoppen. „Mieterrechte stärken“ – etwa mit einem Koalitionspartner, der schon das jetzige, zahme „Mieterschutzgesetz“ aus dem Kabinett im Parlament verwässern will? Von der Krise Europas erst gar nicht zu reden; hier klingt Scholz, als wäre sie so gut wie gelöst, als drohte kein Rechtsruck bei den EU-Parlamentswahlen 2019.

Das EU-Parlament ist weit weg, nah ist für alle hierzulande stets die Kommune: „Der soziale und ökonomische Wandel wird am Ende immer in den Kommunen bewältigt“, hat Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange jüngst dem Freitag gesagt, „die Kommunen in Deutschland sind zunehmend Konsolidierungskommunen, sie sollen aber gleichzeitig der wachsenden Ungleichheit entgegenwirken.“ Hier läge einer der Anspielpunkte für den Paradigmenwechsel, ohne den diese SPD nicht zu retten sein wird: resolute Entschuldung, starke Subsidiarität, zurück zu echtem Föderalismus: alle Kommunen in die Lage versetzen, der Ungleichheit selbst entgegenzuwirken. Stattdessen streut auch Olaf Scholz immer mehr Mittel des Bundes aus, die die Kommunen dann kaum abrufen, weil es ihnen an Substanz und Personal fehlt, sie auszugeben.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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