Schließlich sollte es Yanis Varoufakis richten. 60.000 Euro wollte das griechische Medienprojekt Athens Live per Crowdfunding einsammeln, für das Aufbrechen der verkrusteten Medienlandschaft Griechenlands. Das sollte reichen, um für einige Monate die laufenden Kosten des 13-köpfigen Teams zu decken, Ausrüstung zu kaufen und eine Internetseite zu bauen. Das Ziel: Ein englischsprachiges Portal für unabhängige, kritische Berichterstattung, samt Bildagentur und für ein internationales Publikum, unter dem die vermutlich sieben Millionen Auslandsgriechen eine vielversprechende Zielgruppe darstellen dürften.
Die Macher von Athens Live sind meist um die 30 und fest entschlossen, ihrem Land und dessen Medienlandschaft einen Neuanfang zu verpassen. Mit Varoufakis redeten sie dann aber erst einmal über die Vergangenheit, das heißt: Vor allem redete Varoufakis. Mitte Mai, eine Woche vor Ende der Crowdfunding-Kampagne, ging das 24-minütige „Guerilla -Interview“ online, und Varoufakis macht darin, was er bereits als Finanzminister in der Eurogruppe getan hatte. Erklären und monologisieren. Die um Varoufakis im Halbrund sitzenden Medienmacher agieren dabei nicht als kritische Fragensteller, sie wirken eher wie Studierende, die an den Lippen ihres Professors hängen. Mag man es ihnen zum Vorwurf machen?
Diese Leuten haben die vergangenen Monate mit einer höchst sinnvollen Existenzgründung in einem zutiefst düsteren Umfeld verbracht, wo das Kuratel der Kreditgeber noch jede Existenzgründung wie Irrsinn aussehen lässt. Und das inmitten einer Branche, die Athens Live selbst so beschreibt: 20 Prozent arbeitslose und 30 Prozent unbezahlte Journalisten, monatelange Wartezeiten auf Honorare, Selbstzensur. Jobs als freier internationaler Korrespondent sind rar, viele deutsche Medien zum Beispiel wissen ganz genau, was über Griechenland zu sagen ist, auch ohne Leute direkt vor Ort.
Wie voreingenommen die hiesige Berichterstattung 2015 war, hat jüngst eine von der Böckler-Stiftung beauftragte Studie herausgearbeitet. Genau da will Athens Live ran, will dabei werbefrei bleiben und sagt so gleich noch dem Klientelismus und den oligarchischen Eigentümerstrukturen der heimischen Medienlandschaft den Kampf an. Die Athener Tageszeitung Kathimerini etwa, deren englischsprachiger Ableger eine wichtige Nachrichtenquelle für viele deutsche Journalisten bildet, gehört dem Abkömmling einer konservativen Unternehmerfamilie, wie auch ein TV- und drei Radiosender, ein Online-Nachrichtenportal und ein Verlagshaus.
Das Varoufakis-Interview hat es in einige deutsche Medien geschafft, weil er Wolfgang Schäuble darin als „komplett unfähig“ bezeichnet hat. Und in alle griechischen Medien, weil es um Intrigen anderer Syriza-Regierungsmitglieder gegen den damaligen Finanzminister geht. Beim Crowdfunding sind dennoch nur 23.367 Euro rumgekommen. Die Macher wollen es trotzdem versuchen. Hoffentlich finden sie einen Weg. Denn es besteht zwar kein Bedarf an noch mehr Varoufakis-Interviews, unbedingt aber an Veröffentlichungen, wie sie das Team auch schon realisiert hat: die Geschichte über arme Griechen, die WGs mit syrischen Flüchtlingen gründen. Oder die Karte mit allen griechischen Adressen aus den Panama Papers.
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