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Etikett Kathrin Hartmann klärt in „Die Grüne Lüge“ über das Greenwashing der Konzerne auf

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Sieht grün aus. Sieht toll aus. Ist allerdings zum Großteil Lüge
Sieht grün aus. Sieht toll aus. Ist allerdings zum Großteil Lüge

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Die gepflegte Hand, die blasierte Hand, die ganz bewusst das Bio-Produkt aus fairem Handel wählt, lässt sich am leichtesten betrügen: „Je gebildeter die Zielgruppe, je schädlicher das Produkt ist und je absurder das daran geknüpfte Öko-Versprechen, je offensichtlicher also die grüne Lüge ist, desto eher wird sie geglaubt“, schreibt Kathrin Hartmann in ihrem neuen Buch.

„Wir können eine gerechtere und nachhaltigere Welt für uns alle schaffen", plappert Unilever. „Nachhaltigkeit ist ein Teil unserer Strategie", plappert IKEA.

Die Konzerne, die sonst vor lauter Innovation und Kreativität nicht gehen können, haben den Wortschatz des erbosten Oberförsters vor dreißig Jahren geklaut. Kritischen Geist aufzusaugen und zu zähmen ist eine unbestreitbare Fähigkeit des Kapitals. Freilich hat das Bioblabla nur einen milden Bezug zur Wirklichkeit.

Hartmann untersucht nun, welche katastrophalen Auswirkungen das Greenwashing auf Umwelt, Arbeit und Bewusstsein hat.

Damit Greeenwashing klappt, muss es mit einem Tropfen Wahrheit gesalbt werden. Als Beispiel wählt Hartmann BP. Die Mineralölfirma schminkte sich ein neues Image an, das um ein vielfaches teurer war, als die paar Solaranlagen auf Tankstellen. Dazu gab es einen neuen Namen: von British Petroleum zu Beyond Petroleum. BP propagiert eine „Low-Carb-Diät“– was auch immer das bedeuten mag –, verlieh der Windkraft Flügel und steckte die Kraft der Sonne in die Zelle. BP stand kurz davor, uns zu ethischen Konsumenten zu optimieren. Dann passierte im April 2010 die Sache mit Deepwater Horizon, einer Ölplattform im Golf von Mexiko. Elf Arbeiter starben, 780 Millionen Öl flossen ins Meer.

„Im Golf von Mexiko aber ist alles wieder in bester Ordnung. Das sagen jedenfalls BP und Behörden“, schreibt Hartmann resigniert. Nach der Katastrophe startete das zweite Umweltdesaster. BP begann damit, den Ölteppich mit Corexit zu besprühen. Das Gift ist in Großbritannien verboten und seine Langzeitwirkung unbekannt. Corexit soll Öl in winzige Teil auflösen, die dann von Mikroben gefressen werden. Es war BP gelungen, die Katastrophe unsichtbar zu machen. Keine Helfer in Schutzkleidung, keine Teer verklebten Vögel, keine dreckigen Strände. Dagegen eine junge Frau, die auf weißen (alabasterfarben wäre selbst für BP übertrieben) Sand ins Meer läuft. Der Konzern kaufte sich Topplatzierungen für bestimmte Schlüsselwörter bei Google, Yahoo und Bing. „Wer `Oil Spill` eingab, wurde auf eine Seite von BP verlinkt.“

Umso verheerender wirkte Corexit. Hartmann lässt nun jemanden berichten, der gewiss nicht im Verdacht steht, ein „hysterischer Umweltschützer“ zu sein.

Es ist Dean Blanchard, ein Garnelenhändler, der Trump wählte, weil der etwas von „Business“ verstände, sich wohl selbst als pragmatischen Konservativen definieren würde und gerne in dicken Geländewagen rumbrettert. Der ehemalige „Shrimpskönig von Louisiana“ über British Pinocchio wie er BP jetzt nennt:

„Wir hätten das Öl rausholen können. Unsere Boote standen bereit. Aber sie wollten nicht. Es wäre zu teuer gewesen. Ihnen ist die Umwelt egal. Sie denken nur an Geld, Geld, Geld.“ Heute ist Blanchard ruiniert. Die Garnelen atmen das Öl am Meeresboden ein. Ihre Kiemen sind schwarz gepunktet.

Armut ist die wichtigste Ressource

Palmöl ist das billigste Fett. Teuer verkauft wird es in Süßigkeiten, Fertiggerichten, Snacks und Autotanks. Hauptlieferant ist Indonesien. Dort verwüsteten Waldbrände allein 2015 eine Fläche von der doppelten Größe Kretas. Fallen die Bäume, steigen die Aktien. „Das Palmölbusiness bringt Armut nicht nur hervor, es lebt von ihr. Armut ist seine wichtigste nachwachsende Ressource.“

Hartmann war mit den Bürgerrechtlern Feri Irawan und Herwin Nasutio auf Sumatra und Borneo unterwegs. Gegen das, was sie da sah und hörte, da half kein runder Tisch auf Augenhöhe, kein Ökosiegel, keine Imponiervokabeln, kein grüner Phrasenrausch der Konzerne: Aschenfelder, Slums, wasserraubende Monokulturen, zu Bäumchenpflanzern degradierte Bauern, gelbe Gewerkschaften, Schlägertrupps und Kinderarbeit.

Auf Bali, wo der Putsch im Jahre 1965 hunderttausend Kommunisten oder wen man dafür hielt mordete, rauben Luxushotels, Golfplätze und Swimmingpools für die wenigen das Trinkwasser für die vielen.

Hartmann montiert wie in einem Revolutionsfilm aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: Oben die metallische Eleganz, die emissionsfreien Elektroautos und unten die Knochen des Bergmanns aus dem Kongo. Und die Bioshrimps aus zertifizierten Handel ruhen auf Zwangsarbeit und zerstörten Reisfeldern. Werner Boote, ein Dokumentarist aus Österreich, drehte parallel zum Buch einen gleichnamigen Film. Der Schokoladenriegel im Supermarkt erklärt dir, wie Wirtschaft funktioniert.

Es geht anders – kühn und langfristig

Yasunisierung“ ist ein schwieriges Wort. Es bedeutet aber einfach, dass man nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur „zwei Drittel der fossilen Brennstoffe im Boden bleiben müssten, wenn wir vermeiden wollen, dass die Temperatur auf der Erde nicht mehr als zusätzliche zwei Grad steigt.“ Kichwas-Gemeinden im ecuadorianischen Amazonasbecken konnten verhindern, dass in ihren Wäldern Erdöl gefördert wurde. Sie erkämpften sich eine Entschädigung vor dem Interamerikanischen Gerichtshof „wegen Missachtung“ ihrer Rechte. Und jetzt kommt der große Auftritt eines überlegenen Systems: Die Kichwas denken bei Zukunft an etwas anderes als an den nächsten Quartalsbonus. Kühn und langfristig sind ihre Methoden. „In den sieben Schulen lernen Kinder und Jugendliche mehrere Sprachen, besuchen Fotokurse und Computerklassen. Es gibt sogar, in Zusammenarbeit mit der ecuadorianischen Universität Cuenca und der spanischen Universität Lleida, ein Hochschulprogramm.“ Zudem investierten die Kichwas in modernste Kommunikation und in eine Genossenschaftsbank, die sich überraschenderweise nicht für systemrelevant erklärt und darum ihren Finanzbedarf auch nicht bei der öffentlichen Hand deckt.

Der Vorschlag der Kichwas, man solle weiter planen als bis zum Börsenschluss, fand Beifall von den Lofoten über das Nigerdelta bis nach Lanzarote.

Die Brände in den Textilfabriken machen weiter, die Waldrodungen machen weiter, die Armut macht weiter, das Plastik macht weiter, der Hunger macht weiter, die Erderwärmung macht weiter. Das klappt, weil die Werbeclips mit den Stars weitermachen, die Plüschpandas weitermachen, die Recycling-Start-ups weitermachen, die Elektroautos weitermachen, die Ozean-Jeans weitermachen und die authentische Moral im Supermarktregal weiter macht. Hartmann traf nun Leute, die schon längst nicht mehr mitmachen. Der US-amerikanische Linguist Noam Chomsky redet über das Kleine und das ganz Große: Den Vorschlag der Industrie, Stoffbeutel statt Plastiktüten zu verwenden, solle man annehmen, aber gleichzeitig die damit verbundene Propaganda ablehnen. Dann zum Hauptübel. Chomsky über Eigentumsverhältnisse:

„Die Reichsten acht Menschen besitzen so viel wie die halbe restliche Menschheit. Die Macht über alle wichtigen Entscheidungen liegt bei denen, die das Kapital kontrollieren.“

Weiter südlich wehrt sich der der peruanische Bauer Saul Luciano Lliuya, gegen die RWE. Ihm ist es gelungen, den Energieriesen vor einem deutschen Gericht zu verklagen. „Denn RWE ist der größte CO2-Emittent Europas." Lliuya spürt die Folgen des Klimawandels. Die Gletscher schmelzen in den Anden und der Damm, der seinen Ort schützt, wird durch die ständig größer werdenden Seen, brüchiger. Das Oberlandesgericht Hamm hat Lliuyas Klage angenommen.

Unangebrachte Schmusekurse

Ein Siegel brauchen Produkte, die sich beweisen müssen. Der Apfel vom Hofladen des Bauern benötigt keines. Hartmann kritisiert den „Schmusekurs“ mancher Umweltschutzorganisation gegenüber den Konzernen.

„Greenwashing“ produziert im Norden weit mehr Unfug als die Waldorfschulklientel, die Biocapuccino ordert. Es befördert die „Selbstveredelung“ und „Distinktion“, also genau jene Dinge, die das Milieu für seinen Seelenhaushalt braucht, wenn es wirtschaftlich so unbesorgt nicht ist, und beschleunigt die Atomisierung der Gesellschaft. "Denn erstens wird aus einzelnen Einkaufsentscheidungen zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives Ganzes, sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens tötet es jede Solidarität, wenn der Einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den Nächsten geschickt wird, in dem der ‚gute‘ auf den ‚bösen‘ Verbraucher zur eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt."

Deshalb stützen Sätze wie „Jeder kann etwas tun“ oder „Man muss bei sich selbst anfangen“ Greenwashing.

Irgendwo habe ich gelesen, dass wer die Macht hat, nach Belieben definieren kann. Das ist Hartmanns große These, die sie mit vielen verständlichen Beispielen belegt.

Greenwashings Endzweck: Wehe der Minute, in der der Mensch weder Produzent noch Konsument ist.

Kathrin Hartmann

Die grüne Lüge
Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

Blessing, München 2019

15,00 Euro, 240 Seiten

ISBN: 978-3-89667-609-2

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