Berlinale 2017

Film Kinohelden in schwierigen Zeiten: Zum Beginn zeigt die Berlinale Männer in der Krise

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Läuft nicht bei ihm: Josef Hader als Georg im Film "Wilde Maus"
Läuft nicht bei ihm: Josef Hader als Georg im Film "Wilde Maus"

Foto: Screenshot Trailer/Youtube

Große Filmhelden haben es auch nicht immer leicht. Die Berlinale zeigt uns zum Beginn gleich einige männliche Protagonisten in der Krise. Manchmal kann Mann nämlich auch mal ziemlich am Arsch sein. Der eine früher, der andere später...

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Django von Etienne Comar im Wettbewerb

Das trifft durchaus auch für den berühmten Jazzgitarrist Django Reinhardt zu. Ein besonders männliches Exemplar, das uns der französische Produzent Etienne Comar in seinem ersten Spielfilm als Regisseur vorstellt. Django eröffnete die Berlinale und gab damit auch gleich so etwas wie eine programmatische Richtung vor. Politische Anliegen, Vergangenheitsbewältigung, Künstlerkino und emotionale Geschichten. All das lässt sich mühelos mit der Person von Django Reinhardt erzählen.

Eingebetteter MedieninhaltComars Film spielt 1943 in der Zeit der deutschen Besatzung von Paris. Dass Reinhardt nicht nur in Frankreich berühmt und sogar von den Deutschen heiß umworben war, sondern auch ein Angehöriger der Sinti-Minderheit, die in ständiger Gefahr der Verfolgung durch die Nazis lebte, wird uns gleich zu Beginn vor Augen geführt. In den Ardennen löscht ein deutsches Kommando eine ganze Sinti-Familie beim Campieren und Muszieren aus. Davon noch unbehelligt steht Reinhard zur gleichen Zeit in Paris an der Seine, fängt Fische, raucht und betrinkt sich genüsslich, während im Theater die Pariser Gesellschaft auf seinen Auftritt wartet. Sie werden dennoch nicht enttäuscht.

Der begnadete Musiker, eigenwillige Künstler und allseits geliebte Macho mit Moustache hält Hitler für einen schreienden Clown mit schlechtem Schnurrbart. Mit den deutschen Benimmregeln für einen Konzertertrag über eine Deutschland-Tournee wischt sich Reinhardt beim Essen den Mund ab. Keine unarischen Instrumente wie Kuhglocken, langsamer spielen, keinen Blues und nur 5% Synkopen, diese Forderungen sind für den Musiker nur ein schlechter Witz. Dass den Nazis nicht zum Scherzen ist, geht ihm erstmals beim Arzt auf, der seine durch einen Brand verkrüppelte Hand für ein Zeichen der Degeneration hält. Der Lebemensch Reinhardt wird nun nach und nach immer mehr durch verschiedene politische Interessen vereinnahmt, was ihn zunächst aber noch ziemlich kalt lässt.

Verkörpert wird dieser Django Reinhardt durch den Schauspieler Reda Kateb, der gerade erst in dem spätsommerlichen Konversationsfilm Die schönen Tage von Aranjuez, den Wim Wender nach dem gleichnamigen Theaterstück seines Freundes Peter Handke drehte, zu sehen war. In Django ist es bereits sehr herbstlich und düster. In Paris fallen Bomben und dem sonst eher lebenslustigen und gegenüber politischen Dingen recht gleichgültigen Reinhardt wird es langsam ungemütlich. Er will sich im Kino wegträumen. Seine geheimnisvolle niederländische Geliebte Louise (Cécile de France) rät ihm mit seiner schwangeren Frau und der Mutter in die Schweiz zu fliehen. An der Schweizer Grenze muss Reinhardt nun sehr lange auf die Gelegenheit der Flucht mit einem Schlepper warten.

Hier trifft der Musiker auch Mitglieder seiner Sinti-Familie, die am See lagern, und verdient sich mit ihnen das Geld für die Unterkunft und den Schlepper bei Konzerten in der Dorfkneipe. Comars Film zeigt Reinhardt nun als einen immer ängstlicher werdenden, fast gebrochenen Mann, der von den Nazis gedemütigt und zum Aufritt bei einem Fest gezwungen wird. Was Sie ihm nicht nehmen können, ist sein Stolz. Und wie zum Trotz setzt sich Reinhardt über die Regeln der Deutschen hinweg und spielt die Tanzgesellschaft mit seinem Gypsy-Swing geradezu in einen Höllenrausch, während ein verwundeter englischer Flieger von der Résistance über den See gerudert wird.

Comar will uns hier natürlich auch die Macht der Musik demonstrieren und die Angst der Nazis vor ihrem rhythmischen Sog. Die eigene Flucht über die tief verschneiten Berge gelingt nicht. In dramatischen Bildern will der Film nun nachholen, was er zunächst in seinen etwas dahinplätschernden Pariser Szenen wohl versäumt hat. Der Zuschauer wird nie richtig warm mit der Figur des Django, auch wenn Comar noch die Geschichte der von Reinhard komponierten und hochemotionalen Gypsy-Messe für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma mit einflicht. Als Mensch bleibt einem Django Reinhardt doch fremd und als großer Held taugt dieser Mann eh nicht. Django zeigt die innere Zerrissenheit eines Künstlers in schwierigen Zeiten aber dennoch recht gut.

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Centaur von Aktan Arym Kubat im Panorama

Ein Schrei auch nach künstlerischer Freiheit ist der kirgisischen Panoramabeitrag Centaur. Für den Filmvorführer Centaur gilt das Motto: „Die Pferde sind die Flügel des Menschen.“ Er lebt mit seiner taubstummen Frau am Rande von Bishkek und erzählt seinem Sohn alte Märchen von den mythischen Mischwesen aus Mensch und Pferd. Von den Leuten wird er daher auch Centaur genannt. Seine Frau kann nur Russisch von den Lippen ablesen und lebt in einer früheren Welt aus sowjetischen Filmen. Um der Einsamkeit zu entfliehen, trifft sich Centaur auch mit der Witwe eines ehemaligen Afghanistankämpfers und redet mit ihr über alte kirgisische und bunte Bollywood-Filme.

Nachts stiehlt Centaur Pferde, um sich beim Reiten frei und mit der Natur verbunden zu fühlen. Die alte Nomadenkultur kollidiert aber nicht nur mit der Moderne, sondern auch mit den islamischen Traditionen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder in Kirgistan etabliert haben. Durch den Verrat seines Kontrahenten, einem ortsbekannten Viehdieb, wird Centaur schließlich geschnappt und kommt vor den nun muslimisch dominierten Dorfsowjet. Eine aufgebrachte Menge diskutiert in zwei Lager gespalten über sein Schuld. Schließlich setzen sich aber die Neumuslime durch. Die Strafe des Ausschlusses von Centaur aus der Dorfgemeinschaft kann vom Rat der Alten nur noch in einen Haddsch nach Mekka abgewandelt werden.

Regisseur Aktan Arym Kubat, bekannt durch seinen Film Dieb des Lichts, spielt die Hauptrolle des arbeitslosen Filmvorführers selbst. Sein Kino dient nun auch als Moschee, in der er nun auf den bevorstehenden Haddsch vorbereitet werden soll. In einer schönen Szene projiziert er seine geliebten bewegten Bilder durch das alte Filmvorführgerät in den Gebetsraum. Aktan Arym Kubat wollte keinen Film gegen den Islam drehen, aber gegen eine aufoktroyierte Religion, in der er nicht in seiner Sprache beten kann. Sein Gott und seine Sprache seien seine Filme, sagte er im Anschluss an die Vorführung. Dass seine Hauptfigur trotzdem an wachsender Ignoranz und Bosheit scheitert, zeigt, wie es um eine solche Art der Spiritualität bestellt ist.

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T2 Trainspotting von Danny Boyle im Wettbewerb

Ziemlich fertig ist auch Mark Renton. Den 46jährigen fegt eine Herzattacke vom Fitnesslaufband. Eine Sinnkrise und einen Bypass später landet er als „Tourist in der eigenen Jugend“ in seiner alten Heimatstadt Edinburgh. Der schottische Regisseur Danny Boyle geht bei der Berlinale außer Konkurrenz mit der Fortsetzung seines Kultfilms Trainspotting - Neue Helden an den Start. T2 Trainspotting spielt zwanzig Jahre später und beruht wieder auf einem Roman von Irwin Walsh. Porno erschien bereits 2002. Es hat also lange gedauert, bis sich Danny Boyle und Ewan McGregor, der Darsteller des Junkies Renton, wieder zusammengefunden haben. McGregor begründete auf dieser Rolle seine Karriere. Ob diese Fortsetzung sie weiter befördern wird, sei mal dahingestellt, auf jeden Fall gibt es einige nostalgische Momente, und nach einer Wirtshausschlägerei schwelgen die sich wiederfindenden Kumpels Renton und Sick Boy (Jonny Lee Miller) in alten Erinnerung.

Renton hatte die Gang am Ende von Trainspotting um 16.000 Pfund aus einem Heroingeschäft betrogen und war damit nach Amsterdam abgehauen. Das haben Sick Boy, der sich nun Steven nennen lässt, und der wegen Mordes im Knast sitzende Francis Begbie (Robert Carlyle) nicht vergessen. Nur Spud (Ewen Bremner) hatte von Renton 4.000 Pund aus der Beute erhalten. Spud hängt allerdings immer noch an der Nadel und ist auch sonst überall zu spät. Renton kann den vom Leben Deprimierten gerade noch vor einem Selbstmord retten. Was den Film im Folgenden ausmacht, sind die verzweifelten Versuche der alten Freunde sich auf die nächsten 30 Jahre vorzubereiten.

Und dafür benötigt man in erster Linie Geld. Das haben natürlich weder Renton noch Spud oder Steven. Der hält sich mit einem schlecht gehenden Pub und Erpressungsversuchen mit Sexvideos bei den Kunden seiner Freundin, der bulgarischen Prostituierten Nikki (Anjela Nedyalkova), über Wasser, weswegen er schon mal einen Anwalt braucht. Ein Kurzauftritt von Rentons alter Flamme Diane (Kelly Macdonald), die jetzt in einem schicken Anwaltsbüro sitzt. Aber nur in ein paar witzigen Szenen kommt nun wirklich so etwas wie Spaß auf. Etwa wenn Renton und Steven eine Party von Protestanten aufmischen, die den Sieg Wilhelms von Oranien 1690 gegen die katholischen Jakobiten feiern. Mit den geklauten Kreditkarten und der magischen Jahreszahl lassen sich tatsächlich ein paar Tausend Pfund abheben. Es fließen wieder einige eklige Flüssigkeiten, und die Jungs geraten hier und da ins Hecheln, wie der schlaffe Spud auf Entzug beim Joggen in den Edinburgher Hügeln.

Treibender Motor der drei aufstrebenden Unternehmer in den Vierzigern ist die junge Nikki, die Steven zum Ausbau des Pubs zum Sex-Saunaklub drängt. Hier kann nun auch Renton seine Talente als Wirtschaftskaufmann einbringen. Ein Antrag bei einem regionalen EU-Förderprogramm soll das nötige Kapital bringen. Stolpersteine sind nur die lokale Zuhälterszene und der auf Rache sinnende Begbie, der nach seiner Flucht aus dem Knast hinter Renton her ist. Es hat sich also nicht allzu viel verändert. Außer, dass die TV-Bildschirme etwas flacher und breiter geworden sind, spielen die Clubs immer noch den Retro-Sound der 90er. Eine paar Kokslinien, eingefrorene Stills und schnellgeschnittene Verfolgungsjagden weiter sind wir schon beim Showdown.

Trotz einer ausladenden Ansprache von Renton zum Slogan: „Sag ja zum Leben“ wird man nicht lang von tieferer Sinnsuche behelligt. Hier wollen ein paar ältere Jungs in der Midlifecrisis noch mal ein wenig Spaß haben. Aber es kommt, wie es kommen muss. Zuerst ist da die Gelegenheit und dann passierte der Verrat. Dank Spuds alten Schreibtalenten, die er gerade auch literarisch weiterentwickelt, gehen die schottischen EU-Fördergelder von 100.000 Pfund nach Bulgarien und die Männerrunde leer aus. Was für eine herrliche Pointe für Europa. Der Rest ist wie ein schöner großer Brexit-Kater.

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Wilde Maus von Josef Hader im Wettbewerb

Wirklich am Arsch ist der Konzertkritiker Georg. Der Mann ist in den besten Jahren - wie man so sagt - wird aber von seinem Redaktionschef Waller infolge Einsparmaßnahmen einfach gekündigt. Auf Georgs Einwand, dass es Leserproteste geben würde, antworte der Chef nur: „Die meisten Ihrer Leser sind schon tot.“ Kein Witz, dem altgedienten Qualitätsjournalisten werden unerfahrene Kollegen vorgezogen, die das Abspielen von Bruckners 5. Sinfonie in einer Fußballarena - geklaut von einem „Schlagerfuzzi“ (gemeint ist hier der Song Seven Nation Army des Rockmusikers Jack White) - für das Größte halten und nicht wissen, dass die Zauberflöte keine Oper, sondern ein Singspiel ist. Was sich nun entspinnt ist ein Rachefeldzug gegen seinen Chef, den Georg beim Abreagieren seines ersten Wutrausches auf dem Wiener Würstelprater als „geschissenes Arschloch“ und „deutsche Sau“ tituliert.

Der österreichische Kabarettist und Schauspieler Josef Hader, bekannt durch die Rolle des abgehalfterten Kommissars Brenner in den Verfilmungen der Wolf-Haas-Krimis, wird am 14. Februar 55 und hat sich zum Geburtstag seinen ersten Spielfilm als Regisseur geschenkt. Er kann nicht anders, wie auch Georg nach 25 Jahren als Musikkritiker nichts anderes kann. Seiner Frau Johanna (Pia Hierzegger), einer Psychotherapeutin, die ihren Mann auch gern mal am Frühstückstisch analysiert, verschweigt er seinen Rausschmiss und treibt sich den ganzen Tag im Prater herum, wenn er seinem Ex-Chef Wallner (schön süffisant gespielt vom Tatort-Kommissar und Schaubühnen-Schauspieler Jörg Hartmann) nicht gerade das Dach seines Cabrios zerschneidet oder den Lack zerkratzt.

Der Mann manövriert sich in eine ausgewachsene Lebenskrise, die noch dadurch vergrößert wird, dass seine Frau mit 43 Jahren endlich ein Kind bekommen will, obwohl Georg meint, die letzten 20 ohne wären doch auch ganz lustig gewesen. Haders gewohnt grantelnder Wiener Schmäh schlägt einige Funken, und die trockenen Pointen purzeln anfangs ziemlich flott. Aber der Regisseur will eigentlich noch etwas mehr. Neben der eigenen Sinn- und Beziehungskrise tröpfeln der tägliche Wahnsinn und Terrormeldungen aus dem Fernseher und dem Autoradio. Während die Welt vor die Hunde geht, kauft sich Georg einen Revolver, und sein Racheopfer rüstet sich mit Überwachungskameras.

Einen ersten und einzigen Freund findet Georg im ebenso gebeutelten Gelegenheitsarbeiter Erich (eine Glanzrolle für Georg Friedrich). Gemeinsam sanieren sie eine alte Achterbahn, die titelgebende Wilde Maus, und beginnen ein neues Leben als Schausteller, bis Georg sein altes in Gestalt seiner plötzlich auftauchenden Frau wieder einholt. In der Liebe ist die richtige Kommunikation alles, was auch Erich erfahren muss, der sich mit seiner rumänischen Freundin Nicoleta (Crina Semciuc) nicht unterhalten kann. Da kommt Georg mit Italienisch etwas weiter, während er wiederum bei Johanna wegen seiner Egoeskapaden durchfällt. Mann hat‘s nicht leicht. Die Protagonisten und Fäden der Handlung verwirren sich immer mehr und finden erst in den österreichischen Bergen überraschend wieder zusammen. Doch selbst als Georg mit Whiskyflasche und Schlaftabletten schon nackt im Schnee sitzt, ist die sich mehrfach überschlagende Farce noch nicht am Ende. Allerdings wäre Haders Erstling wie die Haas-Filme zuvor im Panorama der BERLINALE sicher besser aufgehoben gewesen.

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Zuerst erschienen am 12.02.2017 auf Kultura-Extra.

Django
Wettbewerb
FRA 2017
von: Etienne Comar
Kinostart: 27. Juni 2017

Centaur
Panorama
KGZ/FRA/DEU/NLD 2017
von: Aktan Arym Kubat
Kinostart: nicht bekannt

T2 Trainspotting
Wettbewerb (a.K.)
GBR 2017
von: Danny Boyle
Kinostart: 16. Februar 2017

Wilde Maus
Wettbewerb
AUT 2017
von: Josef Hader
Kinostart: 9. März 2017

Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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